Nachrichten vom Höllenhund


Hornby
26. März 2015, 17:02
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Nick Hornby: Miss Blackpool

blackpoolBarbara ist zur Miss Blackpool gewählt worden, aber Blackpool liegt im Norden Engalnds und die Leute dort sprechen etwas seltsam und so macht sich Barbara auf nach London, wo sie eine Zeit lang im Kaufhaus jobt, bald aber eine Rolle in einer Sitcom-Serie bekommt, ihr Traum vom Leben. Sie nennt sich Sophie Straw und spielt in „Barbara (and Jim)“ die Barbara und sie spielt sie so „entzückend“, dass im Nu „EVERYONE LOVES SOPHIE“. Barbara/Sophie ist die Titelfigur, das „Funny Girl“, aber dass sie funny ist, erzählt Hornby nur, es gibt keine Kostproben aus der –fiktiven – Serie, und ansonsten hat Sophie/Barbara für eine, die im Mittelpunkt steht, zu wenig zu sagen. Oder anders gesagt: Sie ist zu „gewöhnlich“, zu uninteressant. Hornby bindet sie in das Team der Serie ein, lauter eigenwillige, aber doch ganz umgängliche Charaktere: Tony und Bill, die Autoren, die sich darüber unterhalten, wie sie die Folgen gestalten sollen, Bill ist schwul, was er sich anfangs der 60er-Jahre noch nicht zu sagen traut, Dennis, der Produzent, so schüchtern, dass er Barbara erst gegen Ende heiratet, Clive, der Jim, auch er kämpft für sich hin.

Die Serie wird zum Leben der Beteiligten, sie können bald ihre Rollen nicht mehr unterscheiden, sie werden selbst zu den Personen, die sie darstellen. Die Kapitel des Romans werden denn auch mit „Staffel“ überschrieben. »Ich war noch nie so glücklich wie in diesem Raum, in diesen Studios«, sagt Sophie. Diese Melange ist das eigentliche Anliegen von Hornby, doch lässt es in der dargestellten Beschaulichkeit kalt. Uns trennt doch eine sehr lange Zeit von damals. Die Dialoge ziehen sich, man wünscht, mit dem Abstand von 50 Jahren hätte Hornby Essentielles stärker vom bloßen Small-Talk trennen können.

Bill verdrehte die Augen.
»Du findest Laurel und Hardy nicht lustig, Olive?« fragte Dennis.
Olive lachte nur.
»Ich kann euch sagen, woran mich das erinnert«, sagte Olive. »Eine alte Folge von Lucille Ball. Und das meine ich nicht nett, Sophie, dass hier keine Missverständnisse aufkommen.«
Aber es war schon zu spät.
»Gebt mir irgendwas zu tun«, sagte sie zu Bill und Tony. »Ich stehe ja bisher nur rum und kreische.«
»Ich weiß nicht, was du noch tun kannst, wenn deine Toilettenspülung schnurstracks durch die Decke rauscht«, sagte Tony.
»Warum kann Barbara nicht die Heimwerkersendung gucken?«
»Warum sollte Jim dann alles selbst machen, wenn
Barbara die Sendung geguckt hat?«, fragte Olive. »Sophies Vorschlag war wohl«, sagte Dennis, »dass sie
diejenige ist, die die Klempnerarbeiten macht.« Olive schnaubte.
»Was ist denn daran so witzig?«, fragte Sophie. »Hoffentlich die Idee, dass Barbara Klempnerarbeiten macht«, sagte Dennis.
»Ja, die Vorstellung«, sagte Olive. »Aber doch nicht die Wirklichkeit.«
»Wieso wäre die Wirklichkeit denn nicht lustig?«, fragte Dennis.
»Reden wir hier über mich oder über Barbara?«, fragte Sophie.
»Schnaubst du bloß über die Vorstellung, dass eine Frau Klempnerarbeit macht?«, fragte Tony.
Olive wirkte in die Ecke gedrängt, aber Tonys Frage bot ihm eine Fluchtmöglichkeit.
»Na ja, ich nehme an, sie wird das gründlich ver
sauen«, sagte er. »Sonst gäbe es keine Sendung.«
»Sie wird es versauen«, sagte Tony. »Aber die Idee, dass eine Frau Klempnerarbeit macht, ist nicht per se lustig.«
»Sehe ich anders«, sagte Clive.
Das Gespräch, dachte Tony später, fasste all die irrwitzigen Widersprüche der Sendung ganz gut zusammen. Dass Jim das Bad neu machte, war langweilig und öde; wenn Barbara es vermasselte, war es lustig und frisch und gleichzeitig absolut vorhersehbar. Vielleicht funktionierte das Fernsehen – und überhaupt das Leben – genau so.

Mit dieser Beschaulichkeit wollte er vielleicht den Geist der Zeit abbilden, doch dieser Geist ist hausbacken, das im Klappentext versprochene Swinging London der Sixties will sich nicht einstellen. Aus der Ferne erscheint auch diese Epoche bieder, der Roman findet keinen Schwung, auch Hornbys Humor ist gebremst. Dass Barbara und Dennis 1988 im Musical „Hair“ ein paar Nackte auf der Bühne sehen, ist schon der Gipfel des Outragierten. Ansonsten gibt es zwar Sex, aber noch keine Worte dafür. Die Kommunikation stammelt, die Welt ist noch in Ordnung. Mick Jagger sitzt auf einem der dem Buch beigegebenen Fotos so brav am Tisch, dass man an den Erzählungen über die wilden Jahre ins Zweifeln gerät. Nick Hornby kennt sich da aber sicher besser aus.

Doch die Interaktion zwischen den Figuren gab der Sendung und den Schauspielern einen ganz neuen Energieschub, und die Thematik erregte in der Presse große Aufmerksamkeit. »Soweit wir uns entsinnen können, hat keine Comedyserie bisher versucht, sich mit dem Thema Ehekrise zu befassen«, schrieb The Times. »Und angesichts des schockierenden Anstiegs der Scheidungsrate seit Beginn des Jahrzehnts zeigt sich Barbara (and Jim) hier zugleich aktuell und mutig, ohne den charakteristischen Witz und Charme einzubüßen. Keine schlechte Leistung.«

Vielleicht zündet das Interesse auch nicht, weil sich der Roman doch auf englische Vorbilder stütz, die man bei uns nicht oder kaum kennt. Auch die Geographie Englands ist zu wenig geläufig, um den – auch sozial kennzeichnenden – Unterschied zwischen dem im Fernsehen gesprochenen Englisch und dem “breiten Lancashire-Dialekt” der Barbara aus Blackpool. Das fehlt in Deutschland, das lässt sich schlecht nachbilden.

Ein weiteres Problem ist, dass Hornby, wie sonst auch, seine Figuren verstehen will, mitsamt ihren Sorgen und Kümmernissen. Er tut ihnen nicht weh, er gibt ihnen seine Empathie, bis hin zu den letzten Kapiteln, wo sie sich, alt geworden noch einmal treffen. Und er lässt sie Selbsterkundungen führen, anstatt ihre Handlungen für sich sprechen zu lassen. In einer Fernsehkritik der „Times“ erklärt er noch einmal, was man gerade gelesen hat. „Es war ein kluges und überraschend anrührendes Porträt einer modernen, gescheiterten Beziehung. Die Kirche und gewisse miefige Politiker mögen sich künstlich darüber erregen, dass diese traurige Entwicklung die katastrophale Scheidungsrate weiter befeuern wird: Schließlich lässt ein so freundschaftlicher Abschied eine Trennung attraktiver erscheinen. Doch die Autoren sind dafür zu loben, dass sie das Problem direkt angegangen sind und Lösungen aufgezeigt haben, die viele Paare leider in Betracht ziehen müssen.” – Was ist aus der “HighFfidelity” geworden? Nick Hornby ist auch dem Leser gegenüber zu besorgt, er vermutet sie immer noch in den 60er-Jahren, Beschaulichkeitsprosa mit aufgewärmten Diskussionen über die Oberflächlichkeit des Fernsehens.

Sophie sehnte sich nach noch mehr von dieser Anerkennung. Ihre Selbstzweifel waren wie Wasser. Sie fanden noch das winzigste Löchlein und strömten herein. Das Mädchen, das sich zu schade gewesen war, Schönheitskönigin zu sein, war längst passe, ebenso wie das Mädchen, das noch nie einen Tag geschauspielert hatte, aber mit großen Ambitionen zu Vorsprechterminen gegangen war.
Die letzten vier Jahre hatten ihr Ruhm und Geld gebracht, aber auch Verwirrung. Konnte sie überhaupt irgendwas? Oder hatte sie nur Glück gehabt? Wenn sie in irgendeinen anderen Probenraum irgendwo auf der Welt gegangen wäre, in einen der vielen Räume, in denen kein Bill und kein Tony saß, kein Clive, kein Dennis, wäre dann irgendetwas passiert, oder würde sie immer noch Parfüm verkaufen und sich von verheirateten Männern anstarren lassen? Oder hätten die Männer inzwischen aufgehört, sie anzustarren? Wo auch immer sie hinkam, sah sie inzwischen jüngere, hübschere, wohlgeformtere Mädchen (Mädchen, die im Gegensatz zu Sophie noch Mädchen waren); Mädchen, die vermutlich nicht verstanden, warum kluge, gewitzte Leute versuchten, Sophie eine Comedyserie auf den Leib zu schreiben. Dennis‘ Hingabe war ein Fixpunkt, wie der Polarstern, der sie wieder zurückführte, wenn sie sich im tiefen, dunklen Wald ihrer Angst verlaufen hatte.

„Wären die Sechziger so dröge gewesen wie dieser Roman, sie wären längst vergessen.“ (Sebastian Hammelehle, SPIEGEL)


2014            430 Seiten


Die Romane Nick Hornby behalten im Deutschen ihre englischen Titel bei (About A Boy, A Long Way Down, etc.). Aus “Funny Girl” wurde “Miss Blackpool”, vielleicht auch weil 2013 schon ein Roman “funny girl” erschien, der auch auf Deutsch so heißt: von Anthony McCarten. Auch dieses Mädchen will ein Star werden, aber sie entscheidet sich für die Comedy und sie ist Muslima und macht ihre Späße in der Burka. Ein “funny girl” mit deutlich mehr Pep und Zeitbezug.

Buchvorstellung auf Meta-Ebene
von Fräulein „Wie soll ich sagen“ Bücherwunder auf youtube

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