Nachrichten vom Höllenhund


Thome
8. Mai 2016, 11:37
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Stephan Thome: Gegenspiel

thomegegenspielJetzt reden sie wieder. Führen noch einmal die Gespräche, die sie schon drei Jahre zuvor zu keinem Ende brachten. Die Dialoge kreisen, sollen retten, was sich als gmemeinsamer Wunsch oder Lebensplan der Partner nicht zusammenlegen lässt. Je weiter die Lebensentwürfe auseinanderliegen, desto mehr soll geredet werden, aber je mehr man redet, desto deutlicher wird, dass sich die Vorstellungen nicht fügen lassen.

2012 hat Stephan Thome die Diskrepanzen und Missverständnisse in seinem Roman „Fliehkräfte“ ausgebreitet, 2015 erschien die Fortschreibung, die aber keine Fortsetzung ist, denn Thome beginnt noch einmal. Nicht unbedingt von vorne, denn es gibt keine durchgehaltene Chronologie, doch die Perspektive wechselt. Stand in den „Fliehkräfte“n Hartmut im Mittelpunkt, gibt Thome jetzt dem Leser ausführlich Gelegenheit, Maria und ihre Sicht der Dinge näher kennzulernen. Wer „Fliehkräfte“ gelesen hat, kann sich an manche Episoden, Streitpunkte, eigenheiten erinnern, das „Gegenspiel“ kann aber auch für sich stehen – bzw. man kann die „Fliehkräfte“ nachlesen – wenn man will.

Marias Bio ist interessanter als die ihre Mannes, weniger geradlinig, emotional gebeutelt. Sie stammt aus Portugal, fühlt sich beengt von der normierenden Nähe ihrer Familie, angeregt auch von den Versprechungen der „Nelkenrevolution“. Sie will ins Ausland, nach Norden,und landet mitte der 70-er Jahre im Berlin-Kreuzberg der Hausbesetzerszene, lernt dort den irrlichternden Theatermacher Falk Merlinger kennen, erlebt viel in kurzer Zeit. Dann gerät sie in die Sackgasse ihres Lebens. Sie heiratet Hartmut Hainbach, Professor für Sozialphilosophie, kaum erwartet tritt Tochter Philippa wie ein Schlag des Schicksals ins Leben. Was Maria den Rest gibt: Fürs Leben in der Großstadt reicht das Geld nicht, sie ziehen nach Bergkamen. Nach ihrem Berlin-Abenteuer erscheint das Maria als die tiefste deutsche Provinz mit penetrant neugierigen Nachbarn, Spießigkeit, ausweglos.

Wenn sie an die Zukunft dachte, lautete die erste Einsicht, dass sie ab­hängig von der Karriere ihres Mannes war. Zwar besprachen sie eingehend, wo er sich bewerben sollte, was aber nichts daran änderte, dass er gezwungen war, sich überall zu bewerben, und sie dorthin mitgehen würde, wo er genommen wurde. Grund­sätzlich mochte auch sie den Gedanken, dass das Leben sich nicht planen ließ, aber die Ungewissheit, ob sie je wieder in einer Stadt leben würde, in der sie sich wohl fühlte, war nur schwer zu ertragen.

Maria muss leidend (Kindbettdepression – eines dieser hözernen deutschen Wörter) warten, bis die Tochter älter ist, dann aber nichts wie weg, wieder nach Berlin, wo ihr der inzwischen erfolgreiche gewesene Heiner-Müller-Adept Falk eine Stelle als persönliche Assistentin anbietet. Hartmut schwankt, ob er seine Professur gegen einen schlecht dotierten und unsicheren Job bei einem Berliner Kleinverlag annehmen soll, Maria hat ihn vermittelt, was er aber nicht weiß. Aber das Zusammenleben hat keine Stütze, die „Liebe“ ist nicht tragfähig. Das weiß man schon aus den „Fliehkräfte“n.

Marias Weg vom warm-katholischen Portugal ins liberal verkniffene Deutschland ist weiter, als sie es sich vorstellen konnte, sie kann sich nicht von ihrer Herkunft lösen, sie entwickelt keine Perspektive für ihre Freiheitsgedanken, sie kompensiert ihre Kapriolen mit Versteifungen. Hartmut toleriert sie als Flausen. Maria wird dem Leser zunehmend fremd, ja unangenehm, Hartmut mutiert mehr und mehr zum isolierten Dulder. Stephan Thome reitet das Beziehungsthema zu Tode, will gerettet wissen, was nicht zu kitten ist. Der konservative Ansatz wirkt im 21. Jahrhundert obsolet. “ ‚Wir passen eigentlich nicht zusammen, eine Dating-Seite im Internet würde uns ei­nander niemals zuordnen. (…) Uns beide verbindet nichts außer Liebe, und das klingt romantischer, als es ist‘, sagt Maria einmal.“ Thome will das nicht auf sich beruhen lassen.

Man erfährt, immer aus subjektivierter Perspektive, manches über die „Gegenkultur“ im geteilten Berlin, darf Mäuslein spielen in der billigen Welt des neuen Regiethaters, fährt mit nach Portugal und zurück. Immer wieder. Was aber zunehmend nicht nur die Protagonisten erschöpft, sind die endlosen Gespräche, exakt protokolliert, die ein Thema auch ein drittes und viertes Mal wiederkäuen. Soll Hartmut mit nach Berlin gehen? Seitenlang diskutiert Maria diese Vision mit dem Verleger, seitenlang nahezu gleichlautend mit ihrem Mann, eine Lösung kommt nicht in Sicht, weil sie nicht in Frage kommt. Tochter Philippa ist lesbisch geworden. Na und? Weshalb gelingt es ihr nicht, das ihrem Vater zu erzählen, der doch für alles Verständnis aufbringt? Weshalb lässt Thoma das Thema nicht los?

Beide Romane hätten in einen Band gepasst ohne Thomes Passion, auch noch das letzte Wort der Gespräche getreulich aufzuzeichnen. Hoffentlich plant er keine Synthese.

Dass sie trotz ihrer Anspannung keine Lust auf eine Zigarette hatte, war neu. In dem alten Versteck lag die halb aufgebrauchte Packung Gauloises, aber sie hatte Angst vor schlechtem Atem, vor Spuren jeder Art, die einen Hinweis auf Dinge gaben, die sie lieber für sich behielt. So angestrengt sie auch horchte, außer dem eigenen Pulsschlag hörte sie nichts. Philippa hielt ihren Mittagsschlaf, und auf dem Arbeitstisch lagen Lätzchen, Hosen und bunte Handtücher. Sie hatte alles ausgebreitet und sortier­te nach Farben und Temperatur, dreißig, sechzig und neunzig. Das Merkwürdige war, dass es ihr eigentlich besserging, seit län­gerer Zeit schon. Sie las wieder, und zurzeit gefiel ihr Ibsen, den sie als Studentin noch zu schwülstig gefunden hatte. >Ich muss selber über die Dinge nachdenken und mir meine eigene Klar­heit verschaffen<, sagte Nora, bevor sie ihren Mann verließ. Nur in der Version, die man dem Autor für die deutsche Erstauffüh­rung aufgezwungen hatte, besann sie sich in der letzten Zeile anders, natürlich der Kinder wegen, und Maria wüsste gern, ob das Wort >Mutterlos< im Norwegischen denselben Doppelsinn besaß wie im Deutschen. Den Winter über hatte Philippa ge­kränkelt, aber seit es wärmer wurde, war sie gesund und munter. Der Garten blieb sich selbst überlassen, und wenn Herr Löscher es nicht mehr aushielt und Unkraut jäten wollte, ließ Maria ihn gewähren.
Warum also?
Vielleicht gab es zu jedem Zeitpunkt nur eine begrenzte Anzahl von Dingen, gegen die man sich erfolgreich wehren konnte.

2015           470 Seiten

 

Leseprobe beim Suhrkamp Verlag

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