Nachrichten vom Höllenhund


Rocco und seine Brüder
19. Januar 2016, 17:00
Filed under: Theater

Rocco und seine Brüder
Nach dem Film von Luchino Visconti
Bühnenfassung und Inszenierung:
Simon Stone

Muss man Filme im Theater nachspielen? Fellini, Kaurismäki, jetzt Visconti zum wiederholten Mal in den Kammerspielen? Sind Filme nicht für ein anderes Medium konzipiert, sind sie nicht in ihre Entstehungszeit eingebunden? Viscontis „Rocco und seine Brüder “ stammt von 1960, das ist mehr als ein halbes Jahrhundert.

rocco1Manche Dinge aber haben sich nicht geändert. Träume von einem besseren Leben etwa. Und dass man dafür oft seine Heimat verlassen muss. Die italienischen Visionen gehen nach Norden, dorthin, wo es kälter ist, wo man sich aber etwas kaufen kann. Für Geld, wenn man es hat. Die Witwe Rosaria Parondi zieht mit vier Söhnen in die große Stadt, wo der älteste Sohn Vincenco schon länger lebt und eine Familie gegründet hat. Ciro findet Arbeit in einer Fabrik und scheint damit zufrieden, besonders Simones Traum scheint sich zu erfüllen. Er gewinnt als Boxer ein paar Kämpfe, lässt sich von schnellem Geld, Champagner und Frauen blenden und verfällt auch psychisch, nachdem er nach verlorenen Fights fallengelassen wird. Er merkt, dass er die Nutte Nadia nicht halten kann, als diese einen Berufsfehler macht und sich verliebt: in den sensiblen und charmanten Bruder Rocco. In seiner Raserei vergewaltigt Simone Nadia und bringt sie um. Rocco, der Familienmensch springt für die Schulden seines Bruders ein und verdingt sich seinerseits als Boxer.

Samouil Stoyanov ist als Simone der präsenteste Sohn, er wirkt trotz österreichischen Dialekts und Bauchansatz authentisch in seiner labilen Aggressivität. Die anderen Brüder unterscheiden sich in ihren Charakteristiken, agieren jedoch wesentlich zurückhaltender als Simone. Die Sprache hat Simon Stone dem Milieu angepasst, sie ist „verfickt“ hip, einigen der Kritikerinnen geht das „schwer auf die Nerven oder die hier viel zitierten Eier” (Christine Dössel, SZ). Ohne WhatsApp-Nachrichten und Instagram funktioniert heute die Kommunikation nicht, die PS 4 und das iPhone 6s sind Teile des Traums. Das hat im Theater keine Moral und keine Botschaft, 2015 würde das aber auch aufgesetzt wirken. Wenn der rocco4Zuschauer will, kann er sich vieles selbst denken. Eher eine Nebenrolle hat Wiebke Puls als Mutter Parondi zu spielen; sie träumt von einer Mikrowelle.

An der Handlung hält Simon Stone fest. Temporeich sprechen im ersten Teil alle übereinander her (früher ließ dies auf Italien schließen), die Schauplätze wechseln oft mitten im Satz, werden aber mit roter Leuchtschrift annonciert: Hotel, Strand, Parkplatz, Boxclub, in eingespielter Routine treffen sich hier die Figuren. Die Bühne lässt viel Raum, die Szenerie darf sich der Zuschauer ausmalen. Nach der Pause steht ein ausgebrannter weißer Golf im Hintergrund – der Ruhm ist zu leicht vergänglich. Die Schläge werden, unkontrollierter, roher, lebensbedrohender. Der Boxring, der gegen Ende vom rocco2Schnürboden herabschwebt, ist eigentlich überflüssig, in seiner effektvollen Beleuchtung aber schön anzusehen. Zuletzt steigt Nadia in den Ring, zieht den Mantel aus und tänzelt sich boxend Kraft und Mut an. Sie weiß, dass sie stärker ist als Simone und dass ihr gerade das zum Verhängnis wird.

Er solle sie umbringen, schreit und fleht Nadia Simone an. Das wäre ihr letzter Triumph,sie wird Simone mit in den Abgrund reißen. Brigitte Hobmeier ist die stärkste Person des Abends. Sie steigert sich von der vulgären Nutte über die Frau, die sich traut zu lieben, zur verzweifelten Rächerin. Sie hat die Stimme, die leise sein kann und auch sehr laut, durchdringend bis weit in rocco3den Zuschauerraum.

Am Schluss steht Luca allein und weiß nicht, was er mit dem Boxsack anfangen soll. Viel Hoffnung gibt’s nicht.

Die Kritikerinnen sind erfreut, dass in den Kammerspielen endlich – wieder – einmal “Repräsentations- und Identifikationstheater” stattfindet. “Endlich wieder Figuren!“ jubelt Sabine Leucht (nachtkritik.de).

Theaterfilme sind beliebt, weshalb nicht auch Filmtheater. Simon Stone bringt das Geschehen ins Heute und setzt das Spiel in rasante Bewegung mit ein bisschen Tiefgang, manch schönen Bildern, ein paar ganz lustigen Pointen. guten bis sehr guten Schauspielern. Ob da ein Film Pate stand, ist eher nebensächlich. Nächstes Mal darfs dann wieder Performance sein.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 5. Januar 2016


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