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Martin Sperr:
Jagdszenen aus Niederbayern
Inszenierung: Martin Kušej
Die „Jagdszenen aus Niederbayern“ spielen 1948,, wenige Jahre nach dem Krieg, in „Reinöd“. Uraufgeführt wurde das Stück 1966 (in Bremen), der Film von Peter Fleischmann entstand 1968, 1969 wurde das Stück in den Kammerspielen gespielt, mit bekannten Namen (Hans Brenner, Maria Singer, Therese Giehse, Günther Maria Halmer und Ruth Drexel), inszeniert von Ulrich Heising. Der Film mit Martin Sperr in der Rolle des Abram ist mir schwach in Erinnerung,, obwohl er mit seinen drastisch dräuenden Szenen, kulminierend im Sauschlachten, Eindruck machte. Das „neue Volksstück“ war noch neu, sein zupackender Realismus mit dem reduzierten Dialekt der Sprachlosigkeit erlaubte wieder den Blick auf die „Heimat“, aus der man zuvor nichts als weg wollte.
Und jetzt, 2015, fast 50 Jahre nach ihrem Entstehen wählt Martin Kušej die „Jagdszenen“ für seine Gastinszenierung an den Münchner Kammerspielen. („Ich komme aus exakt einem solchen Dorf und kenne das alles zu genau.“) Hat es das gebraucht? Nein. Denn die Schwulenhatz ist passé. Außer im Fußball und in Putinland – und auch in den Schulen wird noch „gedisst“. Der §175 wurde ‚schon’ 1969 abgeschafft – was sind wir liberal und aufgeklärt. Aber Sperr wollte schon damals „nicht Einzelschicksale, sondern „die Jagd von Menschen auf Menschen und die Zusammenrottung zu solchem Vergnügen“ darstellen. Es ist das alte Spiel: Jagd auf Außenstehende, Abweichende, Unpassende, Unangepasste. Jedes Dorf braucht seinen „Schwulen“, als Sündenbock. In den Kammerspielen merkt man den Personen das „Vergnügen“ nicht an, sie leiden auch an sich selbst und ihrem kummervollen Leben, der Armut. Insofern bleibt das Thema aktuell. BILD hetzt die deutschen Leser gegen „die Griechen“, die CSU auch: “Den griechischen Halbstarken mit heraushängendem Hemd, denen sage ich, Hemd rein, Gürtel enger schnallen, die Zeit der griechischen Feten mit Wein ist vorbei, jetzt wird endlich gearbeitet ….” (Scheuer) „Schauen Sie sich Tsipras an, schauen sie sich Varoufakis an: Würden Sie von denen einen Gebrauchtwagen kaufen?“ (Willsch), die Pegidaner haben Angst vor allen und sich selbst, wehe, da heißt einer Abram.
Dasss drei Finger zurückzeigen, ist bekannt. Lustig wird’s, wenn der Georg der Zenta die Hosen herunterzieht und dabei auf Abram und Tonka deutet: Pfui! Das ist nicht die moralische Überlegenheit, sondern der Neid auf die, die Lust empfinden könnten. Liebe – das gibt es nicht im Dorf, hier hat alles seinen Preis, seine Kosten. Wenn man den Abram, den Tagelöhner, die „schwule Drecksau“ beseitigt, muss man seine Schulden bei hm nicht bezahlen. Das ist der Kern des Systems, die „Arisierung“. Arm sind sie alle, schuld sind die anderen. „Die Leute fangen an zu reden“, sagt die Metzgerin, die Übelste der Hetzer (Silja Bächli mit bigotter Brille). Das Schlimmste wäre, nicht mehr dazuzugehören. „Wir haben alle gehört, wie er nichts gesagt hat.“ Heute hat sich das alles ein wenig entpersonalisiert, man lebt in der Anonymität der Stadt und ist nicht mehr verantwortlich. Kušej öffnet mit seiner Methode durchaus den Blick auf solche Systemfragen. „Da braucht es keine Tagespolitik. Die denkt man implizit mit.” (Egbert Tholl, SZ)
Was heute ein bisschen ungewohnt wirkt, sind die Verwerfungen der Nachkriegszeit, die das Stück in eine Zeit einbinden und von Strukturen eher ablenken. Die Bäuerin Maria wartet (wie Frau Marthe) auf den Totenschein ihres gefallenen Mannes, um ihren Knecht Volker heiraten zu können, Marias Sohn Rovo leidet an Kriegsneurosen, er wird zum „Dorftrottel“, den man nicht mehr weiter durchfüttern will, er ist zu teuer. Auch die Dörfer sind heute reicher, in ihren sozialen und physiognomischen Strukturen überformt von den näher rückenden Städten, Fernsehen und Internet bringen die fremde Welt ins Haus. Das mildert die unerträgliche Nähe des Miteinander-Leben-Müssens, doch dörfliche Rituale gibt’s immer noch, die Kinder werden entsprechend sozialisiert. Warum Kušej das „Nieder“ wegstreichen ließ und das „bayern“ erhielt, erschließt sich nicht.
Kušej traut der Aktualität nicht ganz, er schiebt eine weitere Ebene der Verfremdung ein. Er spult die Jagdszenen rückwärts ab, besser: lässt sie erstarren. Abram wird gleich zu Beginn erschossen. (Sperr hatte ein originelleres Ende vorgesehen. Mit der Belohnung für Abrams Ergreifung wird die Kirchenorgel repariert.) Die acht Tage werden vom Sonntag zurück in Szene gesetzt und mit ihrem Namen aufgerufen, damit man das auch kapiert. Die Methode ist durchaus geeignet, die Sperr’sche Absicht der Betonung der Rituale der Menschenjagd hervorzuheben. Die Personen versammeln sich zu Tableaus, gruppieren sich, geben ihre kargen Sätze von sich, schauen in die Ferne, damit sie sich nicht anschauen müssen. All das braucht kein Vorrücken der Zeit, nur um einen Anlass zur Jagd zu finden, nach der man sich – nicht für lange – besser fühlen kann. Dieser Dekonstruktion wird aber natürlich die Spannung geopfert. Wie sich die Schlinge immer enger um das Opfer zusammenzieht, ist eigentlich Kernmotiv der Menschenjagddramen. Die Bühne ist eine Bretterwand, sie hat keine Tiefe, die Personen werden ausgestellt. Kušej und die Bühnenbildnerin Annette Murschetz brauchen kaum Requisiten, an die sich die Leute halten könnten, nur einmal einen trockenen Ast als Natur, einmal einen kleinen Spiegel, damit Paula sich zeigen kann, wie schön sie ist, ein paar Eimer und Zuber zum Schlachten – ohne Gestank. Wichtig – und schön – ist die Beleuchtung, die grelle Licht-Schatten-Effekte setzt, auch Spots auf die Opfer und Täter richtet. Leider geben die Fotos diese Lichtdramaturgie nicht wieder, man muss das im Theater erleben.
Über die Darsteller muss bei den Kammerspielen nicht viel gesprochen werden. Auffällig in ihrer naiven Raffinesse ist Anna Drexler als Tonka, das Mädchen, das zu gierig ist, um nicht auch zum Opfer zu werden. Zum Opfer Abrams, sagt das Dorf, zum Opfer des Dorfes zeigen Sperr und Kušej. Gundi Ellert, die überforderte Mutter Barbara, sie zieht sich die Schürze über den Kopf und würde sich am liebsten vor der Welt verstecken, so leidet sie daran, dass sie ihrem Abram nicht beistehen kann. „Ich wollte, ich hätte dich nicht geboren.“ Abram ist mit seinen bleichen Haaren und seinen engen Bewegungen einer, der nicht auffallen darf, weil erschon auffällig geworden ist. Katja Bürkles Augen wissen gar nicht, wo sie nicht wegschauen sollen.
Eine Inszenierung, die das Mitdenken will, die den Kopf braucht, um zu wirken. Nichts verstanden hat Bernd Noack: „Das ist aber alles so schick morbid und ästhetisch schmuddelig, so verbissen ausweglos und vordergründig trist, so geschnitzt bodenständig und zelebriert armselig, dass es wie eine Karikatur der himmelschreienden Zustände wirkt.“ Bernd Noack schreibt im SPIEGEL, der den Zeitgeist okkupiert hat.
Kammerspiele München – Aufführung am 27. Februar 2015
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