Nachrichten vom Höllenhund


Hoppla, wir sterben!
26. Juli 2015, 19:31
Filed under: Theater

Arnon Grünberg: Hoppla, wir sterben!
Inszenierung: Johan Simons

hoppla3Deutschland hat kein Afghanistan-Trauma! Afghanistan ist geografisch weit weg und nie in den deutschen Köpfen angekommen. Auch wenn Deutsche in Afghanistan-Romanen oder –Dramen vorgeführt werden, liegt die Attraktion eher in der Exotik des Schauplatzes. Afghanen, die mit Deutschen zu tun haben, etwa als Übersetzer, lassen wir ungern in unser Land, Deutsche, die in Afghanistan entführt oder getötet werden, betrauern wir für absehbare Zeit. Das Trauma stellt sich erst ein, wenn ein Flüchtling ins Nachbarhaus zieht oder uns der faule Grieche einen Kredit vor der Nase wegfressen will. Das Lieblingsgefühl der Deutschen ist die Angst, Afghanistan macht uns keine.

Arnon Grünbergs Oberstleutnant Fuchs, der in Afghanistan von Taliban entführt wurde, geht uns nichts an. Schicksal, ja, hoppla2aber weit weg, sogar fürs Theater unergiebig. Arnon Grünberg war in Afghanistan und für ein paar Wochen auch in München, er bringt Afghanistan also in die Maximilianstraße, als Auftragsarbeit, das kann abgehakt werden. Afghanistan ist zum Lagerfeuer geworden, viel zu heimelig, um zu ängstigen oder gar zu traumatisieren.

Arnon Grünberg macht sich viele Gedanken und schreibt darüber viele Worte. Ich weiß nicht, ob Johan Simons alle sprechen lässt, aber es sind viele, so viele, dass sie sich überlagern und auch in meinem Kopf nur mühsam zusammenfinden. Wäre es nicht die Aufgabe des Regisseurs, die Worte bühnentauglich zu machen, sie also nicht nur aufsagen zu lassen? Obwohl es hoppla4andererseits durchaus reizvoll sein kann, wenn die Wortkaskaden aus Benny Claessens herausfließen. (Wen spielt Benny Claessens eigentlich? Ach so, Benny Claessens, wie immer.)

Was hängenbleibt, ist Grünberg/Simons’ Spiel mit Identitäten, Relativitäten, Metamorphosen. Ist der Afghane wirklich einer? Ist er in Afghanistan nicht eher Moslem, hat er einen Identitätskern oder hängt es von den anderen ab, wer er ist, je weiter von der Heimat entfernt, desto ungewisser: Er könnte Araber sein, aber auch Bulgare, Türke, Zypriot gar. Annette Paulmann und Benny Claessens tauschen ihre Roben, wer ist jetzt der Mann, die Frau? Auch Anna Drexler kommt als Frau und als Mann daher. Im Araber steckt der Jude, Jeff Wilbusch spricht als orthodoxer Jude mit Schläfenlocken das Kaddisch.

Manches wirkt überflüssig. Etwa die Anspielungen auf die Maximilianstraße und ihre Shopping-Scheichs. Das sieht man in echt, wenn man vor oder nach dem Theater in der „Kulisse“ sitzt. (Gut, die Münchner fühlen sich ein wenig geschmeichelt.) Das Familiendrama um den verschollenen Oberstleutnant Fuchs: zum Vergesen. Der mit Beinprothese heimgekehrte Wolfgang Pregler nervt mit seinen in Endlosschleife gebrabbelten Plattitüden vom „halbneuen Menschen“ und seinen Phantasien von der Züchtung neudeutscher Frauen. Marie Jung findet als Tochter Fuchs keine Rolle und irrt auf der Bühne umher.

Die Hoffnung, dass das Lagerfeuer, wie es seine Art wäre, langsam herunterbrennt und damit ein Ende des Stückes andeutet, erlischt, Annette Paulmanns Slapstick-Einlagen als „Merkel“ sind leidlich amüsant, leider bringen sie den hoppla1vorgetäuschten Ernst des Stückes nicht ins Kippen. „Gedankenspuk bei Funkenflug“, fällt Christine Dössel ein. (SZ) Grünberg verhandelt Krieg und Vaterland und Schuld und viele große Begriffe – die Aufführung verplempert sie.

Arnon Grünbergs kluge Ideen und Johan Simons Inszenierung finden nicht zusammen, auch weil Simons zu wenig ordnet und strafft – nach der Beckenbauerschen Devise: Geht’s raus und spielt’s Theater. Schade vor allem auch, weil ich mir für André Jung eine bessere Rolle zu seinem Münchner Abschied gewünscht hätte. Das Thema seines Eingangs-Monologs, „Der Diskrete“, hätte gut gepasst. Ach ja, das Streichquartett spielte auch, setzte aber keine eigenen Akzente.

Kammerspiele München – Aufführung am 23. Juli 2015


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