Miranda July: Der erste fiese Typ
Wie’s so kommt. Man ist schon ein wenig älter und hat sich aufs Träumen verlegt. Da tritt eine Person ins Leben, anfangs gar nicht so sympathisch, aber man rauft sich zusammen. Nach gar nicht so langer Zeit kommt das Kind. Wie soll man mit ihm umgehen? Wendet sich mit ihm das eigene Leben? Man lebt sich wieder auseinander, die Vorstellungen waren doch nicht kompatibel. The same old story.
Miranda July erzählt sie – aber anders. Rough, denn die Verhältnisse, die sind nicht mehr so. Vieles hat sich aufgelöst im 21. Jahrhundert. Cheryl Glickman phantasiert sich Philipp herbei, Arbeitskollege, sie ist Mitte vierzig, er 20 Jahre älter. Spielt keine Rolle. Ihr Haus hat sie als Schutzraum des schwachen Ich eingerichtet, reduziert und rationalisiert. Da zieht plötzlich Clee ein. Das heißt, sie zieht nicht ein, sie macht sich breit. Eine ungepflegte 20-Jährige mit stinkendem Fußpilz, nachlässig in allem, interessiert nur an TV, Tiefkühlgerichten, Cup-Noodles und Pepsilight literweise, zum Abgewöhnen. „Der erste fiese Typ“.
Der Rest des Hauses war tadellos, wie immer, dank meinem System.
Es hat keinen Namen – ich nenne es einfach mein System. Sagen wir zum Beispiel, jemand ist total am Boden, oder auch einfach nur faul, und kümmert sich nicht mehr um den Abwasch. Bald stapeln sich die Teller bis zum Himmel und es scheint unmöglich, auch nur eine Gabel zu spülen. Also isst derjenige bald mit schmutzigen Gabeln von schmutzigen Tellern und kommt sich vor wie ein Obdachloser. Folglich duscht er nicht mehr. Was es schwer macht, das Haus zu verlassen. Bald beginnt er oder sie, seinen Müll überall hinzuwerfen und in Gläser zu pinkeln, weil er dazu nicht aus dem Bett aufstehen muss. Es ist uns allen schon so ergangen, Verurteilungen sind also fehl am Platze, aber die Lösung ist simpel:
Weniger Teller.
Was man nicht hat, kann sich nicht aufstapeln. Das ist das Wichtigste, aber auch:
Lassen Sie alles, wo es ist.
Wie viel Zeit verbringen wir damit, Gegenstände von A nach B zu tragen? Entsorgen Sie Ihren Wäschekorb und legen Sie die schmutzige Kleidung direkt in die Waschmaschine. Die Trommel ist Ihr Wäschekorb. Bevor Sie einen Gegenstand weit von seinem angestammten Platz entfernen, denken Sie daran, dass Sie ihn auch wieder dorthin zurückbringen müssen – ist es das wirklich wert? Können Sie das Buch nicht auch lesen, während Sie neben dem Regal stehen und den Finger in der Lücke halten, in die Sie es danach wieder schieben werden? Oder noch besser: Lesen Sie es gar nicht erst ….
Gegen Abend fragte ich Clee, ob sie Hühnchen und Grünkohl auf Toast mitessen wolle. Falls sie sich wunderte, dass es Toast zum Abendessen gab, würde ich ihr erklären, dass das weniger aufwendig ist als Reis oder Pasta, aber trotzdem als Getreide durchgeht. Ich würde ihr nicht mein ganzes System auf einmal erklären, nur Stück für Stück. Sie sagte, sie hätte sich etwas zu essen mitgebracht.
»Brauchst du einen Teller?«
»Ich kann aus dem Ding essen.«
»Eine Gabel?«
»Okay.«
Ich reichte ihr die Gabel und stellte mein Telefon auf volle Lautstärke. »Ich erwarte einen wichtigen Anruf«, erklärte ich. Sie sah hinter sich, so als suchte sie denjenigen, den das interessierte.
So leicht wird Cheryl sie nicht wieder los, denn Clee ist die Tochter ihrer Chefs, in der Firma stellen sie DVDs mit „Selbstverteidigung zu Fitnesszwecken“ her. Cheryl und Clee raufen sich zusamen, der feminine Fight-Club, es geht zur Sache, das Vorspiel zum Sex. Cheryl lässt sich drangsalieren, aber das ist besser als gar keine Nähe, besser als nur obsessive Visionen.
Nicht eine Sekunde lang hatte ich das Gefühl, ihr gewachsen zu sein. Nach einer guten halben Stunde machten wir eine kurze Verschnaufpause; ich trank ein Glas Wasser. Als wir wieder anfingen, war meine Haut ganz weich, die ersten blauen Flecke zeigten sich und jeder Muskel zitterte. Es war schön, tiefer und fokussierter. Mein Gesicht wurde von einem Hass verzerrt, der mir ganz neu war; er schien mir überproportional für meine Spezies. Das war das Gegenteil eines Raubüberfalls. Ich war jeden Tag meines Lebens überfallen und ausgeraubt worden, das war der erste Tag, an dem ich mich wehrte. Am Ende drückte sie mir zweimal schnell hintereinander die Hand: gutes Spiel.
Clee kriegt ein Kind, wer der Vater ist, ist weder bekannt noch relevant. Cheryl steht als Ersatz bereit. In anrührenden Szenen aus dem Brutkasten erzählt Miranda July von der strapaziösen Ankunft des Babys auf der Welt. Jack. (Cheryl hatte immer schon eine unerwiderte Neigung zu kleinen Kindern, Kubelko Bondy nennt sie ihren Schicksalsgenossen.)
Irgendetwas Riesiges wurde in seinen winzigen Hals geschoben. In seinen wunden Bauchnabel wurde ein dünner Schlauch gesteckt. Er wurde mit weißen Aufklebern bedeckt. Ein Netz aus Kabeln und Schläuchen wurde zwischen ihm und vielen lauten, piepsenden Maschinen gewebt. Es war kaum genügend Baby vorhanden, um alles Nötige daran unterzubringen.
»Meinst du, sie wissen es?«, flüsterte Clee aus ihrem Rollstuhl.
Zwischen den Falten unserer weißen Krankenhauskittel nahmen wir einander an der Hand und drückten sie fest – ein kleines, hartes Gehirn aus den weißen Knöcheln unser ineinander verschränkten Finger. Ich sah die Krankenschwestern um uns herum an. Alle hier wussten, dass dieses Baby zur Adoption freigegeben war.
»Das ist egal. Solange er es nicht weiß.«
»Das Baby?«
»Das Baby.«
Aber es gab keinen schrecklicheren Gedanken als den, dass dieses Baby dort um sein Leben kämpfte und nicht wusste, dass es ganz allein auf der Welt war. Er hatte keine Familie, noch nicht – rein rechtlich betrachtet, hätten wir zur Tür hinausgehen und nie wiederkommen können. Wie gebannt standen wir da, wie zwei Verbrecher, die vergessen hatten, vom Tatort zu fliehen.
Clee bleibt lethargisch auf dem Sofa, findet jedoch vorübergehend Erfüllung im Abpumpen der Milch aus großen Brüsten in kleine Flaschen. Man lebt sich wieder auseinander, mit der Liebe ist’s nichts geworden, der Sex ist unergiebig. Nicht nur der Altersunterschied, aber auch der.
Mann oder Frau. Spielt keine Rolle. Familie war im letzten Jahrhundert. Lebensplanung, nur eine vage Phantasie. Das Kind. Naja. Die Mama/Der Papa/Die Bezugsperson wird’s schon richten. Adoption ist angedacht. Miranda July hat keine Fixpunkte, keine Koordinaten, „alle Geschlechterklischees entsorgt“ (Lars Weisbrod, ZEIT) Und doch: Es kommen Gefühle ins rohe Spiel, die Geschichte kippt in Kitschnähe. Miranda July holt sie wieder raus, ein Happy-End verspräche kein Glück.
„July begegnet ihrer Figur Cheryl mit Empathie, aber nicht mit übermäßiger Sympathie. Ihr geht es nicht um gut und schlecht und schon gar nicht um Schuld, sondern darum, die eigentümliche Dynamik menschlicher Beziehungen in Handlungen zu übersetzen. Der Leser muss so selbst ausloten, wie er Cheryl gegenübertritt: Ob er es sich also einfach macht und diese Frau für ziemlich hinüber erklärt. Oder ob er eben doch diese bequeme Position verlässt und überlegt, an welchen Stellen er ihre Bedürfnisse verstehen, sie womöglich sogar in sich selbst wiederfinden kann.“ (Eva Thöne, SPIEGEL) Der weiche Kern will sich im rohen Spiel verbergen, es ist aber schön, wenn man ihn entdeckt. Die Pschotherapeutin ist Inventar des modernen Romans, auch sie ist aber gebrochen, Halt ist nicht mehr zu erwarten. 21. Jahrhundert.
2015 333 Seiten
Zur Inszenierung des Romans an den Münchner Kammerspielen 2017
Leseprobe beim Verlag Kiepenheuer & Witsch
![]() 2-3 |
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar