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Joachim Meyerhoff: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke
Da weiß einer nicht so recht, was nach dem Abitur mit seinem Leben passieren soll – und so zieht es ihn in den Süden, von Schleswig nach München, wo seine Großeltern leben. Obwohl er schon als Austausschüler in den USA war (Alle Toten fliegen hoch), hat er doch Angst vor der Weite der Welt. Eher zufällig gerät er in die Otto-Falckenberg-Schule, die den Münchner Kammerspielen angeschlossen ist. Er soll Schauspieler werden. Will er? Kann erdas ?
Schule und Großeltern werden zu seinem Universum. Ein 22-Jähriger interessiert sich nicht für den Lauf der Welt, nicht für die Geschichte seiner Zeit. Sein Fixstern ist er selbst, ein weinerlicher großer Junge, notdürftig aufrechterhalten durch Schrullen und Schnaps der Großeltern. Ein Leben in der Ich-Blase, für einen Schauspieler wäre das vielleicht sogar eine der erwünschten Bedingungen. Joachims Welt reicht von der Innnentadt bis Nymphenburg. Er stellt sich als unbeholfenen Dilettanten vor, als Ignorant, zum Vergessen. Aber wortreich.
Großvater Hermann ist Philosoph und Meyerhoff erinnert sich, wie der ihn durchschaut.
An diesem milden Spätnachmittag fand mein Großvater plötzlich sehr deutliche Worte für mich: »Weißt du mein Lieber, wenn ich dir so zuhöre, und das tue ich wirklich gerne, wenn ich deinen Werdegang mitverfolge, kann und will ich doch ein bestimmtes Unbehagen nicht länger verbergen. Für dich scheint alles Phänomen zu sein. Du staunst ja über alles und sei es noch so unbedeutend. Die Welt anzustaunen ist eine sehr kindliche und friedliche Angelegenheit. Aber es ist auch furchtbar hilflos. Deine Teilhabe ist dadurch sehr eingeschränkt.« »Was meinst du mit Teilhabe, Großvater?« »Dadurch, dass du deinen Blick auf die Welt perfektionierst, drohst du dich selbst aus ihr auszuschließen. Teilhabe hieße, ein Bestandteil der Welt zu sein. Der Glaube an Gott ist für dich ein Phänomen, für mich Teilhabe an der Welt, ja, an der Schöpfung. Deine Generation neigt dazu, Kontexte zugunsten einer beobachtenden, aber unverbindlichen Position aufzukündigen. Die Welt wird dadurch zu einem Ereignis-Zirkus degradiert. Einer der Leitbegriffe meines Denkens ist der Begriff der Freiheit. Du scheinst mir auf die Freiheit, in der wir leben, wie auf ein selbstverständliches Phänomen zu schauen. Dieses Paradoxon bringt es auf den Punkt: das selbstverständliche Phänomen. Es gibt im Grunde nur noch Alltagsprobleme für dich, Alltagsprobleme als Alltagsphänomene.
Wie schon in den Vorgänger-Romanen breitet er die Kataströphchen episodisch aus, schaut genau hin, am genauesten in seine Innenwelt; Joachims Leiden der frühen Jahre, eloquent genossen. Das könnte als realistisches Selbstbild beeindrucken, das erweist sich aber von Roman zu Roman mehr als Koketterie. Seht her, ich, der Hüft- und Gefühlssteife habe es doch geschafft. Das lässt sich in der erfolgverwöhnten Distanz gut so erzählen. So amüsant einzelne Episoden sind, in der Häufung nerven sie mich zunehmend. Zu klar wird Meyerhoffs Methode, zu trottelig seine Ausstellung derselben. Wo in den ersten beiden biografischen Erzählungen die Exotik noch gegeben war (USA, psychiatrische Anstalt), wird sie hier gesucht/bemüht/gestreckt.
Es gibt Anekdötchen und Schnurren en masse. Meyerhoff schlägt aus den kleinsten Merkwürdigkeiten Funken. Wie die schwerhörigen Großeltern telefonieren, wie sie tiefenentspannt alkoholisiert Musik hören, wie Großvater Hermann Ausflüge plant und wie der junge Joachim dabei kotzt, wie er einmal ein Buch klaut usf. Alles wird so erstaunt und liebevoll beguckt und ins Herz geschlossen, einschließlich der Gegenstände (Möbel …)
Alles hatte komplett aufgegeben, sich mit sich selbst abgefunden und nie hätte ich gedacht, dass Gegenstände genauso wie Lebewesen vor sich hinvegetieren können.
Insbesondere das Dasein der Vorhänge im Haus meiner Großeltern hatte sich verfinstert. Es waren nur ein paar Monate vergangen zwischen den an heißen Sommernachmittagen in das Zimmer hineinbauschenden hellen Vorhängen bis hin zu jenen an Novembernachmittagen bleischwer zugezogenen, die aussahen, als hätten sie sich unter schwersten Depressionen selbst erhängt.
Die schrulligen Rituale entzücken nicht nur Enkel „Lieberling“ Joachim, man liest auch gerne davon – zumindest eine Zeit lang. Der andere Pol, die Bretter des Theaters, ist interessetechnisch ergiebiger. Die Jahrgangskollegen sind eigene Charaktere, allesamt Joachim überlegen, seine Vorliebe ist es, sich auf der Bühne zu verstecken. Und er reüssiert doch – sind da etwa Großmutter Inges Kontakte im Spiel? Sie war selbst Kammer-Spielerin.
Die Premiere selbst schoss an mir vorbei wie ein durchgegangenes Pferd.
Ununterbrochen waren wir im Einsatz, hetzten von einem Auftritt zum nächsten. Meine große Angst blieb die Walpurgisnacht. Eindrucksvoll setzte sich die Bühnenmaschinerie in Gang. Eine riesige Versenkung öffnete sich und heraus schob sich ein Berg voller Gerüste. Er schraubte sich in die Höhe. Während ich Alexander oben auf dem Berg mit heruntergelassener Hose wie besessen an sich herummachen sah, schlich ich mich hinter den Hügel. Wie befohlen holte ich auf Kommando das Gummigenital aus der Hose hervor, aber ich hielt es nur ein wenig fest, stieg vom Besen ab, ließ meine Hexenpartnerin Agnes im Stich und verbarg mich dann so gut es ging hinter dem Gerüstturm. So hab ich gleich in meiner ersten Aufführung das getan, was eine meiner ganz großen Stärken werden sollte: mich auf offener Bühne zu verstecken.
Ein große Rolle spielt der Tod. Der Bruder starb bei einem Verkehrsunfall, der Tod des Vaters wird im Roman berichtet, das Buch endet mit dem Tod der Großeltern. Hier findet Meyerhoff zu den ernst-heiteren poetischen Passagen.
Er schwebte zwischen Leben und Tod wie eine hochempfindliche Waage, die mit kleinsten Gewichten des Dies- und Jenseits austariert worden war. Er hatte sein Gleichgewicht gefunden. (…)Wenn meine Großmutter sich an seine Seite setzte, ihm über den Kopf strich und sagte, »Ach, Fridolin, jetzt musst du dich aber langsam mal entscheiden«, lächelte er. Ein Lächeln, dass nicht so sehr von den Lippen herkam, eher von den Augen, die Augen gingen auf, weit auf. Dann tränten sie, und wir tropften ihm Augentropfen hinein, um sie vor dem Austrocknen zu bewahren. Da sah dann der Großvater tränenüberströmt aus, als würde er bitterlich weinen. Das war ergreifend: das hagere uralte Gesicht mit den eingefallenen Wangen, die grauen Augen wie die eines Blinden und das eigenartige Licht im Zimmer, das sich mit der Stille durch das tagelange Daliegen des Großvaters zu etwas Neuem vermischt hatte. Ich wusste gar nicht mehr, ob das lichte Stille oder stilles Licht war. Etwas Sakrales erfüllte den Raum, etwas Feierliches und, was ich besonders genoss, etwas unantastbar Ernsthaftes. Alles war ernsthaft in diesem Zimmer, auch wenn wir lachten und uns an Großvaterbegebenheiten erinnerten.
2015 350 Seiten
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Joachim Meyerhoff:
Die Zweisamkeit der Einzelgänger
Ein 22-Jähriger interessiert sich nicht für den Lauf der Welt, nicht für die Geschichte seiner Zeit. Sein Fixstern ist er selbst, ein weinerlicher großer Junge, Ein Leben in der Ich-Blase, für einen Schauspieler wäre das vielleicht sogar eine der erwünschten Bedingungen. Joachims Welt reicht von der Innnentadt bis Nymphenburg. Er stellt sich als unbeholfenen Dilettanten vor, als Ignorant, zum Vergessen. Aber wortreich.
Das fiel mir zum Roman „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ ein und es fällt mir in stärkerem Maß auch bei der „Zweisamkeit der Einzelgänger“ wieder ein. Die Schauplätze sind jetzt Bielefeld und Dortmund, beides schreckliche Städte, Joachim ist ans Theater verschlagen. Er ist ein paar Jahre älter, die Welt besteht für ihn weiter aus sich selbst und ein paar Personen, in denen er sich spiegeln kann. Wo in den ersten drei biografischen Erzählungen die Exotik noch gegeben war (USA, psychiatrische Anstalt, Schauspielschule), wird sie hier in drei Frauen versenkt, die von Meyerhoff zu fast monströser Exzentrizität aufgeblasen werden. Ilse, die dicke Bäckerin, Franka, die biegsame Tänzerin und die Studentin Hanna sind das Kabinett, das Joachim bespielt. Er war
fasziniert von ihrem Aussehen. Zu große Zähne, zu große Augen, zu platte Nase, verdammt kurze Haare. Sie gefiel mir sofort. Immer wieder sahen wir uns an und tatsächlich – sie lächelte ein bisschen. Ihr Kopf bewegte sich seltsam mechanisch, auch die Arme und Hände, alles wie einzeln, unabhängig voneinander, als passe kein Körperteil zum anderen. (… die) wie von einem schweren Boxhieb eingedrückte Nase oder der sehr rot geschminkte, aufgeworfene Mund? Waren es die etwas zu dick gezogenen schwarzen Lidstriche? Seltsam zusammengewürfelt war dieses Gesicht: Mund, Augen, Nase überdimensioniert, und in der Summe hätte diese Anordnung leicht ein grobschlächtiges Gesamtes ergeben können. Tat sie aber nicht. Ich war mir nicht sicher, sah sie fantastisch aus oder grotesk?
Je skurriler, desto mehr strahlt Joachim, der Hanna-Bezwinger. Was hat er nicht alles auszuhalten. Meyerhoffs Egomanie wird zunehmend unangenehm, für eine Pointe opfert er alle(s), auch sich selbst. Und er pointiert gut.
Dass mich Franka nicht mehr ansah, faszinierte mich, denn ich fühlte mich dadurch schwer gedemütigt. Es war so, als ob ich nicht nur für sie nicht mehr existierte, sondern tatsächlich unsichtbar geworden wäre. Auch die Stadt sah mich weniger an, ganz Dortmund schien mich zu ignorieren. Wie ein Vampir, der darüber erschrickt, dass ihm sein Ebenbild nicht aus dem Spiegel entgegenblickt, erschrak ich darüber, dass durch Frankas Missachtung ein Teil von mir gelöscht wurde. Und, daran konnte kein Zweifel bestehen, es beeindruckte mich sehr, sie machte das wirklich gut, selbstbewusst und überheblich. Sie warf ihre Haare, streckte sich, rammte ihre Stiefel lauter auf den Boden, ein Meter achtzig purer Stolz, und rauschte an mir vorbei. Ich wurde zornig vor Verlangen und stellte mich ihr in den Weg. »Franka, das ist doch lächerlich. Bitte, lass uns reden!« Tonlos und geschmeidig umkurvte sie mich. Von Tag zu Tag wurde Franka schöner, und mein Begehren nach ihr durchlief alle nur möglichen Ausprägungen. Von gnadenloser Härte meinerseits bis nervösem Hinterherhecheln war alles dabei. Mich trieb das zu abstrusen Aktionen. Ich sprang ihr in die Sicht, tippte ihr von hinten auf die Schulter, umtanzte sie wie ein Idiot.
2017 415 Seiten

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