Nachrichten vom Höllenhund


Weiler
2. April 2015, 12:54
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Jan Weiler: Kühn hat zu tun

weilerJan Weiler verrät seinen Roman – an einen Psychopathen und an ein zufriedenes Ende. Das erste ist das, was mir gar nicht gefällt, das zweite kann auch als zarte Ironie gelesen werden. Der Krimi ist bedacht konstruiert und hat als Helden einen „ganz normalen Familienvater“ (Weiler), dem aber mehr im Kopf herumgeht als Frau, Kinder und Karriere. Er heißt Martin Kühn, ist fast zwei Meter groß und 44 und wird von dem, was ihm Jan Weiler alles auflädt, schier erdrückt. Kühn hat zu tun. Sein Hauptjob ist die Ermittlung von Verbrechen, er ist Leiter der Mordkommission in München, ein präpotenter Staatsanwalt setzt sich ihm vor die Nase, daneben hat er Frau und Kinder, Tochter Alina wünscht sich ein Pferd zum Geburtstag, Sohn Heiko pubertiert, spricht nicht mit dem Vater und droht ins rechte Milieu abzugleiten, das Gehalt ist gering, dass er kein Auto hat, wird ihm fast zum Verhängnis, die Altersversorgung ist abhängig von der beruflichen Zuverlässigkeit und das Reihenhaus auf der „Weberhöhe“ mit Altgiften aus der Munitionsfabrik des Nazis – und Namenspaten der Siedlung – Weber kontaminiert.

Kühn gerät aus der Konzentration, aber erst das Trauma, das er aus seiner Jugend mit sich schleppt, überflutet ihn und lässt ihn kollabieren. Er hat „Milchreis in seinem Kopf“, Doch die erzwungene Ruhephase führt zur Aufarbeitung des Traumas und zur Lösung des verzweigten Falles. Das Verbrechen ist unübersichtlich, bis es sich in Form des unauffälligen Psychopathen aus dem Nachbarhaus auflöst. Opa Kocholsky wird erschlagen, ein krebskranker Rentner ermordet, der Grieche hängt sich auf und die Freundin seiner Tochter wird entführt. All das verflicht sich mit den sozialen Spannungen in der ehemaligen Mustersiedlung auf der Weberhöhe. Jan Weiler muss ein bisschen kompositorischen Zwang anwenden, um die Zusammenhänge unter Kontrolle zu halten. Er weiß kleine Andeutungen zu machen, damit die Spannung nicht absackt, schweift aber doch häufig ins Private, bevor die stockende Ermittlung weitergeht. Nachbar Dirk wird als hilfsbereiter, aber doch etwas eigenbrötlerischer Einzelgänger eingeführt, was ihn natürlich von Anfang an suspekt macht. Zentrales Thema Weilers sind die Turbulenzen im Kopf seines Helden. Der Gedankenbrei ist typografisch abgesetzt und lässt Kühn immer stärker ermatten. Er verliert die Übersicht und dann auch die Beherrschung, auf die er stets stolz war.

Reden, reden, reden. Susanne wird mit Alina darüber reden. Ein Pferd ist nicht drin. Ein Pony auch nicht. Am Ende wird es auf einen Kinobesuch hinauslaufen. Mit allem Drum und Dran, aber nur Kino, ein Buch und eine CD. Hoffentlich schlagen sie mir nicht eines Tages den Schädel ein. Das ganze Blut, Opa Kocholsky hatte denselben Linoleumboden wie wir früher. Blaugraue Schlieren, bei uns irgendwann total verkratzt. Und dann fuhr Papa mit seinem Subaru zur Arbeit. Als ich auszog, habe ich den Subaru bekommen. Man kriegt die Dinger nicht kaputt, hieß es immer. Aber jetzt ist die Einspritzpumpe hin. Das lohnt sich nicht. Und morgen wollten wir Blumenerde kaufen. Wie soll ich die nach Hause bekommen? Mit Alinas Pferd! Alle wollen ständig etwas. Wünsche. Wünsche. Was wünsche ich mir? Eine Lampe für den Flur und dass endlich Ruhe ist in meinem Kopf.

Der Showdown verlässt die Münchner Siedlung und ist filmmäßig in den Dünen Norderneys inszeniert. Damit schließt sich der erzählerische Kreis, denn genau hier erfuhr Kühn sein traumatisierendes Jugenderlebnis. Aber alles endet gut, fast alles, doch „genau in dem Moment, in dem Kühn an der Kasse des Supermarktes in den Weber-Arcaden die Augen schloss, mutierte in seiner Prostata bei der Teilung eine Zelle” und kündigt damit eine Fortsetzung zur Serie an. Die seltsamen Ausblühungen in den Kellern der Häuser der „Tetris-Siedlung“ sind noch nicht aufgeklärt, doch hat Weiler den Hintergrund in einem vorgeschalteten Rückschaukapitel schon verraten, das Motiv aber nicht weiter verfolgt, auch das wird im Sequel folgen. (Falls es sich bloß um eine Allegorie für die vergifteten menschlichen Verhältnisse handeln sollte, würde mich das als Leser enttäuschen.) Weiler schreibt in unangestrengt lockerem Ton des verbeamteten Familienvaters, die anfänglich zum Teil witzigen Episoden – etwa vom Tod von Kühns Vater – und die Anspielungen auf die zeittypischen Eigenheiten des Siedlungslebens verlieren sich im bemühten Ernst der Pathologien.

Kühn spürte, dass Sven sich diese Worte gut überlegt hatte. Offenbar wollte er ihn, den Polizisten, als Waffe für seinen Selbstmord benutzen. «Sven, das kannst du vergessen. Ich erschieße dich nicht. Ich nehme dich mit, und du wirst für alle Taten einstehen, die du begangen hast. Schon um der Angehörigen willen.» Sven Schuster lachte. Noch in diesem Moment schien er die Lage völlig unter Kontrolle zu haben. Er hatte diese Situation geplant. Wer wusste, wie lange schon? Er stand auf und ging mit dem Messer in der Hand einen Schritt auf Kühn zu. «Du hast keine Wahl. Entweder du schießt, oder ich schneide mir die Oberschenkelarterie durch. Eine durchtrennte Arteria femoralis verliert innerhalb von vier Minuten drei Liter Blut. Du kannst es nicht stoppen. Es ist vorbei. Jetzt und hier.»

Weiler zündet das Feuerwerk von Mord, Totschlag und Blutorgien.ß, Ausländerhatz und aus den Kellern dringender Nazi-Vergangenheit – nur, um dem Serienkiller Absolution im Tod und nur um Martin Kühn die Aufarbeitung seiner Traumata zu gewähren. Die Themen werden an den Rand geschoben, das haben sie nicht verdient und das verstimmt. „Die Probleme, die der Mann hat, die könnte er auch haben, wenn er kein Polizist wäre. So ist er halt Polizist, damit noch was Spannendes dazukommt.“ (Jan Weiler) Reich an Ideen, und dass die Realitäten immer wieder zum Klischee werden, liegt in der Natur des Klischees. Gerhard Matzig euphemisch in der SZ: „Der Hochgewachsene, der die Niederungen auslotet, hat das Zeug dazu, ein Großer zu sein in seinem kleinen Rand-Leben, das vom Rand deshalb handelt, weil man dort jederzeit aus dem Leben fallen kann. Es ist deshalb egal, ob der Krimi ein Roman oder der Roman ein Krimi ist. Kühn lebt. Das reicht. Er darf nicht sterben, er hat noch zu tun.“ Was wird er ohne seinen Milchreis im Kopf machen?

2015           320 Seiten

Dennis Scheck setzt Jan Weiler „druckfrisch“ in Szene

Leseprobe beim Rowohlt/Kindler-Verlag

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