Nachrichten vom Höllenhund


Borbély
17. Februar 2015, 15:06
Filed under: - Belletristik

Szilárd Borbély: Die Mittellosen

borbelyDas Dorf liegt ganz im Nordosten von Ungarn – Rumänien und die Ukraine sind nicht weit. Die Familie des Erzählers ist zugezogen, wohl aus Rumänien, sie werden als Ruthenen bezeichnet oder als Huzulen, jedenfalls sind sie nicht, wie es sich in dieser Weltecke gehört, reformierte, sondern griechisch-katholische Christen. Ihre „mitgebrachte“ Kirche wird verbrannt, der Pope verbannt. Fremdes wird hier nicht akzeptiert, kann man sich doch schon selbst nicht ausstehen. „Den Kindern wird eingeschärft: ‚Wir sind Ungarn, das müsst ihr sagen. Denn wir sind Ungarn.’ In Ungarn kein Ungar zu sein, ist eine Katastrophe.“ (Judith von Sternburg, FR) Vom Vater der Erzählers heißt es, ein Jude habe ihn gemacht, und wer zum Juden gemacht wird, den kann man ausstoßen und muss so seine Schulden nicht bezahlen und kann seine Habseligkeiten gefahrlos an sich reißen. Die „Fritzen“ machen es vor. Am untersten Ende der Dorfhierarchie stehen die Zigeuner, aber die wohnen im Nachbardorf und werden – wie „Messias“ – nur gerufen, wenn die Scheißegrube zu entleeren ist. Unter den Zigeunern stehen nur noch die Tiere.

Ein Hund zu sein ist nicht gut, so viel steht fest. Wir haben einen schwarzen Mischling, er heißt Zigeuner. Jeder Hund im Dorf heißt Zigeuner. Angekettet, damit er nicht den Garten zertrampelt. Das Blumenbeet und den Gemüsegarten. Nur am Abend lassen wir ihn frei. Meine Mutter mag ihn nicht, aber man braucht einen Hund im Haus. Die Hunde sind immer hungrig, das macht sie verrückt. Sie zerren an der Kette. Möchten sich losmachen. Sie rennen mit voller Kraft, doch die Kette reißt sie zurück. Sie ist an ihrem Hals verkettet. (…) Die leichten Schläge mit der kleinen Rute, die der Hund auf die Nasenspitze bekommt, addieren sich auf einmal. Vergeblich ist das Zähnefletschen, vergeblich die Wut, vergeblich die Kraft. Einmal rennt selbst der mutigste Hund weg und will sich verstecken. Er sucht Zuflucht. Duckt sich winselnd in die ausrangierte Apfelkiste mit den Lumpen, seine Hütte. Oder er sucht einen Holzstapel und versucht sich darin zu verkriechen. Winselnd steckt er seinen Kopf irgendwo hinein. Sein überhitzter Körper zittert wie Sülze. Wenn nichts anderes da ist, steckt er den Kopf zwischen die Pfoten. Er ist zusammengebrochen. Er wird nie mehr frei sein. Vergeblich lässt man ihn los. Er bellt nur aus Angst. Doch er zittert. Davor habe ich Angst. (…) Ich stelle mir vor, ich bin gestorben und bin schon unten in der Erde, unter der grünen Wiese. Ich sehe die Schwalben in der Höhe zickzack fliegen. Auch die Störche sind gekommen. Sie kreisen oben. Treffen auf eine warme Strömung, mit der sie immer höher steigen. Ich weiß nicht, was sie dort suchen. Ich würde gern sehen, was sie sehen. Ein Storch zu sein muss gut sein. Oder eine Schwalbe, denke ich.

Das ist das Gleichnis. Es ist keine Welt, in der man leben möchte und überleben kann man nur, wenn man unter sich jemanden findet zum Treten. Das ändert sich auch nicht, als die Kommunisten an die Macht kommen, denn sie nutzen sie auch nur, um ihrerseits zu treten. Zuvorderst die Familie des Erzählers, denn sie gelten jetzt als Kulaken und so einen duldet man nicht in der LPG, nicht einmal zum Arbeiten.

Niemand in der Familie bedauert, dass der Vater nicht mehr da ist: dann kann er seinen Sohn nicht mehr mit dem Gürtel schlagen. Die Mutter droht ständig an, sich umzubringen, man muss auf sie aufpassen, auch wenn sie nicht nur größer, sondern auch stärker ist als ihr Mann »Wir stecken in der Scheiße«, faucht Mutter. »Pass auf, was du in den Mund nimmst«, sagt Vater gleichmütig, nun hat es nichts Verspieltes mehr. Er ist aber nicht gereizt, hebt nicht die Stimme, wie er es sonst tut. Er hört sich bloß an, was Mutter sagt. Weil die Frauen keine andere Waffe haben als zu reden. Er weiß, dass sie recht hat. Spürt, dass er hilflos ist. (…) Bis zum Abend werden die Männer besoffen sein. (…) ,Mama, sterben Sie nicht! Lassen Sie uns nicht hier allein‘, schreien wir.

Brutal werden die Tiere getötet, zunächst die Käfer und Würmer, der Erzähler weiß, dass er als nächstes lernen muss, die Hühner und Gänse zu schlachten, das ist seine Rolle, er muss Mann werden, er hat keine Chance. Mit den Menschen hält man es nicht anders.

»Halt du jetzt den Kopf«, sage ich. »Ich will nicht«, quengelt sie. »Sei nicht zimperlich. Immer sind die Mädchen so zimperlich«, sage ich. »Ich werde den Kopf abtrennen. Halt es fest. Und mach die Augen zu. Das ist Männersache.« Ich wiederhole, was mein Vater gesagt hat. Zuerst wollte ich der Taube nicht den Kopf abschlagen. Vater sagte, ich sei schon groß genug. Man werde mich auslachen, wenn ich nicht einmal das kann. Ich soll kein Versager sein. »Deine Mutter traut sich nicht. Wenn ich nicht zu Hause bin, muss es doch jemand machen! Du bist dann der Mann im Haus. Du musst deiner Mutter helfen. Das ist Männersache.« Ich weine, aber ich mache mein Herz hart.(…) Mit dem Beil trenne ich dem Taubenjungen den Kopf ab. Die Lider schmiegen sich wie ein feines Häutchen über die großen Augen. Ich werfe es neben den Klotz. Meine Schwester ist überfordert. Ich sehe ihr an, dass sie gleich hysterisch wird. Ich greife nach dem anderen unter dem Korb. »Halt den Kopf. Wir sind gleich fertig.« Ich treibe sie zur Eile an. »Jetzt bin ich der Schächter«, sage ich zu ihr. »Ich verstehe mich darauf.« Auch das ist erledigt.

Das Dorf stinkt und die Menschen stinken auch und sie haben vorgefundene Sätze, aber keine Srache, mit der man sich verständigen könnte. Mittellose. Die Wörter sind voller Fäkalien und voll mit Gewalt. Anders kann man sich nicht begegnen. Der Erzähler ist ein siebenjähriger Junge. Für ihn ist noch alles neu, er muss die Welt erst sortieren, indem er sie beschreibt. Er selbst hat keine Wörter, Borbély leiht sie ihm. Das passt nicht, geht aber nicht anders. Die Sätze sind kurz wie die Eindrücke, sie werden zusammengesetzt wie ein Puzzle, mal da ein Stein gesetzt, mal mehrere am Stück, sie ergeben erst Stück für Stück ihren schlimmen Zustand. Erzählt wird nicht chronologisch, sondern so, wie man es erlebt, wie man sich erinnert. Man braucht einige Zeit, um das Bild des Dorfes und seiner Menschen zu sehen, man muss mitdenken, vieles möchte man auch gar nicht lesen.Nur in der Erinnerung, die dem Jungen zugedacht ist, weitet sich das Bild über die Beobachtungen des Alltags zu den Vergangenheiten ungarischer Geschichte. Aber so wird’s sein in den hermetischen Dörfern, die für uns so weit weg scheinen in Zeit und Ort. Die Welt ist eng und kommt über einen und auch Gott ist keine große Hilfe. Vielleicht gibt es diese Orte in Ungarn immer noch – oder, nicht weit weg, in der Ukraine. Der Junge erzählt von seiner Angst, vor der Schule, dem Lehrer, vor den Gleichaltrigen, vor den Erwachsenen, vor den ‘eckigen’ Buchstaben. Vor Allem. Er weiß, dass er erwachsen werden muss und wird, damit er seine Angst an den Schwächeren abreagieren kann oder im Alkohol ersäufen. Sonst erträgt man es nicht. Szilárd Borbély hat nicht einmal seine Erinnerungen ertragen, er brachte sich 2014 um. Es helfen auch die Primzahlen nicht mehr, die Freunde, die Einsamen, die nur durch eins und durch sich selbst teilbar sind.

Ich ersticke fast, wenn man von den Juden redet. Wenn ich das Wort Jude höre, schnürt es mir die Kehle zu. Ich schnappe nach Luft. Bekomme Ohrensausen. Man wird es mir anmerken. Ich habe Angst, mich zu verraten. Ich gebe mir Mühe, so zu tun, als gehe mich das nichts an. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Dann halte ich die Luft an. Eine Zeitlang darf ich nicht atmen. Ich weiß, meine Lunge wird es nicht lange aushalten, aber vorerst rühre ich mich nicht. Ich wage nicht, Luft zu holen. Meine Ohren glühen. Bestimmt sieht man das. Ich müsste es mir im Spiegel ansehen. Ich habe Angst, dass meine Ohren mich verraten. Sie reden immer über die Juden. Die Worte sind voller Drohungen. Ich habe Angst vor den Worten. Im Herbst reift der Johannisbrotbaum. Die Frucht ist eine lange braune Kapsel. Sie ähnelt der Hülse von Bohnen und Erbsen, nur größer. In ihr stecken die Kerne. Die Farbe der hubbeligen Hülse ist wie die der bitteren Schokolade. Dunkelbraun. Manche sind so lang wie der Unterarm eines Erwachsenen. Solange es frisch ist und nicht vertrocknet, ist das Fleisch süß und aromatisch. Im Dorf heißt es Judenkacke. Auch Máli nennt es so. Auch der Baum hat diesen Namen bekommen. »Die Judenkacke ist reif«, rufen sie sich an der Rampe zu. »Sagt es den Kindern!« Dann lachen sie. Sie wiehern immer, wenn sie die hässlichen Wörter sagen. Schwanz und Fotze. Sie wollen das Kind, das sprechen lernt, überreden, ihnen nachzusprechen: Schwanz und Fotze ficken. »Sag >Fotze deiner Mutter!< >Schwanz deines Vaters.< >Gott verfickt<«, wiederholen sie. Jeder hat ein Lieblingswort. Wenn die kleinen Kinder, für die diese Worte noch nichts bedeuten, sie wiederholen, grölen sie mit Wonne. »Na, noch einmal«, sagen sie. Sie können nicht genug kriegen. »Judenkacke, Judenkacke«, sagen sie immer wieder. »Die Judenkacke ist reif!« Sie sprechen es gern aus, hören es gern. Vor dem Wort Jude habe ich Angst. Vor Großvater Kengyel darf man nicht so reden. »Wir fluchen nicht«, sagt er. »Und wir sagen keine hässlichen Wörter.« Ich habe Angst vor diesem Wort, das jeder mit Freude im Mund führt. Ich kriege keine Luft. Ich kann nicht mit ihnen lachen. Obwohl alle lachen. Ich denke an den alten Mózsi. An seine Liste, auf die er die Schulden schrieb. »Jetzt kann er sich damit den Arsch abwischen«, sagten sie.

2013         300 Seiten (plus Nachwort und zwei Essays von Szilárd Borbély)

Leseprobe beim Suhrkamp-Verlag

Rezension von Andreas Breitenstein in der NZZ

Rezension von Judith von Sternburg in der FR

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