Nachrichten vom Höllenhund


Caligula
8. Juli 2015, 19:48
Filed under: Theater

Albert Camus: Caligula
Inszenierung: Charlotte Koppenhöfer

Albert Camus sagt, das einzig „Philosophische“ an seinem Stück „Caligula“ sei der Satz: „Die Menschen sterben, und sie sind nicht glücklich.“ In welches Ressort aber soll das „Glück“ gehören, wenn nicht in die Philosophie, das Format für den Sinn des Lebens. Wie das Mädchen im Märchen meint Caligula, von der Sinnleere, der Einsamkeit geheilt werden zu können, wenn ihm jemand den Mond schenkt, den Himmelskörper, der die Liebe ist: LA luna. Das ist unmöglich. Später tritt Caligula als Venus auf, die schaumgeborene Göttin der Liebe, Tändelei, Blendwerk, Schaumbad.

cali1Der Beginn – das blöde Discostampf-Vorspiel zählt nicht – führt den modernen Theaterbesucher auf eine falsche Fährte: Caligula will die Staatseinnahmen erhöhen, doch der Staat ist einzig er, Caligula selbst. Er ist Alleinherrscher, Tyrann, wobei die Betonung auf Willkür liegt. Er muss seine bösen Spiele, seine volatilen Launen, seine Grausamkeiten nicht begründen. Nicht den Menschen gegenüber und nicht Gott; es gibt keine Instanz über ihm. Gott schneidet im Vergleich sogar schlecht ab, denn Gott ist nur der Schöpfer, Caligula dagegen der Zerstörer, der auch das Werk Gottes vernichten kann. Grausam sind beide. Caligula setzt sich an Gottes Stelle, als das Nichts, denn der Sinn ist implodiert. Er beginnt sein „Spiel“, will damit seinen Ennui vertreiben; letztlich vergeblich, wie er selbst von Anfang an weiß.

Caligula ist ein Intellektueller, er verbrämt seine Inszenierungen als „Pädagogik“. Jacob Kellerhat viel „philosophischen“ Text, den er schnell abspult. Es bleibt nicht viel hängen bei mir, aber das ist vielleicht auch egal. „Caligula“ ist kein cali2politisches Theater. Der Kaiser hat kein Interesse am Staat, er kreist um sich selbst. Insofern ist es sehr plausibel, ihn mit dem jungen Jacob Keller zu besetzen, der schon als Romeo gezeigt hat, dass er den unreifen Burschen beherrscht. Caligula ist noch Kind: Ich WILL aber meinen Mond! Mord! Caligula darf und muss exaltiert sein, darf seinen „Palast“ einreißen ,muss aufstampfen. Allerdings überschlägt sich seine Stimme, und das macht unglaubwürdig. Amüsant die Szene, als Caligula sich mit den Uniformen und Perücken der Diktatoren der Welt kostümiert und dann als Schlaks Keller posiert, verdutzt über sich selbst. Auch hier aber Irreführung, denn Caligula hat keine Ideologie für seine Diktatur. Das eben wäre politisch.

Der historische Caligula wurde nur 29 Jahre alt, war vier Jahre Kaiser, als es der Praetorianer-Garde zu viel wurde und sie ihn ermordeten. Camus’ Caligula fordert seine Ermordung ein als einzig möglichen Höhepunkt seiner Inszenierung, nur im Tod erhofft er die Freiheit. Das Stück entstand in den Jahren von 1939 – 1945, wurde 1945 uraufgeführt, jeglicher Sinn schien der Welt abhanden gekommen.

cali3Eine Riege mehr oder weniger getreuer Männer scharwenzelt um Caligula wie Motten um das Licht. Demütig, unterwürfig, schleimend, duldend, gedemütigt, hoffend, armselig. Auch in ihren Anzügen. Sie beugen den Rücken, auf dem die Tafel liegt, von der Caligula speisen will (oder auch nicht), sie applaudieren der zynisch-banalen Ballett-Vorführung Caligulas, sie saufen aus dem Trog, in den Caligulas „Vertrauter“ Helicon (gut: Thomas Birnstiel) gepinkelt hat. Das alles kann man als symptomatisch ansehen für das Verhalten der Untertanen, so ist der Mensch. (Was ich nicht verstanden habe: Weshalb Mucius/Michael Heuberger tot ist und nochmals auf die Bühne kriecht? Und wozu tragen einige der Männer so blöde Masken?)

Frauen gibt es, wie im wirklichen Leben, nur zwei. Mucius’ Frau (in der Besetzung hat sie keinen eigenen Namen, braucht sie auch keinen) ist nur zu dem Zweck auf der Bühne, vergewaltigt zu werden als menschenmöglichste Kulmination des Bösen. Als sie blutig auf die Rampe geschleift wird, gehen einige Zuschauer (warum eigentlich?). Caesonia ist die un-geliebte Muse Caligulas, deutlich älter, sie dient sich ihm an, drängt sich auf, kann nicht verstehen, dass es Caligula weder um Sex noch um Liebe geht; von beidem ist er angewidert, der Ekel gilt sich selbst. Franziska Sörensen spielt die schwierige Rolle nicht ungeschickt.

cali4Schön die Drehbühne von Julie Weideli mit dem getäfelten Palastraum, den Caligula bald nach Beginn in seine Einzelteile zerlegt, so dass er im Verlauf der Aufführung als Käfig immer weiter in den Abgrund rutschen kann. Die Bühnenschräge bietet sich zum Drauf-Rum-Klettern an, Spielraum und Teufelsrad zugleich. Immer wieder erfreuen hübsche und plausible Regieeinfälle, etwa wenn der Tischträger Gerhard Hermann auch noch eine Blume heilhalten muss, wenn die Camarilla dem Kaiser Geschenke in die transparente Strupfhose stopft, wenn Caligula den Verschwörungsbrief zerreißt und die Schnipsel schnee- oder blütengleich in die Luft bläst. Zwei Stunden zum Schauen und Nachdenken – auch über die anonymen Absurditäten der jetzigen Welt -, zwei Stunden intelligentes und kurzweiliges Schauspiel. Nicht zu vergessen die präsente musikalische Begleitung von Jan-S. Beyer.

Theater Regensburg – Aufführung am 3. Juli 2015-07-08


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