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Wolfram Lotz: Die lächerliche Finsternis
Inszenierung: Hannes Weiler
Ich bin es gewohnt, in Zusammenhängen zu denken, mir aus den Teilen ein Ganzes zu bilden, das nicht unbedingt einen Sinn ergeben, aber doch plausibel sein soll. Es gibt die Logik des vorher – nachher, des wenn – dann, der Suche nach Vernunft. Daraus entstehen meine Wirklichkeiten, wenn ich mich nicht irre, hihihi.
Für Wolfram Lotz ist die Wirklichkeit „ein löchriger Schuh, den wir uns so nicht anziehen werden … Wenn wir schreiben, fordern wir eine Autonomie von der Welt! Darüber sollten wir uns im Klaren sein. Wenn wir schreiben, so schreiben wir nicht einfach die Welt ab (wie sollte das überhaupt gehen), sondern wir entwerfen Vorschläge, Änderungen, Forderungen, indem wir die Welt nicht sehen, wie sie ist, sondern wie sie für uns ist, und wie sie sein könnte, wenn man uns lassen würde, oder wie sie nicht wäre, niemals.“ (REDE ZUM UNMÖGLICHEN THEATER) Die Welt wieder als Vorstellung, aber nicht als Ideal, das geht nicht mehr, sondern in Sprengseln, Partikeln, Pixeln. Da auch die Logiken verschummern, implantiert der Dichter neue. „Es ist, wie wir wollen, dass es wird! So ist es! So ist es nicht!“
Oberstleutnant Deutinger ist abgängig, verrückt oder tot. Oder es gibt ihn gar nicht. Der „Autor“, eine Spielfigur, gespielt als hornbrilliger Geek von Jacob Keller, hat Varianten im Angebot. Der Hindukusch sollte ein Gebirge sein, geht hier aber als Fluss durch. Michael Heuberger ist Mutter, im ausgestellten Reifrock, „Die Dings, die Dings, die Mutter!“ „Was, wer?“ „Die Dings, die Dings, die Mutter!“, wird aber auch als Vater angesprochen. Er (sie?) liefert sich mit ihrem dichtenden Sohn ein lautmalerisches Wortduell, akkustischerSlapstick incl. Rascheltanz, vielleicht die amüsanteste Szene des Spiels. Applaus.
Wir sind in Afghanistan und im dortigen Dschungel, falls es dort einen Dschungel gibt, sind die Wirklichkeiten noch fragwürdiger als im Haus nebenan. [10 Jahre lang hat die Bundeswehr die deutsche Sicherheit in Kundus verteidigt, am 28. September 2015, dem Tag der Aufführung von „Die lächerliche Finsternis“, melden die Nachrichten, dass die Taliban die Stadt am Hindukusch erobert haben. 10 Jahre vorgetäuschte Plausibilitäten im *Arsch. Lächerlich?]
Wolfram Lotz lehnt seine Reisebeschreibung an Joseph Conrads „Herz der Finsternis“. Kapitän Marlow fährt den Kongo hinauf, er „muß inmitten des Unverständlichen leben, das obendrein widerwärtig ist, (der) Sehnsucht, von hier fortzukommen, den ohnmächtigen Abscheu, das Ausgeliefertsein”. “Hier herrschte gestern noch Finsternis“ und Marlow will ein Licht bringen, nicht das der Aufklärung, sondern das der weißen Kolonisation.
In Lotz’ Stück, das als Hörspiel konzipiert war, führt Hauptfeldwebel Pellner durch den Abend. Er weiß wenig mehr als dass er den abtrünnigen Deutinger auftreiben soll, um ihn zu liquidieren. Gunnar Blume verkörpert den belfernden Soldaten ganz hervorragend.Er macht viele Worte, die aber den Sinn eher vernebeln sollen. Sebastian M. Winkler begleitet ihn als treudoofer EX-DDRler Gefreiter Dorsch, eine nur als stille Kontrastfigur ergiebige Rolle. Auf ihrer Bootsfahrt durch den Dschungel stoßen sie auf eine Reihe abgefuckter Fransenexistenzen. Lodetti echauffiert sich über die Eingeborenen, die ihre Bonbonpapierln nicht in den Fluss schmeißen, sondern auf die Wiese und darauf auch scheißen. Reverend Carter will die Wilden missionieren, damit die verhüllungspflichtigen Musliminnen endlich ihre Beine und Ärsche zeigen können. Frerk Brockmeyer ist beide: der Italiener Lodetti und er erzählt als Reverend das Gleichnis vom Lippenbär. Allein, auch Gleichnisse gleichen nichts mehr, die Suche nach einer Moral wird grandios unterlaufen. Aber hübsch ist es doch, dem gestenreichen Brockmeyer zuzusehen. Der dem Krieg entflohene Jugoslawe Bojan Stojkovic hat bei einem Bombeneinschlag seine Hütte in Kundus samt Frau und Kind verloren, jetzt verkauft er in seinem kleinen Boot alle Waren der Welt, die Soldaten nehmen ihm nichts ab und er entfernt sich wieder, schrumpft zum Pixel, nichts.
Und dann ist da noch Ulrike Requadt, die sich vor dem Hamburger Gericht verteidigt, indem sie ihre Geschichte als schwarzer somalischer Fischer/Pirat Ultimo Michael Pussi erzählt. (Regisseur Weiler stellt die Szene um.) Sie macht das intensiv und berührend, später taucht sie im Hindukusch auf, wohin sie über den Meeresgrund gewandert ist. Das Meer war leer(gefischt) und der Hindukusch ist auch versiegt. Vielleicht war aber alles auch ganz anders. Egal, so spielt man heute. Version 3.1. Oder 7.
„Die lächerliche Finsternis“ wurde 2015 zum Stück des Jahres gekürt, es muss etwas mit den verstruwwelten Wirklichkeitsbildern der jetzigen Zeit zu tun haben. Es ist – natürlich – trotz der verklumpten Sujets kein politisches Theater. „Das Theater der Wirklichkeit und die Wirklichkeit des Theaters gehören zusammen.“ (Dramaturg Daniel Thierjung) Wie, kann man sehen, man muss es nicht verstehen. Es wird noch eine Weile dauern, bis man sich die Zusammenhänge wieder zu erkennen und darzustellen traut. Das Stück geht auch als Nummernrevue durch, zusammengepusselt wird es eh in meinem Kopf. In Regensburg hat Regisseur Hannes Weiler die „Finsternis“ überzeugend inszeniert, auf der Bühne stand das Wasser knöchelhoch. Videos muss man einsetzen, als Wirklichkeit 2.0 und weil man die Technik dazu hat. Alle Schauspieler machen ihre Sache gut, sie haben mehr zu sprechen als zu spielen.
Theater Regensburg – Aufführung am 28. September 2015
Fotos: Jochen Quast
P.S. Samt & Selters, zwei Mädels als Regensburgs „nüchterne Theaterkritik“erinnen, fanden als „Das Beste am Stück:Noch nie wurde am Theater Regensburg so authentisch verzweifelt eine Salatgurke fellationiert. Gegessen. Fellationiert. Also. Ahem. Ihr wisst schon. Das war schon ordentlich beeindruckend, Sebastian M. Winkler.“ Pussig, dafür geht man heute ins Theater.
P.P.S Das Wiener Burg(Akademie)-Theater wurde für seine Inszenierung vielfach ausgezeichnet. Die „Pause“ war in Wien besser durchgespielt, die vier Darstellerinnen zerhäckselten lautstark die Kulissen und sangen dazu „The Lion Sleeps Tonight“, 20 Minuten lang, mein Lieblingslied. (Hier die Version der Tokens) Das ist nicht zu toppen. Aber Regensburg war auch nicht schlecht.
*Ich verwende das Wort nur (ungern), weil Lodetti (oder Deutinger?) einen Traum erzählt, wo er durch den Arsch in seine Eingeweide schippert, eine Reise in die ausweglose Finsternis. Chiffre!
Wolfram Lotz über „Die lächerliche Finsternis“ (youtube 4:00)
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