Dörte Hansen: Altes Land
Zwei Mal lässt Dörte Hansen Flüchtlinge einfallen ins Alte Land.
Flüchtlinge suchte man nicht aus, man lud sie auch nicht ein, sie kamen einfach angeschneit mit leeren Händen und wirren Plänen, sie brachten alles durcheinander.
In das Haus der Bäuerin Ida Eckhoff quartieren sich 1945 Flüchtlinge aus Ostpreußen ein, Hildegard von Kamcke und ihre Tochter Vera, Frauen von Adel mit Flügel, kulturellem Gehabe und nicht fürs einfache Landleben vorgesehen. Vera bleibt ihr Leben lang, ihre Beziehung zum alten Bauernhaus bleibt aber prekär. „Dit Huus is mien und doch nich mien, de no mi kummt, nennt’t ook noch sien.“ Sie wird nicht heimisch, lässt das Haus verkommen, trifft sich erst spät mit Nachbar Heinrich zum Halma spielen.
Nach 2000 wird das Alte Land von anderen Neubürgern geflutet. Stadtflüchtenden, die auf dem „Gummistiefellland“ das „echte“ Leben für sich entdecken, Land & Lecker, auch sie bringen vieles durcheinander mit ihrem romantisierenden Blick, „Landplagen“ nennt Dörte Hansen ein Kapitel. Auch Veras Enkelin Anne wird aus den Kurven ihres Lebens vom Schickimicki-Viertel Hamburgs in die Deftigkeit des Bauernlandes geschleudert, samt Sohn Leon und Kaninchen Willy. Das Alte Land stemmt sich entgegen, kraftlos, denn auch von innen drohen die Kräfte der Veränderung: Heinrich Lührs Söhne wandern ab, sie wollen nicht mehr Bauern werden. Altes Land – neue Zeit.
Dörte Hansen macht sich ihre Gedanken dazu. Sie fragt sich
… wie man so wurde. Ob es die Landschaft war, die das mit ihnen machte, die Bäume, die Elbe. Ob es daran liegen konnte, dass die Väter ihrer Väter einen Fluss bezwungen hatten, ihn in die Schranken verwiesen, in Deiche gelegt, ihre Gräben und Kanäle in sein weiches Vorland getrieben. Dass sie das Land, auf dem sie lebten, nicht einfach vorgefunden hatten, sie hatten es gemacht.
Und dann ihre riesigen Häuser gebaut, Hallenhäuser wie Kathedralen, und damit priesen sie sich selbst, Schöpfer des Marschbodens, keine Götter, keine Bauern, irgendwas dazwischen.
Vielleicht standen Männer wie Heinrich Lührs und Dirk zum Felde deshalb so vor einem, Halbgötter mit Harken und Baumscheren. Und fünfjährige Altländer Jungen stampften mit Gummistiefelgröße 29 Schädlinge in diesen Boden.
Vielleicht bekam man es vererbt, wenn man hineingeboren wurde in eine dieser Marschfamilien, wenn man Teil eines Fachwerks war von Anfang an. Man kannte seinen Platz und seinen Rang in dieser Landschaft, es ging immer nach dem Alter: Erst kam der Fluss, dann kam das Land, dann kamen Backsteine und Eichenbalken und dann die Menschen mit den alten Namen, denen das Land gehörte und die alten Häuser.
Alles, was dann noch kam, die Ausgebombten, Weggejagten, Großstadtmüden, die Landlosen und Heimatsucher, waren nur Flugsand und angespülter Schaum. Fahrendes Volk, das auf den Wegen bleiben musste.
Runter von der Leiter, weg von derAuf fahrt, ein Schädling.
Anne fragte sich, wie lange man hierbleiben musste,
um nicht mehr fremd zu sein. Ein Leben war wohl nicht genug.
»Danke für die Leiter«, sagte sie, »einfach nicht hingucken beim nächsten Mal! «
Das alte Bauernhaus legt Hansen zum Symbol für die Unbehaustheit an. Die Flucht aus Ostpreußen ist nicht Thema des Romans, nur Kontrastbild zu den aktuellen Überlagerungen der Tradition. Gern “entlarvt sie höchst pointenträchtig die Ideologie der neuen Landlust unserer Gegenwart“ (Dennis Scheck) und auch ihre karikierenden Abrechnungen mit den Szene-Familien aus Hamburg-Ottensen, der Spielplatz-Mütter, die, „wie gutmütige Familienhunde, die Schnuller und Trinkflaschen apportierten, die ihre Kleinkinder aus den Buggys warfen“, machen sich selbstständig, tragen zum klischeeerfüllten Lesevergnügen bei, fügen sich aber nur bedingt in die Konzeption zum Roman ein.
Sie kochte mit Agar-Agar, das war eben nicht so idiotensicher wie Gelierzucker. In Evas Marmeladen-Manufaktur gab es ausschließlich vegane Aufstriche, Gelees und Konfitüren.
Die Trampel vom Landfrauenverein hatten noch nicht einmal gewusst, dass es das gab! Hauten immer schön den Gelierzucker in ihre Marmeladen – und rümpften ihre Nasen über Evas Zucchini- und Kürbismarmelade. Was der Bauer nicht kennt! (…)
Am besten liefen ihre sortenreinen Apfelgelees, Eva ließ sich die alten Sorten von einem Pomologen liefern, genialer Typ, ein Quereinsteiger, der früher Orientalistik studiert hatte. Man merkte schon, dass so ein Mann einen anderen Horizont hatte als der normale Altländer Bauer. Es würde noch viel Überzeugungsarbeit nötig sein, bevor jemand wie Dirk zum Felde endlich realisierte, dass der moderne Obstbau mit seinen Überzüchtungen und Überdüngungen und seinen Monokulturen und der ganzen Gentechnologie ein Irrsinn war. Kompletter Irrsinn!
Da war er als Journalist natürlich auch gefragt, er plante ein Porträt des Pomologen für die Herbstausgabe von Land & Lecker. Und Eva hatte sich im letzten Jahr schon ein paar alte Sorten in den Garten gepflanzt, Ananasrenette, Horneburger Pfannkuchenapfel, Juwel von Kirchwerder, erst mal nur drei von jeder Sorte, aber ein Anfang.
Das „Land“ wird nicht verklärt, Dörte Hansens lakonisch präziser Stil distanziert sich auch davon, dennoch kann man es schade finden, dass es das “Alte” Land so nicht mehr gibt. Kommt gerade eine neue Flüchtlingsgeneration? Stoff für eine Fortsetzung.
2015 290 Seiten
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