Filed under: Theater
Buch (5 Ingredientes de la vida)
Text und Inszenierung:
Fritz Kater alias Armin Petras
Utopie, Phantasie, Liebe und Tod, Instinkt. Das Leben und nichts weniger bringt Armin Petras auf die Bühne. “Da ist immer dieser Blick auf die conditio humana. Vielleicht ist das Stück einfach nur ein Versuch, dort so zentral wie möglich einzugehen.“ wird FRITZ KATER zitiert. (Entlarvt sich die Aussage selbst als Eingeständnis?) „Fünf Kapitel als Koordinatensystem des Lebens selbst.“ (Programm) Vier Stunden sind für die conditio humana nicht zu lang, doch wenn alles versprochen wird, gerät das Ergebnis leicht zu einem Eintopf. Egbert Tholl kommen „Würstel in der Erbsensuppe“ in den Sinn (SZ), aber so nahrhaft ist die Soljanka nicht. Vor allem die Schaulust wird gesättigt.
Schon im Foyer der Spielhalle wird man mit einem „Waschzettel“ gewarnt: Liebe Theater-Besucher, herzlich willkommen zu Armin Petras‘ Inszenierung BUCH – 5 INGREDIENTES DE LA VIDA. Der Abend besteht aus fünf Teilen, die durch jeweils unterschiedliche . ästhetische Zugänge charakterisiert sind. So gibt es zwei Teile, bei denen die Zuschauer sich stehend oder gehend (insgesamt ca. 30 Minuten) durch einen eher installativen Raum bewegen. In einem Teil gibt es zudem stroboskopische Lichteffekte. Mit freundlichen Grüßen Ihre Münchner Kammerspiele So schlimm kommt es aber nicht. Die halbe Stunde Stehen (oder Gehen) steht (oder geht) man leicht durch. Stehen, gehen oder sich frehen muss man, weil an die vier Wände Filme projiziert werden, in denen „Wissenschaftler“ über Aussichten für die Menschheit diskutieren (Utopie). Ich brauche ein bisschen, um mich im dunklen Raum zu installieren und verpasse so manche der recht abgestandenen Statements, staune aber soch, als plötzlich zwei „Bunnies“ aus den Filmen leibhaftig durch die Zuschauer laufen.
Ich ertaste eine Art Podium und lehne mich dran, doch einen Moment später richtet sich ein Scheinwerfer auf mich. D.h. auf Thomas Schmauser, der beginnt auf dem Podium das Brüderchen zu spielen und mit seiner großen Schwester auf dem Gegenpodium einen doofen Dialog über die verschwundene Mama zu führen, auch zu schreien. Armin Petras arbeitet sich an seiner Kindheit und Jugend in der DDR ab und meint, Kinder seien und sprächen so. Das Hin und Her ist fürchterlich banal und peinlich, doch ergibt sich ein schönes Bild, als es zu schneien beginnt. Die Metapher ist auch banal, aber das war die „Phantasie“? Ich mische mich flanierend wieder ins Publikum.
Jetzt kommen „Liebe und Tod“. Bänke werden installiert, man darf sich im Karree rings um die kleine Spielfläche setzen: DDR, Alt- oder Plattenbau. Dabei kann man auch die anderen Zuschauer beobachten und das erweist sich als viel interessanter als das Darsteller-Gehample, das peinlich an Kindergeburtstagsvorführungen denken lässt. Manche der jüngeren Zuschauer scheinen sich an ihre Pubertät mit Knutschspielen und ersten Engtänzen und Plüschtiersex zu erinnern, die älteren schauen griesgrämig in sich hinein. Dazu Tholl: „Was nun folgt, nähert sich langsam der großen Verwirrung, in der man sich nach eben diesen vier Stunden wiederfinden wird, ist aber immer noch schön, weil verspielt: Ein Sohn entdeckt die Liebe, ein Vater stirbt am Alkohol und zeichnet letzte Gedanken auf. Das klingt nach Beckett, fühlt sich aber an wie Baggersee, eben wegen der keimenden Liebe, wegen der nun pubertätsjungen Stuttgarter Mädchen und den Münchner Kerlen Telgenkämper und Simonischek. Gleichwohl, und das liegt an der Struktur von Katers Elaborat, ist das alles doch unscharf und verwirrend.”
Die Hoffnung auf die “nach ca. 2 Stunden 15 Minuten avisierte Pause erweist sich aber als verfrüht, denn nach einer kleinen, hübsch choreografierten Umbau- und Reinigungseinlage wird es tierisch. Zwei Jungs und ein Mädchen spielen Wildnis: Svenja Liesau ist eine von Dürre und Wilddieben erschöpfte Elefantenkuh mit verkrüppeltem Bein, die ein Elefantenkalb mit verkrüppeltem Rüssel zur Welt bringt, das aber von einem “Monsteraffen” (vielleicht täusche ich mich) gekidnappt werden soll – im Tausch mit einem Lichtstein. Die vierte Ingredienz, der “Instinkt”, eine Parabel. Die menschlichen Darsteller geben alles, simulieren Sex und Begehren, täuschen Rüssel an, schrubben über den Boden, wälzen und greifen sich, geben den Affen. Beeindruckend, erschöpfend, simultanes Getrommel. Aber noch einmal Egbert Tholl: “Da kommt auch schon ein metaphorisches Märchen als Menetekel vom Untergang der Natur, eine traurige Geschichte unter Elefanten, in der die Darsteller Elefanten spielen, ohne jedes Augenzwinkern, da glaubt man Petras oder Kater oder beide von allen guten Geistern verlassen.”
Petras ist der Regisseur, der sich als Autor Kater nennt. Auch anderen Inszenierungen an den Kammerspielen (Kleists “Hermannschlacht” und Ibsens “John Gabriel Borkman”) wurde durch Effekte überspielte Hohlheit attestiert. Hier, wo er sich nicht auf ein vorgefundenes Stück sützen kann, fallen die Teile noch stärker auseinander, man ertappt sich auf der Suche nach Substanz und vertut damit wohl seine Zeit. “Aufgeblasen” und “reichlich banal” findet Michael Schleicher vom Münchner Merkur. Wenn man bloß zuschauen will, ist der Abend zu lang, zu verspielt, zu kindisch. Miles Perkin spielt schön auf der Gitarre, sein Gesang ist noch dünner als der Neil Youngs. Die Schauspieler verausgaben sich, Thomas Schmauser und Edmund Telgenkämper als Affe und Elefant in “Instinkt”, die Stuttgarter Svenja Liesau und Anja Schneider und Ursula Werner als Wissenschaftler, DDR-Vater und Große Schwester.
Sie – und die Zuschauer – hätten ein etwas tiefgründigeres Stück verdient. Wenn ein Stück und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, muss es nicht am Kopf liegen. Für die fünfte Zutat des Lebens, die “Sorge”, ein Ehedrama, ist zu wenig Interesse übriggeblieben, noch eine Stunde wollte ich nicht Petras’ Lebens-Befindlichkeiten hinterhersinnen.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 15. Mai 2015
Im Herbst gibt es am Stuttgarter Schauspiel “im „Leben“ von Fritz the Cat „noch eine Menge zu dechiffrieren“ (Michael Müller, Stuttgarter Zeitung).
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar