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Reinhard Jirgl:
Nichts von euch auf Erden
Inszenierung: Felix Rothenhäusler
25. Jahrhundert – als wäre es für Zukunftsphantasien nicht völlig egal, wie viele Tage oder Jahrhunderte sie vorausdatiert sind: Sie spielen alle in der Gegenwart. Utopien wollen uns vorspiegeln, was noch Schönes kommen kann und wird, die Dystopie hält uns den Spiegel vor, was passiert, wenn wir nicht aufpassen und so weitermachen wie bisher. Mit der Realität haben beide wenig zu tun, sie sollen bebildern, zu welch tollen Imaginationen die Autoren in der Lage sind.
Reinhard Jirgl nennt seinen Himmel Imagosphäre, aber er scheint sonst über wenig Phantasie zu verfügen. Er haut deshalb literarisch auf die Pauke, dröhnt uns voll. Er will alles und noch mehr und da das nicht reicht, erfindet er eine neue Sprache, füllt damit über 500 Seiten, die Kritik muss reagieren und Matthias Lilienthal ist beeindruckt. „Nichts von euch auf Erden“ kommt ins Theater, kann aber nichts von seiner Magie mitnehmen. Ich kenne den Roman nicht und verspüre auch nach der In-Szene-Setzung keinen Drang, ihn zu lesen.
Wenn ein Roman und eine Theateraufführung zusammenstoßen und es klingt hohl, entsteht eine paradoxe Situation. Ich gehe davon aus, dass der Text, der auf der Bühne gesprochen wird, auf dem Text des Romans basiert. Jirgls affektierte Schreibweisen kommen beim Sprechen natürlich nicht zum Tragen. Es heißt, Jirgl selbst habe die Theaterversion hergestellt, also wird das Stück die Intentionen abbilden. Das Abbild aber ist blutleer, nichtssagend, undramatisch, hohl, eine Zumutung. Liegt’s vielleicht am Roman, an Jirgl?
Die Erdlinge haben den Mars besiedelt, kolonisiert, zum Abbau von Rohstoffen. Das Projekt „Terraforming“ aber ist gescheitert, die Technik hat das feindliche Klima nicht in den Griff gekriegt. Die auf der Erde Verbliebenen sind genetisch zu apathischen und deshalb friedlichen Schlaffis mutiert worden, sie starren in die Imagosphäre und warten auf die Wiederkehr von zwei „abgelaufenen“ Marsianeren zurück auf die Erde, um neue Kolonisatoren zu rekrutieren und umzupolen für das noch ambitioniertere „Projekt Uranus“.
Die Bühnen-Erde ist eine Scheibe in Form eines seichten Planschbeckens, zwei Frauen und ein Mann schreiten mit gehemmten Bewegungen durchs Wasser und sprechen stilisierte Sätze, nicht zueinander, sie gehen aneinander vorbei oder sich aus dem Weg. Was sie sagen, scheint großteils belanglos, man hört nach einiger Zeit auch nicht richtig hin oder betrachtet die Lichtmuster, die die geschlagenen Wellen an die Wand werfen. (Vielleicht sollte man die Augen schließen). Die Gesten sind einstudiert, am marionettigsten bei Marie Rosa Tietjen, ihre Kollegin Maja Beckmann darf einmal durchs Wasser rutschen, dass die Erstreihzuschauer bepritschelt werden. Erleichterte Erheiterung, kurzzeitig. Der junge Mann, Christian Löber, vergeht sich in Sanftheit. Und so warten sie denn, die Zeit mag nicht vergehen. Interessant wird’s für ein paar Minuten, als Bühnearbeiter die Teichfolie einrollen und die Bühnen entwässern. (Das Highlight)
Jirgl hängt sich an ein paar neuartigen Begriffen auf: Holovisionen, Detumeszenz-Lemuren. Er liefert keine neuen, unerhörten Sätze, seine Gedanken sind pompös, aber platt. Keine Auffrischung der Dystopie, weder politisch noch technisch noch kritisch noch originell. Regisseur Rothenhäusler spürt das und pimpt das Nichts mit Pathos in der Rede, mit elektonischen Sphärensoundeffekten samt Getrommle (Matthias Singer), mit ernsten Mienen. Abgründig wird es, als die „Marsianer“ mit dem Bühnen-Lift antransportiert werden. Samouil Stoyanov säuselt seine Botschaft wie Papstbenedikt zu Amtszeiten, Wiebke Puls, die bedauernswerte Wiebke Puls muss sich geifernd exaltieren, um das Nichts zu überspielen, darf der kleinen Erdlingin ans Kinn fassen. Die Kostüme – „pfauenhaft“, meint ein Kritiker, grauenhaft deplatziert sehe ich sie mit Scheinwerfern ums Haupt und Schnittlauch darauf. Ist denn jetzt schon wieder Fasching, reist man derart kostümiert im Raumschiff?
Wenn ein Roman und eine Theateraufführung zusammenstoßen und es klingt hohl, darf man die Schuld auch dem zusprechen, der den Stoff ins Repertoire hievte. Matthias Lilienthal will das Theater öffnen. Das ist gut so, aber das Ergebnis sollte nicht die dramatische Null sein.
Es scheint nicht einfach, Hohles als Hohles zu erkennen. Nicolas Freund (SZ) sieht Aktionen, denen man „ewig dabei zuschauen könnte“, er sieht sich als „Zuschauer in den Bann“ gezogen, er wähnt, die Utopie der Bühne“ setze sich in den Köpfen fest“. Er ist der einzige Kritiker, der so sieht und wähnt. Nicolas Freund ist 1985 geboren, also fast im Böhmermann-Alter. Reinhard Jirgl ist 62, für ihn gibt es keine Entschuldigung.
Theater kann alles, darf vieles sein. Aber nicht unbedarft.
P.S. Der zweite Teil nach der Pause wollte nicht mehr ertragen werden.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 29. April 2016
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