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Goethe: Faust
Inszenierung: Bernd Liepold-Mosser
Der Vorhang ist offen, die Schauspieler nehmen ihre Plätze ein, setzen sich auf die hohen Stufen der kargen Bühne, Sauna, Stadion, Amphitheater, alles sieht nach Sichtbeton aus, man braucht keine Illusionen. Keine Studierstube, keinen Kerker, keine Hexenküche. Man darf – immer noch – darauf vertrauen, dass das Publikum den „Faust“ kennt, ihn vielleicht schon mal in Regensburg gesehen hat, den Schülern wird er auch im G8 noch nahegebracht.
Die Bühne (Monika Frenz) ist praktisch, erfordert keine Umbauten, auf die Stufen lässt sich gut projizieren. Eins schöne Idee, gleich mehrere Gretchen auflaufen zu lassen, nur eines wird das echte sein, aber Mephisto weiß, dass Gretchen keinen Alleinvertretungsanspruch hat: „Sie ist die erste nicht“, der dieses Mädchenschicksal zustößt. Auch der Klangtechniker (Markus Steinkellner – IDKLANG) steht bereit, Hildegard Krost (später auch ein bisschen Hexe und kurz die alte Baucis) spricht die Geleitworte. Der HErr (Robert Herrmanns) recherchiert noch im Laptop, die Wette wird bekanntgegeben. Das Spiel wird beginnen.
Bernd Liepold-Mosser streicht viel weg in Regensburg. Der quälend lange Monolog Fausts wird ordentlich gestrafft, Mephisto muss sich nicht als Pudel einschleichen, er sitzt eh shon auf seiner Stufe, der Erdgeist weg, die makrokosmischen Deutereien, das versteht eh keiner. Die Osterglocken dürfen bleiben (als himmlisches IDKLANG-Gesäusel), sie halten Faust davon ab, sich mit der Phiole zu erschießen. Weiter geht’s im Sauseschritt. Mit ein paar An-Klängen werden die Erinnerungen der Zuschauer herbeigelockt. Zur Verjüngung zieht sich Gerhard Hermann Jacke und Schuhe aus (Weshalb ? Er soll doch Gretchens „Herr … aus einem edlen Haus“ sein.), ohne Hoodie und Perücke wird Patrick O. Beck zum charmanten, aber wenig teuflisch kahlen Mephisto, Margarete Andine Pfrepper darf im seltsam ent-/verhüllenden Goldkleid zum Gretchen erblühen.
Die Streichfassung hat ihren gehörigen Preis. Der Plot kommt aber doch ganz gut rüber, der Text ist ja original. Problematischer wird das Spiel von Wissenschaft und Verzweiflung. Kein „Ach“, das Zauberwort des Faust, die Gefühle werden meist ausgelagert – in Light & Sound. (Das kann beeindruckend sein; man denke nur an Viscontis Verfilmung von „Der Tod in Venedig“, wo das Adagietto aus Mahlers 5. Symphonie Aschenbachs Qualen trägt.) In Regensburg erdrückt der Bombast, was in der „Hexenküche“ oder in der „Walpurgisnacht“ noch angehen mag. In der Walpurgisnacht versinken Lust und Sinnlichkeit in lauten Tönen und zappelnden Projektionen, die Walpurgisnacht lässt man aus dem Reclam-Heftchen vorlesen. Ein Hauptmanko der Inszenierung: Sie ist zu brav und blutleer. Fausts Gehampel in der Hexenküche wirkt peinlich, seine Treppenläufe wirken nicht „unbehaust“, sondern zappelig.“ Alles sehr bewegt und doch vollkommen statisch, man könnte auch sagen: Gerade weil sich nichts rührt, müssen vor allem die Herren Faust und Teufel die hohen Arena-Treppen hinauf- und hinuntertoben.“ (Helmut Hein, MZ) Das hat der „Faust“ bei aller modernen Ernüchterung nicht verdient.
„Faust. Der Tragödie erster Teil“ hat kein befriedigendes Ende. Gretchen akzeptiert ihren Tod, doch Faust schläft nicht nur ein (wie alle Männer in solchen Situationen?), er lebt weiter, macht sich anheischig, sein Programm zu erfüllen. In der Frau seine Erfüllung zu finden, ist für Faust nur „die kleine Welt“. Zum Augenblick zu sagen: „Verweile doch! du bist so schön!“ kann er erst, wenn sein Streben nicht nur sich selbst, sondern der Menschheit zugute kommt. Sein Projekt besteht darin, dem Meer Siedlungsland abzuringen. Das erschien zu Goethes Zeiten wohl positiv, (die Opferung der Anwohner, Philemon und Baucis, sei’s drum.) Darin realisiert sich Fausts aufklärerische Bibel-Übersetzung: „Im Anfang war die Tat!“ Das hat Liepold-Mosser aber gestrichen, insofern ergibt sich ein Problem mit der Continuity. (Nicht das einzige!)
Dennoch ist der Gedanke plausibel, die Aufführung nicht mit dem Verdauungsschlaf Fausts enden zu lassen, sondern aus Faust II noch Teile des V. Akts hereinzunehmen. (Faust II enthält im übrigen viel selbstgefällig getretenen Wissensprotz. Weg damit.) Erst jetzt kann Faust sterben, die Seele wird dem Teufel abgeluchst.
Ein „Faust“, der stark auf den Text und seinen unendlichen Zitatenschatz vertraut, ein „Faust“, der wenig erspielte Sinnlichkeit bietet, ein zu braver „Faust“, der zu viel auf verwackelte Projektionen und blubbernde Töne setzt. Vielleicht will man den „Faust“ so vorführen, wenn man weiß, dass er schon so oft veraktualisiert wurde. Vielleicht muss man den „Faust“ aber auch nicht spielen, wenn man ihn so reduziert.
Die eindringlichste, spannendste Stelle: Der Dialog zwischen Faust und Helena. Faust spricht am Bühnenrand ins Mikrofon, Helena (auch Andine Pfrepper)steht auf der höchsten Stufe, weit weg und doch nah, nur das Wort ist wichtig, Gerhard Hermann muss nicht mehr hampeln oder hyperventilieren, Andine Pfrepper darf – und kann – Mädchen sein. Sie ist – und war das ganze Stück über – Faust überlegen, nicht nur, aber auch in Andine Pfreppers Spiel.
Helena Liebe, menschlich zu beglücken, Nähert sie ein edles Zwei, Doch zu göttlichem Entzücken Bildet sie ein köstlich Drei. |
Faust Alles ist sodann gefunden: Ich bin dein, und du bist mein; Und so stehen wir verbunden, Dürft‘ es doch nicht anders sein! |
Theater Regensburg – Aufführung am 12. Januar 2016
Fotos: Jochen Quast
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