Nachrichten vom Höllenhund


Hustvedt
24. März 2016, 17:48
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Siri Hustvedt: Die gleißende Welt

hustvedt «Alle intellektuellen und künstlerischen Unterfangen, sogar Witze, ironische Bemerkungen und Parodien, schneiden in der Meinung der Menge besser ab, wenn die Menge weiß, dass sie hinter dem großen Werk oder dem großen Schwindel einen Schwanz und ein Paar Eier ausmachen kann.» Der erste Satz des Romans.

Harriet Burden (!), die Witwe des stinkreichen Kunstvermittlers Felix Lord (!), ist selbt künstlerisch amnitioniert, kommt aber in der „insularen Welt“ der New Yorker Kunstszene nicht an. Sie erklärt sich, dass es an ihrem Geschlecht liegt, dass sie nicht wahrgenomen wird. Der Beweis gibt ihr recht, denn als sie ihre Arbeiten als die von Männern – ihren „Vehikeln“, „Strohmännern“ – präsentieren lässt, ist die Aufmerksamkeit da – sogar wenn die Männer Neulinge im Geschäft sind.

Siri Hustvedt spielt mit diesen Gender-Rollen und –zuordnungen. Harriet ist groß wie ein Mann, durch den „umfangreichen Busen“ als Frau festglegt, ihre Bekannten nennen sie „Harry“. „Sie hatte nicht viel am Hut mit den konventionellen Arten, die Welt aufzuteilen – schwarz/weiß, männlich/weib­lich, schwul/hetero, abnorm/normal -, keine dieser Grenzen überzeugte sie. Das waren aufgezwungene, definierende Kate­gorien, außerstande, das Kuddelmuddel zu erklären.” «[…] die Geschlechts­identität erweist sich also als performativ, d.h., sie selbst konstituiert die Identität, die sie angeblich ist. In diesem Sinne ist die Geschlechtsidentität ein Tun, wenn auch nicht das Tun eines Subjekts, von dem sich sagen ließe, daß es der Tat vorangeht.» (Judith Butler – in einer der vielen Anmerkungen zu Identität, Wahrnehmung, Kunst u.a.) Harry/Harriet bringt ihre Identitäten nicht in eins, immer muss sie sich spielend spiegeln im anderen, sich selbst gegenübertreten, ein ständiger Kampf um Wahrnehmung. „Wir sind alle Spiegel und Hallräume voneinander. Was passiert eigentlich zwischen Menschen? Bei Schizophrenie verlieren Menschen ihre Grenzen. Warum?” „Die kulturelle Konstruktion von Rasse und Geschlecht und Ambiguität als ultimative Subver­sion, faszinierend.”

Auch in ihren Installationen spielt sie mit der Wahrnehmung, mit den Mehrdeutigkeiten (der Bool’schen Logik), mit “Maskierungen”, „ambisexuellen virtuellen Identitäten”: „Kunst lebt nur durch ihre Wahrnehmung.”

 “Wir entwarfen kleinere Raumkuben mit winzigen Figuren und etwas größere. Keiner erzählte ein­deutige Geschichten. Sie waren alle so unergründlich wie Träume. Ich dachte mir eine aus mit dem Titel Pistolen und Busen für einen ein Meter mal ein Meter zwanzig großen Raum. Wir verwendeten Stückchen und Teile von Bildern aus Kung-Fu- und Blaxploitation-Filmen sowie alten Western. (…) Einige der Fragmente waren so klein geschnitten, dass sie abstrakt wirkten.”

 Die “Erstickungsräume“: „Es war ihre Idee, dass die Betrachter jedes Mal, wenn sie eine Tür öffneten und einen neuen Raum betraten, schrumpfen sollten. Die Räume waren fast identisch, der gleiche trostlos aussehende Tisch und zwei Stühle mit PVC-Sitzen, auf dem Tisch das gleiche Früh­stücksgedeck, die gleiche Tapete mit Harrys und meiner Hand­schrift und ein paar Kritzeleien (ich hatte hier freie Hand, alle meine Geheimbotschaften unterzubringen) und die gleichen zwei Metamorphe in jedem Raum. Zu Beginn der Tour hatten die Möbel das passende Format für Erwachsene mittlerer Größe – wir legten uns auf 1,73 m fest -, aber mit jedem fol­genden Raum wurden Tisch und Stühle, Tasse, Teller, Schalen und Löffel, die Schrift auf der Tapete so viel größer, dass, wenn man den siebten Raum erreichte, der Maßstab der Mö­bel einen in ein Kleinkind verwandelt hatte. Die ausgestopf­ten, weichen Metamorphe wuchsen ebenfalls und wurden zu­nehmend heißer. Der siebte Raum fühlte sich an wie eine finnische Sauna. Nach einer Diskussion entschieden wir, dass das eine zweiflügelige Fenster in jedem Raum ein Spiegel sein sollte – so wirkte es noch klaustrophobischer.”

 Harrys “dissoziative Identitätsstörung” War­um bin ich nicht wie sie? Warum bin ich eine Fremde? Warum bin ich immer außen vor gewesen, ausgestoßen, nie eine von ihnen? Was ist das? Warum spähe ich immer durchs Fenster hinein? Ich spürte die Bruchlinie in meinem Körper, bereit zum Bersten.

Harrys obsessive Träume: “Meine Zeit ist gekommen, und was sie auch sagen – die meist mittelmäßigen Kleingeister -, es kommt nicht darauf an. WIE SIE SEHEN ist das einzig Wichtige, und sie werden mich nicht sehen.” – “Bis ich vortrete.” – I”ch werde aufwärts schweben wie meine maskierte Tänzerin, von der Erde aufsteigen wie ein Phönix.” – “Es ist Zeit, dass ich zur Blüte komme, mein Glück finde.” – „Es ist Zeit, es allen zu sagen.”

 “Ich bin nicht Penelope, dieser Ausbund an Tugend, die auf Odysseus wartet und die Freier abweist.

Ich bin Odysseus.

Aber das habe ich zu spät herausgefunden.”

 “Irgendwie interessiert meine Geschichte sie nicht. “ Siri Hustvedt erläutert in einer – einem Professor I:V. Hess zugeschriebenen – “Einführung” ihr methodisches Vorgehen. Sie mischt die Einträge in die nach ihrem Tod gefundenen Notizbücher Harriet Burdens mit Aufzeichnungen oder Interviews von Personen, die ihr nahestanden, ihren Kindern Maisie und Ethan, oder die mit ihr arbeiteten, ihren “Strohmännern”, ihrem Freund Bruno Kleinfeld, sich selbst ironisch entlarvenden Kunstkritikern, Sweet Autum Pinkney, einer plappernden Esoterikerin, die zur letzten ihrer Bezugspersonen wird – und, seltsam, die quälende Hyperintellektualität lindert und vesöhnt. Die Beobachtungen und Beschreibungen kontrastiert Siri Hustvedt mit den suchenden, resignierten, suchenden Selbstwahrnehmnugen Harriets, wobei zunehmend die gelehrten Täuschungen erkennbar werden. Der Roman ist auch hier Spiel.

“Die gleißende Welt” (im Original: The Blazing World) ist ein ungemein dichter, verschlungener, gelehrter, engagierter Roman über – vordergründig – den New Yorker “Kunstszene­scheiß”, im Grund über die Brüche in den Biographien der Menschen, speziell der Frauen, ein Roman voller Psychologie und Neurophilosophie, über Metamorphosen und Mythen, über Wahrnehmung. Viele der Bezugsthemen belegt und erläutert Siri Husvedt in Fußnoten. Man muss nicht allen Anspielungen nachspüren, man darf den Roman auch überfrachtet finden, man muss sich nicht persönlich für Harriet Burden und ihre Beschwernisse interessieren. Die “Gefahr, sich vor lauter überreflektierter Selbstreferentialität blind in den Schwanz zu beißen.“(Katharina Granzin, taz) ist nicht von der Hand zu weisen. Nicht leicht zu lesen, aber reizvoll.

* „Die gleißende Welt“ ist der Titel eines utopischen Romans von Margaret Cavendish, die im 17. Jahrhundert als eine der ersten Frauen überhaupt unter ihrem eigenen Namen publizierte. Als frühe Universalgelehrte ist sie Vorbild und Idol von Harriet Burden.

2014         490 Seiten

Leseprobe beim Rowohlt-Verlag

Gespräch über “Die gleißende Welt” im Literaturclub des SRF (Video 11 Minuten)

Homepage von Siri Hustvedt

Ergänzung: Kulturpalast vom 26.09.15 zum Thema FRAUEN in der Kunst

 


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