Nachrichten vom Höllenhund


Modick
10. März 2015, 16:32
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter: ,

Klaus Modick: Konzert ohne Dichter

modickkonzertDer Roman zum Bild zum Konzert. Der Titel lässt stutzen, doch im Klappentext steht die Auflösung: Heinrich Vogeler malt ein Quartett, darauf verdeckt sich selbst, und Klaus Modick schreibt 90 Jahre später einen Roman zum Werk. Rilke, der Dichter, ist nicht auf dem Bild, aber Modick weiß, weshalb nicht. Rilke war nämlich schon drauf, wurde aber wieder weggegmalt, weil es Missstimmungen gab in Worpswede, im Künstlerdorf an der Hamme, in der „Familie“, die Heinrich Vogeler um sich geschart hatte. Die „Malweiber“ waren auch dabei, Es herrschte tiefster Jugendstil. Heinrich Vogeler ist der Jugendstil. Das sieht man auf seinen Bildern und an seinen Möbeln, an den Kleidern und Accessoirs, die er entwarf, denn Vogeler verkörperte den Stil. Modick schreibt den Malstil nach.

Satt liegt die Spätnachmittagssonne auf rosenberankten Hauswänden; üppige Schleier aus Efeu und Wein spinnen um Balkone und Loggien, Galerien und Erker, getragen von Karyatiden und Kanephoren. Aus Gärten duften Goldlack, Nelken, Hyazinthen; Rhododendren in Weiß, Rot, Lila scheinen unter ihrer Blütenlast fast zusammenbrechen zu müssen. Kirschlorbeer, Taxus und Buchsbaumhecken säumen Rasenflächen, auf denen Lauben und Pavillons stehen.

Modick weiß aber auch, dass Vogeler trotz der Großen Medaille für Kunst und Wissenschaft nicht zufrieden ist, denn sein Stil ist hermetisch geworden, perfektioniert bis zur Langweile, Kunst als Dekor, Modick stimmt da mit Vogeler überein. Alles, blieb “Kunst und Traum, und nichts und niemand wurde wirklich”. “Labyrinthe des Ornaments, in denen es keine Pausen oder Lücken gab – und vor lauter Überfluss nirgends einen Ausgang.” „Nirgends Freiheit. Ein schöner Vorhang, der die Wirklichkeit verbirgt.” “Etwas unendlich Künstliches.”modickvogeler Gut, dass René Maria Rilke in Worpswede auftaucht und die Verhältnisse zum Tanzen bringt. Rilke ist 23 und schon Dichter, der sich selbst angöttert, “Mir zur Feier” nennt er sein Buch, das Vogeler illustriert. Rilke, der Eiferer mit dem erbarmungslosen Ernst , Rilke, der nicht lacht, Rilke, der Kauz.

Vielleicht fürchtete sie auch nur, dieser seltsame Heilige könnte in seiner exotischen Kostümierung ins Dorf gehen und mit seiner unheimlichen Erscheinung den ganzen Barkenhoff in Klatsch, Verruf und Misskredit bringen. Seitdem die Künstler Worpswede für sich entdeckt und sich angesiedelt hatten und ihre aus großen Städten und fernen Ländern anreisenden Freunde zu Besuch kamen, hatte man in Worpswede zwar schon allerlei karnevaleske Kostümierungen und pittoreske Aufzüge zu sehen bekommen, aber Rilke schoss den Vogel ab. Lina war jedenfalls empört. »De Keerl lett jo dat Hemd över sin Büx hangen.« Und wenn er dann, das Hemd über der Hose hängend, oben in seinem Zimmer auf und ab ging, die roten Russenstiefel einen trägen, unregelmäßigen Rhythmus auf die Bodendielen schlugen und seine Stimme manchmal so laut wurde, dass sie durchs Gebälk bis nach unten drang, dann stand Lina in der Diele, horchte verstört auf und zeigte mit ihrer zerarbeiteten, faltigen Hand zur Decke. »He deit ton leev Heiland proten«, flüsterte sie. »He bedet alltied.« Vogeler lächelte, tätschelte ihr beruhigend die Schulter. »Er betet nicht, Lina. Er dichtet. Der Herr Rilke dichtet doch nur.«

Aber Rilke, der rastlose Geist, hat zwei Talente: Er generiert aus dem Nichts Gedichte und er betört die Frauen. Das unpassende Pathos der frühen Rilke-Lyrik befremdet Vogeler, Modick stellt beides mit sanft ironischem Ton dar.

Ob das, was er jetzt hier am hellen Morgen vor sich hin spricht, ein Pfeifen im dunklen Wald ist, Inspiration erzwingen will oder Arbeit simuliert, Geplapper, mit dem er seine panische Angst vor der Leere vertreibt, oder ob ihm in diesem Moment eins seiner schmelzendschönen, zwischen Kitsch und Tiefsinn schwankenden Gedichte aus dem Mund tropft – wie soll Vogeler das wissen? Die Laute, die Rilke beim Dichten ausstößt, sind eine Sprache, die niemand versteht. Versteht Rilke sie? Doch klang in Rilkes dreistem Selbstbewusstsein eine innere Überzeugungskraft mit an, ein unwiderstehlicher, alle Vorbehalte überwältigender Charme. Wenn später von Rilkes zahlreichen Affären die Rede war und sich so mancher darüber wunderte, wieso diesem schmächtigen Mann mit dem traurigen Hundeblick junge Mädchen und reife Frauen gleich reihenweise erlagen, musste Vogeler immer an diesen Moment zurückdenken, in dem Rilke ihn für sich gewonnen hatte.

Rilke heiratet Clara Westhoff, fast auch Paula Modersohn-Becker, Rilke reist ab, um nirgends anzukommen. Vogeler, Rilkes “Seelenverwandter”, übermalt den Kauz. Klaus Modick schreibt seinen Roman, und er wird wie das Bild, liebevoll verästelt, literarische Birken, mit locker schwebender Ironie, nie gehässig, immer charmant, eine Etüde, eine „Malerei der Worte“ (Kristina Maidt-Zinke, SZ). eigentlich überflüssig, hübsch, Dekor. Ein Künstlerroman. Wer sich für Worpswede vogelermarthainteressiert, sollte die “kleine Worpswede-Fantasie” (Maidt-Zinke) lesen. Die Geschichte sollte aus der Künstlerkolonie im Moor herausgehalten werden, Modick holt sie nicht herein. „Das alles flieht vor der Gegenwart und ihren Konflikten, und gerade deshalb hat es Erfolg, liefert Trost- und Schönheitspflästerchen gegenüber einer Zeit, deren Industrielärm, Tempo und Rhythmus im Maschinentakt man nicht mehr folgen kann.“ Modick folgt Vogeler in Gedanken an frühere Aufenthalte in Florenz und München, die Übergänge sind fließend elegant, Vogeler fühlt sich nicht wohl in der Geldwelt seiner Bewunderer und Mäzene. Florian Illies hat eine Sammlung von (hauptsächlich Künstler-)Anekdoten zum Jahr 1913 vorgelegt. Modicks “Konzert ohne Dichter” könnte man als Lang-Anekdote aus dem Jahr 1905 lesen. “Hätte es noch keine Birken gegeben auf der Welt – der Jugendstil hätte sie erfunden. Vogeler persönlich hätte sie erfunden für seinen Barkenhoff.”

P.S. Auf der Teppe logiert die Barsoi-Hündin Karla.

2015         230 Seiten

3

3


Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar



Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: