Nachrichten vom Höllenhund


Ani
16. April 2016, 17:49
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Friedrich Ani: M

ani_mEdith Liebergesells Sohn Ingmar wurde entführt, Lösegeld wurde bezahlt, er ist nicht mehr aufgetaucht. Sie ist die Chefin einer kleinen, familären Detektei, die sich auf das Aufspüren verwchwundener Personen spezialisiert hat und recht und schlecht ihr Dasein fristet. „Hinter dem chaotisch anmutenden Schreibtisch der Chefin saß ein schmächtiger, grau gekleideter alter Mann mit einer Hornbrille aus den sechziger Jahren und kurzen, nach hinten gekämmten graubraunen Haaren. Sein lächelnder Gesichtsausdruck wirkte im Vergleich zu seiner Erscheinung – billige Windjacke, billiges Hemd, billige Hose – geradezu farbig. Leonhard Kreutzer war achtundsechzig, Witwer. Früher betrieb er gemeinsam mit seiner Frau ein gutgehendes Schreibwarengeschäft, das er nach einem Herzinfarkt aufgeben musste. Wenig später verstarb seine Frau“ und wenig später bietet ihm Edith Liebergesell den Posten an: »Auf geht’s, Leo, versuchen wir’s.« und Leonhard Kreutzer hatte einen neuen Job als Detektiv. Aufgrund seines verhuschten Wesens, wie er es nannte, hielt er sich für einen idealen Beschatter, einen aus der grauen Masse, der kein Aufsehen erregte und den später niemand beschreiben könn­te. Münchens »grauester Schattenschleicher«. Die vierunddreißgjährige Patrizia Roos “mit der akkurat geschnittenen und knapp über den Augen­brauen endenden Ponyfrisur arbeitete zusätzlich drei Tage in einer Szenebar in der Müllerstraße, nicht weit von der De­tektei entfernt”. Sie hat eine Vorliebe “für dekolletierte und grobmaschig gestrickte Pullover” (…) Davon abgesehen, schätzte sie das offene Wort, und Patrizia ließ sich in dieser Hinsicht nicht zweimal bitten. In ihrem Elternhaus zählte die freie Meinungsäußerung zu den Grundregeln im Umgang miteinander. (…) Ihr künftiges Leben stellte sie sich in einem überschaubaren Kosmos aus Ehrlichkeit, Grad­linigkeit und entspannter gegenseitiger Befeuerung vor. (…) Im Kreis von Edith Liebergesell, Leonhard Kreutzer und Tabor Süden hätte Patrizia Tag und Nacht observieren, recherchieren und vor Ort ermitteln können, so sehr entsprach diese Gemeinschaft ihrem Nähe-Empfinden. Und wenn Süden, dachte sie, weniger schweigen und sich öfter mal auf einen wilden Dis­put einlassen würde, hätte sein ungelenkes Flirten eine echte Aussicht auf Erfolg, auch ohne Pullover.“

Tabor Süden war Hauptkommissar gewesen, ist aber nie über den Tod seines Vaters und den Suizid seines Kollegen und Freundes Martin Heuer hinweggekommen. So ist er mitsamt seiner Verformungen und Eigenheiten in Edith Liebergesells Detektei gelandet. Er spricht nicht viel, hört zu, wartet, bis die Aussagen zu ihm kommen, ist aber doch der aus der Zeit gefallene, graulanghaarige schrullige Held der Detektei. „Er war zu professioneller Rücksichtslosigkeit nicht fä­hig, weil das Rücksichtnehmen Teil seines Anwesenheitsver­haltens war (…) Schon als Polizist galt Süden als Eigenbrötler am Rande dienstlicher Befug­nisse.” Der neue Auftrag erscheint zunächst wie Alltagskost. Und dennoch: „Die Frau mit den Zöpfen, die an diesem Montag hereinkam, hielt sie vom ersten Augenblick an für unaufrichtig, auch wenn sie nicht den geringsten Beweis dafür hatte.
Etwas an der Frau war falsch, dachte Patrizia Roos und warf Süden, der reglos, wie unbeteiligt, mit hinter dem Rücken verschränkten Händen vor der Wand stand, einen Blick zu. Etwas an der Frau wirkte abweisend und kalt. Ihr Blick erzählte eine andere Geschichte als ihre Stimme, dachte Süden beim Zuhören.” Mia Bischof beauftragt die Detektei, ihren abhanden gekommenen Freund zu suchen, Siegfried Denning, einen Taxifahrer.“

Dieser Auftrag war ein Fehler, denn ihr Wunsch, von diesem Siegfried Denning ein Kind zu kriegen, öffnet ein kleines Ermittlungsfenster in die Welt der Rechtsextremen. “Als Leser muss man sich aber erst überwinden zu akzeptieren, dass bei einem eiskalten Nazigeschöpf Liebe zu einem Mann wichtiger werden kann als die selbst gewählte Lebensaufgabe, das deutsche Volk und die nordische Rasse rein zu halten.“ (Rudolf Neumaier, SZ) Dieser Fehler setzt die Handlung in Gang. Ganz allmählich erkennen sie, dass ihr Fall diesmal politische Hintergründe hat. Sie stoßen auf ein Geflecht von Kameradschaften, das landesweit agierende Freie Netz Süd, “Burschenschaften in der Stadt, bei der gelegentlich braune Schläger Unterschlupf finden.” Sie stoßen auf Hoteliers, die braunen Gruppen Gastrecht gewähren, auf eine Journalistin, die Frauenhilfsgruppen aufbaut und mit ihren rechtsextremen Ideologien infiltriert. Und sie müssen erkennen, dass ihre Recherchen nicht nur lebensgefährlich sind, sondern sie auch überfordern und von dem Verbund von staatlichen Behörden wie LKA, Verfasungsschutz und Mordkommission, die sich eher gegenseitig bekämpfen als den brauen Sumpf. »In Maßen. Wir können nicht überall gleichzeitig sein. Aber wir sind auf einem guten Weg. (…) Falls niemand uns dreinpfuscht und unsere mühsam aufgebauten Kontakte torpediert.« »Jetzt«, sagte Welthe, »wird Ihnen klar, warum dies nicht Ihr Fall ist, sondern unserer, und warum Sie den Auftrag, den Frau Bischof Ihnen erteilt hat, ab sofort ruhen lassen müs­sen. Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir bis zum heutigen Zeit­punkt Frau Bischof nicht zum rechten Umfeld ihres Ex-Man­nes zählen. Sie verhält sich absolut unauffällig, sie arbeitet, wie Sie wissen, bei einer Tageszeitung und engagiert sich ehrenamtlich in ihrem Stadtviertel Neuhausen. Ihr Vater be­sitzt ein Hotel in Starnberg, das zeitweise in Verruf geraten war, weil angeblich Funktionäre der NPD dort abgestiegen sind. Nach den Ermittlungen der örtlichen Polizei und mei­ner Behörde haben solche Treffen in dem Hotel tatsächlich stattgefunden, jedoch ohne Wissen des Besitzers. Vorfälle dieser Art sind seither nicht mehr gemeldet worden.“

Die Detektei wird aus den Ermittlungen gedrängt, doch Edith, Patrizia und Süden geben nicht auf. “Ich will keine Marionette sein, Süden. Ich will mich wehren und weiß nicht, wie. (…) Ich weiß nicht weiter, dachte Sü­den und sagte es nicht. Ich hab Angst, dachte Edith Lieber­gesell und sagte es nicht. Wenn sie, wie zwanghaft, an ihren Sohn denken musste, kniff sie die Augen zusammen, als würde die Nacht dann aus ihrem Kopf verschwinden. Wenn Süden, was ihn verwirrte, plötzlich an seinen toten Freund Martin denken musste, blickte er zur Tür, als käme Martin gleich herein und sähe verboten aus.”

Friedrich Ani lässt den Leser Anteil nehmen an den Leiden und Leidenschaften der Ermittler, man wird fast zum Mitglied der Kleindetektei und geht und fährt mit ihnen zu den Schauplätzen, zu den Beobachtungen, zu den Misserfolgen und Niederlagen. Die braunen Netzwerke werden nicht zerschlagen, aber Ani nennt sie, sagt, dass sie sich bei den Spielen von 1860 treffen, dass die Behörden kungeln und abwiegeln. Das ist nichts Unbekanntes, auch nicht für den Kriminalroman und wird in anderen Büchern präziser beschrieben. Aber die politischen Verstrickungen bewahren Süden und sein Team vor zu allzu viel Innenschau und auch vor Ausflügen ins Mythische und Melancholische. “M” zeigt, dass es in München nicht nur die Busseria gibt, sondern die kleinbürgerlichen Ecken und Vororte, die Stüberl mit den braunen Gästen und eine bürgerlich camouflierte rechte Szene. Reale Ereignisse werden verwoben, etwa der verhinderte Bombenanschlag bei der Grundsteinlegung des jüdischen Zentrums in München von vor zehn Jahren. Schön zu lesen, wenn man Leute wie Süden mag, in der Ermittlungslogik nicht immer ganz überzeugend.

 

2013         365 Seiten


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