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Felicia Zeller: Kaspar Häuser Meer
Inszenierung: Jona Manow
So ist das in jeder Behörde. Wenn der Druck steigt, sucht er ein Ventil. Björn ist krank für länger, die Arbeit von 4 Leuten (eh schon zu wenig) wird auf 3 verteilt. Lasst Euch das nicht gefallen! Aber das ist zu schnell gedacht. Wie sollen sich drei Leute solidarisieren und aufbegehren? Und gegen wen? Den Amtsleiter Schnecke-Müller, der eigentlich mit im Team sitzen sollte? Neben der Rebellion müsste natürlich die Arbeit erledigt werden, denn in den Akten stehen Schicksale. Familien. Kinder. Der Druck entlädt sich nach innen und sucht Entlastung. Stress und Streit sind angesagt. „Der Eindruck von Bewegungslosigkeit und scheinbarer Untätigkeit bei gleichzeitig ständig anstehender, inflationärer Tätigkeit ist Thema des Stücks.“ (Felicia Zeller) Die Arbeit wird verteilt, die Ordner werden umgestapelt, nach Farben geordnet, die Arbeitsverschiebungshandlungen verbrauchen mehr Zeit als die Aktenführung selbst.
Felicia Zeller hat sich umgesehen in den Behörden. Drei Frauen stellt sie auf die Bühne. Ihre Aufgabe: Sie sollen die Aufsicht des Staates repräsentieren gegenüber überforderten Familien, abstürzenden Frauen, männlicher Gewalt. Die Kinder sollen geschützt werden, beschützen wäre schon zu viel verlangt. “Ach könnte ich doch durch Mauern schauen.“‘ Eine gewaltige Aufgabe, zwischen Außendienst und Akten, stets am Abgrund des Versagens. Aufmerksamkeit gibt es nur, wenn man scheitert, und das Versäumnis ist nahezu unvermeidbar. Felicia Zeller nähert sich dem Thema der Gewalt gegen Kinder über die Verwaltung des Erziehungsversagens. Ihr Aktionsraum ist das Amt.
Das Stück wird als Groteske angeboten. Nicht, weil das Problem eine Farce ist, sondern weil die Diskrepanz so überwältigend ist zwischen dem Leben von Menschen und dem Eintrag in Formulare. Zwei Forderungen, die nicht zu vereinbaren, die nicht auszuhalten sind. Der Vorwurf lautet nie, das Leben zu sehr bürokratisiert zu haben, sondern stets werden die Defizite der Bürokratie gebrandmarkt: verschleppte Termine, Beurteilungen, die sich erst nachträglich als daneben erweisen, fehlende Datumsstempel. „Kaspar Häuser Meer“ hat keine (Er-)Lösung.
Drei Frauen. Frauen, weil ihnen das Fürsorgliche übertragen ist; die Frauen hätten da mehr Zugang und (deshalb) gilt es als legitim, dass sie wenig(er) verdienen. Drei Frauen: Silvia, keine eigene Familie, keine Kinder, deshalb (natürlich) nicht weniger engagiert. Aber es fehlt die Person, mit der man über die dienstlichen (und damit auch privaten) Probleme sprechen könnte – Doris Dubiel als die routiniert Randständige. Barbara, der mütterliche Typ, fünf Kinder (mehr empfindet sie als asozial), ihre kollegiale Fürsorglichkeit läuft ins Leere, Weihnachtsfeiern sind kein Ersatz – Franziska Sörensen, die Mütterliche, wie gewohnt, aber in ihr steckt Gift. Anika, schon der Name ist jünger, ist mit ihrem Job und ihrer Kita-Tochter wechselseitig überfordert – Ulrike Requadt als Gehetzte, noch nicht abgeklärt. Drei Frauen am Rande des, allein gelassen in einer Zelle ohne Auswege. „O lass mich in Ruhe, Welt, ich bin nicht da!“
Der Raum, den ihnen die Bühne von Monika Frenz lässt, ist vollgestopft mit Aktenordnern, schneller als sie abgearbeitet werden können, schiebt man von außen neue nach, der Kontakt nach draußen läuft nur über Telefon, Zu- und Ausgang ist nur durchs Fenster möglich. Groteske, nicht vergessen. Man kommt sich ständig in die Quere, nicht nur räumlich. Der Dienstdruck sucht nach Entlastung, einzig die Kolleginnen bieten sich als Opfer an. Du schreibst überquellende Protokolle! Du verschleppst Termine! Du hast ein Alkoholproblem! Felicia Zeller hat recherchiert.
Im Stück gibt es so wenig Highlights wie im Amt, keinen Spannungsbogen, keine Zuspitzung, nur Aussetzer, die vorübergehen müssen. Es wird still und ernst, wenn Silvia die Schrecken der Fälle vorträgt, es wird bizarr, wenn Babs von ihren nie realiserten Urlaubsträumen schwärmt, wenn Anika im Tanz die Weste von sich schleudert. Mehr gestattet man sich nicht, „Innere Parkbänke“ zum Entspannen. „Selbstmord ist die ewige Lösung für ein vorübergehendes Problem.“ Das Stück verfugt sich plausibel, wenn man darüber nachdenkt, darüber spricht.
Die drei Schauspielerinnen spielen die Unfähigkeit zu handeln sehr gut, was alles andere als einfach ist, denn Felicia Zeller verlangt ihnen viel ab. Text ohne Ende, Sätze ohne Punkt, oft in Schleifen zu wiederholen, ein Abbild der trostlosen Routine, man fällt sich ins Wort, weil man schon weiß, was kommt, weil die Formeln auch das Private beherrschen. Der Zuschauer ertappt sich beim Erkennen und Ergänzen. Aber keine Zeit für Pausen, denn die Leere ist gefährlich. Textflächen, Wortschwalltexte (Hartmut Krug), nicht wie aus dem Kalauergenerator der Elfriede Jelinek, näher an der „Kante der Realität“ (Zeller), überdreht zur Satire, „die Sprechgeschwindigkeit ist schneller als normal“ (Zeller).
„Kaspar Häuser Meer“ ist kein Sozialdrama, es will nicht sozial sein, das ist nicht zeitgemäß. „Man wäre unheimlich folgenlos betroffen und emotional aufgerührt und angeregt gewesen.“ (Hartmut Krug) Postdramatik. Das Stück hat kein Ende, rotiert in sich. Wie das Meer. So mancher im Publikum griff die Zumutungen nicht auf und blieb verstockt. Ansonsten viel Applaus für die drei Frauen.
Theater Regensburg – Aufführung am 10. Mai 2016
Fotos: Alba Falchi
„Kaspar Häuser Meer“ erhielt 2008 den Publikumspreis bei den 33. Mülheimer Theatertagen. Das Stück wurde oft gespielt und fand sehr positive Kritiken. Nur Christian Eckl vom Regensburger Wochenblatt hat es nicht verstanden.
Dossier zum Stück bei nachtkritik.de
P.S. In ihrem Roman „Erschlagt die Armen!“ lässt Shumona Sinha von einer Frau erzählen, die von ihrer Arbeit in der Asylbehörde zerrieben wird zwischen Anteilnahme und Bürokratie.
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