Nachrichten vom Höllenhund


Platonow
3. Februar 2016, 20:15
Filed under: Theater

Anton Tschechow: Platonow
Inszenierung: Robin Telfer

Es ist Party-Zeit. Einer nach dem anderen treffen die Gäste ein, mehr Männer als Frauen, um die 30 oder ein wenig älter, aus gutem Hause und etabliert, könnte man meinen, aber auch ein Ganove und ein Lehrer sind dabei. Häppchen und Drinks, Smalltalk, es geht ums Leben als solches und die Karriere und – natürlich – auch ums Geld, von dem man immer zu wenig hat und von dem man immer mehr möchte. Ein wenig эротика, Stoff für die Telenovela, die Serie.

plato1Das Fest findet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt und nennt sich deshalb „Abendgesellschaft“. Es versammelt sich die „Enzyklopädie des russischen Lebens“, wie sie sich der 18-jährige Anton Tschechow vorstellte, der kommende Erfolgsautor von Prosa und Bühnenstücken. Thema ist die Klage über die verlorene Zeit, die verflossenen „guten Jahre“, über die enttäuschende Gegenwart, die eigene Nutz- und Hoffnungslosigkeit. Geld wäre auch nicht schlecht, wofür auch immer. Wer Sorgen sein eigen nennt, braucht auch Wodka, um die blasierten Gefühle auskotzen zu können.

Weil Russland, stehen auf der Bühne Birkenstämme, weil Russland, hält man das Geplapper für tiefseelig. Wieder die Frage, ob man spielen muss, was vor 130 Jahren gedacht war als Ausbreitungen zur Tristesse der spätpubertierenden russischen „Charaktere“. (Tschechows Stück hätte 7 Stunden dauern sollen.) Wieder die Frage, ob es möglich und sinnvoll ist, Hohlheit und Langeweile zu entlarven, indem man sie in Echtzeit vorführt.

plato2Man könnte „Platonow“ naturalistisch anlegen, im historischen Bühnenbild, in historischen Kostümen – so war das damals. Man könnte das Stück aktualisieren, mit dem Establishment von heute ausstatten: Bankern statt Gutsherren, Bosse statt Generälen, der Arzt darf bleiben, den Dorflehrer müsste man einschmuggeln. Loft, Pool, Drogen, Geschwätz – so ist das immer noch. All das wurde versucht – in Regensburg baut Monika Frenz eine offene Bühne mit Stahlrohrkonstrukten, draußen ist wie drinnen, eine Allround-, eine Allerweltskulisse mit beleuchteten Tageszeiten. Die Bühne legt die Inszenierung nicht fest und auch die Kostüme sind zeitlos unoriginell, bieder, darin kann sich jeder verstecken.

Platonow, der Dorflehrer, sei ein Schwätzer, ein Lästerer, nicht ungebildet, amüsant, aber verlottert, desillusioniert, antriebslos, fast Zyniker – und ein Womanizer, ein Chickmagnet. plato4Kaum sind Frauen in seiner Nähe, fangen sie an, erotisch zu vibrieren, alle verfallen sie ihm. Man müsste die Frauen im Publikum fragen, aber Frerk Brockmeyer ist das wohl alles nicht. Der Text ist da, die Ausstrahlung aber dringt nicht durch, ist zu verhuscht, zu knuffig. Da das Stück vom Platonow lebt, lebt das Stück in Regensburg nicht. Es bebt nicht, nicht ,mal beim Vollzug. (Oh Textbuch aber auch!)  Auch die anderen Männer spielen ihre Rollen ordentlich. Michael Heuberger nimmt man den Gutsbesitzer Porfirij Semjonowitsch Glagoljew im weißen Anzug ab, Patrick O. Beck darf ein bisschen lustig sein und sich als versoffener Landarzt Nikolaj Iwanowitsch Triletzki auskotzen. Robert Herrmanns schwärmt als abgebrannter Gutsbesitzersohn Kirill Porfirjewitsch Glagoljew von erträumten Pariser Amouren. Jacob Keller tritt eher selten als hohläugig geschminkter Pferdedieb Ossip auf.

plato3Manche Frauen sind klüger, fallen aber auch – warum auch immer? – auf Platonow herein. Voran Sofia Jegorowna, Frau des Sergej Pawlowitsch Wojnizew, die Platonow als ehemalige Mitstudentin durchschaut und weiß, dass er nur Lehrer geworden ist, weil er sein Studium vergeigt hat. Sie lässt ihn zumindest verbal auflaufen, aber auch Susanne Berckhemers Sofia hat ihre Zukunft schon hinter sich. Andine Pfrepper, die Jüngste, irrt als Maria Jefimowna Grekowa etwas ziellos durch die Bühne, mal ein bisschen bissig, auch sie würde sich gern anschmiegen, hat aber in ihren unsäglichen Klamotten von vornherein verloren. Hier fehlt’s an vielem. (Gretchen war eine bessere Rolle.) Lena Vogt kann als Platonows Frau Sascha devot unbedarft sein, sie würde Platonow gleich wieder heiraten, auch wenn er sie so achtlos behandelt: „Ach, die hätte ich fast vergessen.“

Ulrike Requadt hätte Anna Petrowna Wojnizewa, eine junge Witwe, spielen sollen, die Person, um die sich neben Platonow alle drehen. Da sie krank wurde, engagierte man Tamara Stern, so kurzfristig, dass die ersten Aufführungen ausfallen und die Premiere nachgeholt werden musste(n). Eine Herausforderung für das Theater. Es sah zunächst etwas ungewöhnlich aus, dass Tamara Stern ihr Textbuch in der Hand trug, was sie aber kaum am guten Spiel hinderte, da für ihre Rolle als Hausherrin eh drei, vier einstudierte Mimiken und Satzbausteine ausreichten.
Was mich auf die Idee bringt, ob es bei einem Stück wie „Platonow“ nicht genügte und besser wäre, Mimik und Gestik radikal zu stilisieren und den Text auf die von Tschechow bekannten Versatzstücke zu reduzieren. Man käme so auch in wesentlich weniger Zeit aus, ohne den Inhalt allzusehr zu beeinträchtigen.

Theater Regensburg – Aufführung am 2. Februar 2016
(nachgeholte Premiere)

P.S. Claudia Bockholt im Interview mit Robin Telfer : „Für den Regisseur geht es in „Platonow“ letztlich um die Frage, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.“. „Wir wollen etwas mitteilen“, betont Telfer. Die Bühne habe gerade heute, wo der Mensch so vielfach fremdbestimmt lebt, eine besondere Bedeutung. „Das Theater ist der Ort, wo wir innehalten können und uns fragen: Wer bin ich eigentlich?“ (MZ)

Fotos: Martin Sigmund


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