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Konstantin Küspert: pest
Inszenierung: Katrin Plötner
Man kann den Glauben nicht im Roman oder auf der Bühne erzählen; man kann beschreiben und darstellen, was sich die Gläubigen aufladen, wie sie mit ihren Ideen/Idealen ringen, welche (un)menschlichen Folgen die Verabsolutierung solcher Obsessionen zeitigen kann.
Man kann ein Wirtschaftssystem (den Kapitalismus) nicht literarisieren oder dramatisieren. Solche Versuche zeigen die physischen und psychischen /Ver-/Zer-)Störungen der Akteure und der getroffenen Objekte. Annäherungen gelingen durch die Erhöhung auf eine Vermittlungsebene: die Parabel, das erzählte Gleichnis. Das erfordert vom Leser oder Zuschauer die Übertragung, das Vor-Wissen.
Man kann die Quantenmechanik so wenig sichtbar machen wie die zitierte Katze von Schrödinger. Die Wissenschaft versperrt sich der Anschauung. Dramaturgische Beiträge befassen sich mit denAuswirkungen physikalischer oder chemischer Prozesse, meist aber eher mit Macht-Fragen (Dürrenmatts Physiker, Brechts Galilei). Auch die Plattentektonik ließe sich in der Literatur nur anhand der Opfer von Erdbeben zeigen.
Konstantin Küspert will die „Theorie der Multiversen“ auf die Bühne bringen. „Unsere Welt ist nur eine von vielen. Immerzu entstehen und vergehen unzählige Paralleluniversen: In den meisten gibt es keine Lebewesen, in manchen jagen Pflanzen Säugetiere, und in einigen leben perfekte Kopien unserer selbst. Jeder eingeschlagene Weg spaltet ein weiteres Universum ab.“ (Ankündigung) Das ist Postmoderne, in der gespielten Vereinfachung Thema für SF. Als wissenschaftliche Grundlage seines Stückes „pest“ steht eher die „Chaostheorie“: Kleinste Ursachen (der Schmetterling) können größte – und damit nicht vorherseh- und –sagbare Folgen haben (der Tsunami). Küspert spielt diese Relationen durch und verlegt die Ergebnisse in einige (von unendlich vielen) Parallelwelten. Für das Stück hätte auch eine Welt ausgereicht, doch hätte er dann auf ein Schibboleth verzichtet. Möglicherweise wären die Konsequenzen plausibler und in der Resonanz wuchtiger geworden.
Georgios wird von seinem Vater zum Fußball-Proft geprügelt, obwohl er lieber in die Schule gehen und Physik lernen würde. Mir scheint ein Fußballer als dramatischer „Held“ weniger geeignet, die Fallhöhe ist gering. Der Abstand vom Fußballer zu den angebotenen Pimp-Versionen Wissenschaftler bzw. Terrorist dagegen wirkt sehr groß. (Vielleicht hat Küspert eigene Erfahrungen zu verarbeiten?) Egal.
In Küsperts Variationen führt jede Entscheidung zur Katastrophe. Als Fußballer wird Georgios zum alkoholsüchtigen Mörder, als Wissenschaftler verursacht er einen verwüstenden Unfall im Atomreaktor, als Söldner sprengt er ein Schiff (und sich selbst) in die Luft. Die Unfälle müssen die größten anzunehmenden sein, um gehörig zu erschrecken; gleichzeitig wirken sie in dieser Übertreibung wie die Katastrophen im Cartoon. Der zu Schaden Gekommene steht gleich wieder auf, wozu gibt es sonst Parallelwelten. Empathie mit den Figuren kommt im Theater nicht auf, der Tote könnte ja auch ein anderer sein, vielleicht auch viele andere. Auch die Fragen nach Schuld und Verantwortung verdiversifizieren sich. Egal.
Ein Aufführungsproblem: Die Katastrophe lässt sich nicht darstellen, sondern nur erzählen. Die Bühnen-Performance wirkt eher ulkig denn erschütternd. Zwei der fünf Schauspieler agieren im Turnus als Kommentatoren – und liefern zudem den Soundtrack, sie knurren, knispern, piepen, gurren. Intonieren das heitere Lied vom Girl from Ipanema und werfen Plastikfuzzel wie Konfetti. Die Schnipsel werden mehr und mehr und begraben schließlich die Akteure. Symbol.
Katrin Plötner kann aus Küsperts Vorlage kein Theater der Wissenschaft, der Theorie machen. Sie macht aber Küsperts Spiel der Variationen mit, indem sie die Schauspieler die Rollen wechseln lässt. Jede(r) ist jeder, auch Beobachter, Erklärer. Man merkt den Darstellern an, dass ihnen das Spaß macht: Sina Reiß, Ulrike Requadt, Patrick O. Beck, Michael Haake, Jacob Keller in schnell gewechselten Kostümen, mit dem selben Text. Auf der Bühne von Anneliese Neudecker trennt ein fahrbares Gerüst die Welten voneinander, es entstehen farblich akzentuierte Symmetrien, die Plastikfluten werden mitsamt den Spielern zur Seite geräumt. Der Zuschauer muss keine Angst haben, er ist durch einen schwarzen Gaze-Vorhang (den hat man zurzeit gerne) vor zu viel theatralischer Einwirkung geschützt.
Es war gar nicht so viel Publikum da, manche der Anwesenden wähnten sich offenbar in einer Parallelwelt. Höflicher Applaus. Mir wurden erst im After-Play-Talk einige der Implikate – ein bisschen – klarer.
Theater Regensburg – Aufführung am 14. Dezember 2015
Fotos: Jochen Quast
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