Nachrichten vom Höllenhund


Barry
15. Juni 2016, 19:13
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Kevin Barry: Dunkle Stadt Bohane

bohaneKevin Barry traut seinem Roman zu wenig und erklärt sich im Nachwort: „Bohane ist ein heimtückischer, übler, mörderischer, intri­ganter Ort – und verdammt sexy. Eine Stadt voll brutaler Killer, Ganoven und Banditen, und ich liebe sie alle. Die Geschichte ist in Technicolor geschrieben. Sie erzählt von einem Bandenführer, dessen Herrschaft zu Ende geht, sowie vom Thronfolgekrieg, der in den Ränke schmiedenden Rängen ausbricht.”

Die Handlung ist schnell berichtet: “Die Stimmung in der Stadt war ein Gemisch aus Angst und Hoffnung. Es würde einen mächtigen Zusammenstoß geben, und eine kleine Welt erschauert, wenn Giganten kollidieren.” Das Hochamt wird als Fehde zelebriert, am kürzesten Tag des Jahres und als Fest wiederholt in der “Nacht des Augustmarktes”. Aufstellungen, Lungern, “die Stadt wartet nur”, mehr ist nicht, aber dieses Nichts beobachtet Barry genau.

In Bohane, der fiktiven Stadt in Irlands Westen, hat das Laster senie Heimat, Sex & Drugs & Calypso gehören zur verklärten Folklore. Durch diesen brodelnden Kessel stromern die paar Haudegen, die überlebt haben und deren Würde darin liegt, keine zu haben. Noch können sich die Alten halten, aber sie sind sentimental geworden: “Aitsch”, Hartnett Logan, der lange Emporkömmling, sein Widersacher“Dschee”, der “Gant Broderick”, verflochten auch über die Braut Macu. Noch ein paar andere namentlich herausgehobene Typen spielen ihre Rollen, “sämtliche Charaktere entsprechen archetypischen Figuren des klassischen Western”. Sehnsucht liegt über der Stadt, saudade, die Trauer über die verlorene Zeit und die verlorene Welt und über das heranrasende Alter. Der Nachwuchs drängt nach vorne, verschleißt sich aber in ungeschützten Kämpfen.

Doch da ist Jenni.

»Das Killergirl«, sagte er.
Vom hohen Bogen der Brücke verfolgte Jenni Ching gelassen den Aufstand – ließ Rauchringe aus gespitzten Lippen in die Nacht kreiseln. […] Die Prozession zog weiter, und auf den Handelshöfen entlang des Ufers kauerten im kalten Schatten des Morgens die angeket­teten Köter mit ihren mageren, angstbebenden Flanken, und sie schnürten in die frische Luft eine Abfolge von jaulendem, flehen­dem Gekläff.
Jenni genoss diesen Vorgeschmack ihres neuen Lebens
wie sie dahinritt im feierlichen Takt ihrer Thronbesteigung, fühlte allerdings auch die Gänsehaut der Angst, checkste?
wie sie in den Blicken ihres Gefolges bereits nach dem gelben Flackern suchte, dem fahlen Abglanz des Ehrgeizes
wie sie im aufhellenden Himmel langsam den letzten Schimmer der verlorenen Zeit verblassen sah.

Jenni war gerade siebzehn geworden, für ihre Jahre aber ganz plietsch. Auf der Hut, das war sie auch, und ein scharfes kleines Luder mit Arschhängerhose, Keilabsätzen und ihrem zum Springbrunnen hochgeturbanten Streifenhaar. Sie fischte einen Zigarrenstumpen aus der Tit­tentasche ihres weißen Vinylhoodies, steckte ihn an.
»Auffer annern Seite der Brücke ist die Kacke am Dampfen, Mr Aitsch.«
»Weiß ich doch.«
»Wennse mich fragen, plustern sich die Cu­sacks aus Rache grad richtig in Rage, okay? Und das Letzte, was Smoketown brauch, issn Haufen dieser Loser, die von ihren Hochblocks zu uns runterbullern.«
»Bislang haben die Cusacks immer viel von einem guten Pow-Wow gehalten, Jenni.«
»Is nichs Pow-Wow, vor was ich Schiss hab, Mr Aitsch. Heißt, in letzter Zeit hätten sie vonnen Blocks drei Wohnsilos allein für sich untern Nagel gerissen, und das sind drei Hütten voll Wichser, die scharf auf Trouble sind, checkste?« *

Die Zunkunft ist weiblich und jung. Auch in Irland. Der Roman spielt Mitte des 21. Jahrhunderts, doch es ist “eine Retro-Zukunft”. Das Szenario wird reanimiert, ein letztes Mal, erzählen lässt es sich nur in parodistischem Pathos. (So wie Patrick de Witt in “Die Sisters Brothers” den Western noch einmal bemüht.)

“Der Roman ist anti­realistisch, auf Kicks angelegt und – vielleicht am wichtigsten -, er ist eine Komödie.” Und so ist der eigentliche Held des Romans: “seine fulminante sprachliche Gestaltung, ein atemberaubendes ästhetisches Feuerwerk, das seinesgleichen sucht. So ein übermütiges, pralles Erzählen in wilden Vergleichen, furiosen Metaphern, subjektlos hingeworfenen Sätzen, galoppierenden Reihungen, so ein innovatives Gespinst aus irischen Dialekten, altmodischen Floskeln, derben Dreistigkeiten, poetischen Miniaturen, verschluckten Silben, kindersprachlichen Doppelungen, dem spaßigen Spiel mit Klängen und Bedeutungen hat man lange nicht gelesen.” (Petra Schwarz, die Bücher-Rezensentin)

“Dunkle Stadt Bohane” muss man nicht lesen. Fraglos selbstbewusst  nennt Barry als “literarische Einflüsse” Anthony Burgess, Cormac McCarthy und James Joyce, “aber es gab mindestens ebenso viele Einflüsse aus Fern­sehen, Film und Comics. Fernsehserien wie Deadwood und The Wire, Filme wie The Wanderers oder West Side Story und Graphic Novels wie die Love and Rockets-Reihe der Gebrüder Hernandez waren zumindest so bedeutsam wie das enorme Erbe der irischen Literatur.” Wenn man das alles nicht (aner)kennt, wird einen der Roman eher langweilen.

* im Original:

Jenni was seven­teen but wise beyond it. Care­ful, she was, and a saucy little ticket in her low­riders and wedge heels, her streak­ed hair pine­appled in a high bun. She took the butt of a sto­gie from the tit pocket of her white vinyl zip­up, and lit it.
»Get enough on me fuckin’ plate now ’cross the footbridge, Mr H.«
»I know that.«
»Cusacks gonna sulk up a welt o’vengeance by ’n’ by and if yer askin’ me, like? A rake o’ them tossers bullin’ down off the Rises is the las’ thing Smoke­town need.«
»Cusacks are always great for the old talk, Jenni.«
»More’n talk’s what I gots a fear on, H. ls said they gots three flat­blocks marked Cu­sack ’bove on the Rises this las’ while an’ that’s three flatblocks fulla head­jobs with a grá on ’em for rowin’, y’check me?«

 

2015              300 Seiten

 

3-


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