Nachrichten vom Höllenhund


Stamm
9. April 2016, 18:11
Filed under: - Belletristik

Peter Stamm: Weit über das Land

stammlandPeter Stamms „Weit über das Land“ könnte eine Novelle sein, fehlte nicht etwas auch für eine Novelle Wesentliches: ein konstituierender Handlungskern. Am Anfang steht eine „Unerhörte Begebenheit“, aber damit hat es sich auch schon. Die Begebenheit stößt nichts an, sie verliert sich wie die Personen. Natürlich ist auch die Begebenheit nicht unerhört, sondern schon oft erzählt, auch von Peter Stamm. Eine Person geht weg. Einfach so, ohne Grund. Ins Blaue. Hänschen klein. Als Motiv das „Hochgefühl des Unterwegsseins“, ist das nicht doch zu billig? Stamm hat es nicht mit einer Romantik, auch nicht mit Ironie.

Thomas stand auf und ging auf dem schmalen Kiesweg am Haus entlang. An der Ecke angelangt, zögerte er einen Augenblick, dann bog er mit einem erstaunten Lächeln, das er mehr wahrnahm als emp­fand, zum Gartentor ab. Er hob das Tor beim Öffnen etwas an, damit es nicht quietschte, wie er es schon als Jugendlicher getan hatte, wenn er spät von einem Fest heimgekommen war und die Eltern nicht hatte wecken wollen. Obwohl er vollkommen nüchtern war, kam es ihm vor, als bewege er sich wie ein Be­trunkener, langsam und den Untergrund vor jedem Schritt prüfend. Er ging die Straße entlang, vorbei an den Häusern der Nachbarn, die ihm mit zuneh­mender Entfernung immer weniger vertraut waren. In manchen Fenstern war Licht, es war noch nicht zehn, aber niemand war mehr in den Gärten oder auf der Straße. Vor ihm wuchs der Schatten, den die letzte Straßenlampe ihm nachwarf, verging im Licht der nächsten, die hinter ihm einen neuen Schatten warf, der kürzer wurde, ihn überholte und ihm wachsend vorauseilte, eine gespenstische Stafette körperloser Wesen, die ihn begleitete, hinaus aus dem Quartier, über die Umgehungsstraße und in die Gewerbezone, die sich weit in der Ebene vor dem Dorf erstreckte.

Und dann geht Thomas. Dieser Weg wird steinig und schwer.Weil er in der Schweiz losgeht, führt der Weg manchmal bergauf, auf Almen und vorbei an Seen, vorbei an Landschaften, am Waldrand und auf Kieswegen, nur wenig Dörfer, Triftwege, und wenn er auf Menschen stößt, versucht er die Begegnung zu meiden. Peter Stamm beschreibt die Monotonie des Gehens, vielleicht Wanderns, naturalistisch, akribisch, neutral, das kann er gut, das hat er schon oft getan. Aber weshalb soll ich das wissen? Einen halben Roman lang, man schweift ab, auch die Weigerung, Spannendes zu erzählen, kann eine Zeitlang spannend sein. Kommt da noch was? “Das war brisant vor einem halben Jahrhundert.“ (Wolfgang Schneider, DeutschlandRadio Kultur) Peter Stamm fügt zu wenig hinzu, weder im Inhalt noch in der Erzählweise.

Astrid ist Peters Frau. Sie haben zwei Kinder und sind gerade aus dem Urlaub zurückgekommen. Die Frau ist verlassen. Thomas hat die Ordnung verlassen, Astrid versucht sie aufrechtzuerhalten, schon allein der Kinder wegen muss die Frau das tun.

Thomas rief nicht an. Vielleicht hatte er es pro­biert, während sie einkaufen gewesen war, und hatte keine Nachricht hinterlassen wollen. Oder er hatte es einfach vergessen. Bestimmt hatte er viel um die Ohren nach den Ferien und musste an hundert an­dere Dinge denken. Es wäre Astrid peinlich gewesen, noch einmal mit der Sekretärin zu sprechen. Sie ent­schloss sich, doch kurz ins Schwimmbad zu gehen. In den Ferien hatte sie sich vorgenommen, sich mehr zu bewegen, zu schwimmen, solange das Wetter es zu­ließ, und danach wieder mit joggen anzufangen.

In wenigseitigen Passagen wechselt Peter Stamm den Blick. Thomas geht. Astrid will Ordnung, will Gewissheit. Mehr geschieht nicht. Es gibt Andeutungen. Der Mann: „Wie viel Kraft nötig sein musste, diese Ordnung aufrecht­zuerhalten, jeden Morgen früh aufzustehen und die immer gleichen Arbeiten zu verrichten.” Die Frau: “Manchmal kam es ihr vor, als liege es in ihrer Macht, sich für die eine oder andere dieser Möglichkeiten zu entscheiden.” Der Mann “fragte sich, wie lange sie den Schein aufrechterhalten würde, bevor sie ein­brach”. Die Frau: “Manchmal fragte sie sich, ob Thomas ein anderes Leben gewählt hätte, wenn sie kein Paar geworden wären.” “Thomas‘ Geschichte war eine ganz andere als ihre.”

In diesem Spiel mit Vermutungen, Ungewissheiten, Spekulationen liegt schon ein ewisser Reiz, doch bleiben die Personen in ihren Gedanken und in ihren Handlungen zu farblos, zu austauschbar, zu uninteressant. Mann und Frau sind – nur – Bewohner einer “Modellbaulandschaft”, einer “Topographie aus Pappmache, mit künstlichem Grün bestreut und bestückt mit Häuschen und Bäumen aus dem Katalog” und mit Schau-Spielern, die sich     “durch Kulissen (…)bewegen”. So empfindet es Thomas, doch ist er selbst in dieser Anordnung befangen. An Entwicklungen wird nicht gedacht. Wozu betreibt Stamm das Spiel? “Bloße Phantasie” (Philipp Tingler, ‘Literaturclub’ des SRF)? Ich finde keine Phantasie, sondern Banalitäten. (Der ganze Literaturclub vergaloppiert sich: Der Gebrauch des Konjunktivs mache den Roman zum “Kunstwerk” ,“großartige Metaphern und Chiffren der Freiheit” schreibe Stamm der Natur ein. Als habe Stamm das Schreiben und die Literatur hier erfunden, als liege das “Hehre” nicht nahe überm Kitsch.) Das Rätsel steckt nicht im Buch, es wird hineingesteckt. Des Kaisers neue Kleider.

Ernster nehmen sollte man einen Hinweis, den das Motto gibt:

Wenn wir uns trennen, bleiben wir uns.
Markus Werner, Zündels Abgang

Zündel ist abhanden gekommen. Er hat sich von seiner Welt getrennt. Markus Werner versucht, die raren Überbleibsel seiner Existenz zu versammeln. Notizen, Spuren, Begegnungen, …. Was war Zündel für einer, weshalb ist er weg, wo lebt er, lebt er noch? Die Existenz ist zum Fragment geworden. Markus Werner erzählt postmodern. Stamm ist einen Schritt weiter. Die Themen sind nur noch Klischee, alles ist erzählt. Variationen sind nur noch im Konjunktiv denkbar. Es fehlt nur noch, dass Peter Stamm seinen Thomas zurückkehren ließe.

2016           225 Seiten

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