T. C. Boyle: HART auf HART
T. C. Boyle erkundet „die dunkle Seite des amerikanischen Traums“ und da ist man schnell beim Trauma angelangt. Die aktuellen Geschehnisse auf der Welt zeigen, dass das Thema/das Problem nicht nur ein amerikanisches ist: der islamistische Dschihad, Attentate, Amokläufe, überforderte junge Männer. Was läuft hier falsch?
T. C. Boyle gibt nicht die Antwort(en), er wirft Fragen auf, legt sie dem Leser nahe, lässt den Vater von Adam über mögliche Schuld spekulieren. Boyle erzählt, er wertet nicht. Aber nicht nur der Titel, der deutsche wie der amerikanische – „The Harder They Come“ – legt eine Spur. Der junge Mann hat Angst davor, zu weich zu sein, seinem Leben nicht gewachsen zu sein. Er sucht Vorbilder, imaginiert Helden, verrennt sich in Mythen und Schein-Identitäten. Die Welt ist zu groß dafür, als dass man sie verstehen, sich in ihr wohlfühlen könnte. Das Dilemma besteht darin, weich sein zu wollen, sich im Weichen treiben zu lassen, aber hart sein zu müssen. Der junge Mann in „Hart auf Hart“ heißt Adam und stammt aus einer ordentlichen Familie. Der Vater ist vietnamdekoriert und hat sich zum Schulleiter hochgearbeitet, die Mutter hilft bedrohten Wildtieren, muss sich zu Gefühlen aber zwingen. Der Junge hat keine Chance. Die Zeiten sind schlecht, die Intelligenz reicht nicht aus, es fehlen die Perspektiven, es dem Vater gleichzutun, ihm zu imponieren, erwachsen zu werden. Adam sucht sich sein eigenes, einschichtiges Weltbild und einen Helden, dem man nacheifern kann. In der mythologisierten amerikanischen Geschichte wird man bald fündig. Adam nennt sich „Colter“ nach dem Waldläufer, dem zum Heiligen verklärten Einzelkämpfer John Colter (1774 – 1813). Boyle erzählt Colters legendäres „Rennen gegen die Blackfoot-Indianer“ und verwebt es mit den Allmachts-Phantasien Adams. Aber auch der Wald ist nicht mehr das, wofür er einmal gehalten wurde.
Die Welt außerhalb Adams, das sind die „Aliens“, und das müssen nicht nur Mexikaner sein. Dann aber wird es wieder zynisch, denn die Bewohner der Vorstadt organiseren eine Zivilmiliz, um die verdächtigten „Mexikaner“ dingfest zu machen: „Der Wald gehört uns.“ Das war Devise auch in Vietnam.
Adam muss die Welt retten und das heißt bald, er muss sich selbst retten. Er erschießt zwei Menschen, die seiner Opium-Plantage zu nahe gekommen sind. Die Jagd auf Adam beginnt. Boyle zieht die Spannung an, das kann er gut, aber er verliert sich auch im Versteckspiel. Geschichten über die Schlingen, die sich immer enger um den einsamen Wolf zusammenziehen, hat man schon gelesen, mein größter Einwand gegen Boyle’s Erzählen.
Er sagte nichts. Er wollte nicht von dem Bett aufstehen, aber er musste. Nachdem er sich angezogen und die Stiefel geschnürt hatte, überprüfte er als Erstes die Norinco, nahm das Magazin heraus und steckte es wieder hinein. Dann schulterte er den Rucksack, in dem jetzt Cracker waren, ein Laib Brot, Thunfischkonserven, Dosen mit Campbell’s Hühnersuppe mit Fleischstücken und eine Flasche Rotwein, die er in einer Stunde austrinken würde, mit einem Etikett, auf dem ein gelber Fisch war. Es war sehr still. Der Hund rührte sich nicht. Und sie stand da und sah ihn im gespenstisch grauen Morgenlicht voller Kummer an, als wüsste sie, was geschehen würde. Er wusste ebenfalls, was geschehen würde. Aber er war Soldat. Er war Colter. Und er ging hinaus und sah sich nicht um. Ja. Und diesmal rannte er einfach auf wirbelnden Beinen über die Straße und das Feld. Nein, jetzt wurde nicht mehr gerobbt. Und wenn die Aliens in dem Streifenwagen wach waren und ihn sahen, dann war er bereit, mehr als bereit, den Kampf aufzunehmen. Doch sie waren nicht wach, und sie sahen ihn nicht. Vielleicht waren sie nicht mal mehr da. Und so war er frei und ging in Richtung eines Seitentals, ringsum wurde es hell, und nichts und niemand konnte ihm vorschreiben, wohin er sich zu wenden hatte. Vielleicht nach Norden. Vielleicht aber auch zurück zum Lager, um dort zu warten, bis sie aufgaben. Sie waren Schlappschwänze, Dilettanten. Wenn der Winter da war und es regnete wie zu Zeiten der Sintflut, der ersten Sintflut, die nach dem ersten Adam kam, dem großen Adam, dem legendären Adam, würden sie es aufgeben und nach Hause gehen zu ihren Fernbedienungen und ihren fetten Frauen und fetten Kindern und fetten Hunden.
Über lange Zeit ist die zentrale Person im Roman nicht Adam Stensson, sondern Sara Hovarty Jennings. Boyle führt sie als – für mich – äußerst unsympathisch ein, als selbstverliebte Tussi, die gegen den Staat einen extremen Individualismus für sich reklamiert. Sie will ihren „Rastahund“ nicht gegen Tollwut impfen lassen, verdächtigt die „illegitime Regierung des Amerikas der Konzerne“ jeder Sauerei. (Ich wollte sie dauernd auf ihre Denkfehler hinweisen und gleichzeitig erschien sie mir zu daneben.)
Hatte sie den Sicherheitsgurt angelegt? Nein, hatte sie nicht, und sie würde es auch nicht tun, niemals. Diese Gurtpflicht war bloß eine weitere Schikane der Illegitimen Regierung des Amerikas der Konzerne, die 1933 den Goldstandard aufgegeben und ihre Bürger zu Bürgen gemacht hatte, damit sie sich immer mehr Geld leihen konnte. Aber sie war keine Untertanin, sie war eine souveräne Bürgerin, in Amerika geboren und aufgewachsen, und sie würde weder jetzt noch sonst irgendwann eine unrechtmäßige Autorität akzeptieren. Also hatte sie den Sicherheitsgurt nicht angelegt. Und sie hatte kein gültiges Nummernschild, oder vielmehr keines, das der Staat Kalifornien für gültig erachtete, (die Frist auf dem Aufkleber, der zum ursprünglichen Schild gehört hatte, war längst abgelaufen) und wenn sie in ihrem Privateigentum auf öffentlichen Straßen unterwegs war, dann war das ihre Sache und ging niemanden was an. (…). »Ich bin eine souveräne Bürgerin«, sagte sie und sprach so deutlich wie möglich, weil auf dem Rücksitz der Hund lärmte und die Reifen der anderen Wagen zischten, wenn all die weißhaarigen Rentner in die Bremsen stiegen und, nachdem sie sich alles gut angesehen hatten, wieder aufs Gas drückten. »Ich habe keinen Vertrag mit Ihnen.«
Für Adam wird Sara zur Bezugsperson, er muss bei ihr keine Denunziation fürchten. Sara, älter als Adam, frustriert, aber lebenstüchtig, wird für ihn zum mütterlichen Sexobjekt. Sie ist weich, hat große Titten, sie kocht für ihn und sie ist da, wenn er sie ficken will. Sie erlaubt Adam die Härte, erwartet keine Dankbarkeit und keine auf Dauer anglegte „Liebe“. HART auf HART, die perfekte Mesalliance.
Noch einmal zum Vater, Sten Stensson. Im ersten Kapitel erzählt Boyle, wie der pensionierte Lehrer auf einer Mittelamerikakreuzfahrt bewaffnete einheimische Räuber in die Flucht schlägt und einen von ihnen mit bloßen Händen erwürgt. Die Tat macht Furore und verschafft ihm – wieder zu Hause in Kalifornien – zahlreiche Sympathiebekundungen. Das Kapitel steht zunächst isoliert, schleicht sich aber immer wieder in Stens Grübeleien und somit in den Romankontext. Hat er sich mit dieser „Leistung“ nicht noch weiter von seinem Sohn entfernt? Ist noch weniger erreichbar? Oder ist diese Tat Indiz für in der Familie angelegte Gewaltbereitschaft? In Vietnam war das alles erlaubt.
Boyle gelingt es durch die Komposition die Ambivalenzen des amerikanischen Freiheitsbegriffs offenzulegen und damit auch den Leser an den Verunsicherungen zu beteiligen.
2015 400 Seiten
Video des Literaturclubs des SRF
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