Nachrichten vom Höllenhund


Yates
18. August 2016, 16:08
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Richard Yates: Cold Spring Harbor

yatescoldspringRichard Yates könnte es noch: das verständnisvolle Entlarven der Selbsttäuschungen der Bewohner der Vorstadt. Jedes Mitglied der Familie, jeder Nachbar ist unabwendbarer Beobachter, uneingestandener Kontrolleur der Wohlanständigkeit, der Norm, des Normalen. Keiner kann die Ansprüche erfüllen, jeder blendet nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst, redet sich Hoffnung ein, wo es keine gibt. Kritik wird nicht ausgesprochen, Yates behält sie sich selbst vor, oft nur angedeutet durch die Auslassungspunkte. »Oh, da stimme ich Ihnen zu«, sagte Charles. »Da bin ich wirklich ganz Ihrer Meinung. Bei meiner eigenen … einem Mitglied meiner eigenen Familie habe ich das genauso gesehen. (…) Das klingt sehr … Das ist wirklich interessant.« Böse ist er seinem Personal nicht, er gehört zur Familie.

Nach der Vorstellung an jenem Abend umarmten und küssten sie sich wie junge Filmstars in der mond­hellen Ungestörtheit seines geparkten Wagens, bis sich Mary mit vielversprechend geschürzten Lippen von ihm löste. Sie schälte sich aus ihrer Bluse und ließ sie bis zur Taille hinabgleiten; dann griff sie mit beiden Händen hinter sich, um ihren BH zu öffnen, und als sie ihn abgestreift hatte, sah sie Evan unsicher an, als wollte sie fragen, ob sie das Richtige getan habe.
»Oh«, sagte er mit vor Ehrfurcht gedämpfter Stimme. »Oh, du bist schön. Oh, du bist wirklich schön, Mary.« (…)
»O Evan«, sagte sie. »O Evan.«
Und wenig später rissen sie sich für einen Augen­blick in geflüstertem Einverständnis zusammen, verlie­ßen in schmerzlicher Entbehrung den Vordersitz und sanken wollüstig in den Fond.
Die Liebe mag nicht alles auf der Welt sein, doch dar­über machten sie sich erst Gedanken, nachdem sie verheiratet waren.

Im ersten Roman, „Revolutionary Road / Zeit des Aufruhrs“, von 1961 treibt das selbstverordnete Streben nach dem kleinen ausbruch, dem Glück im Kleinen, die Situation fast zur Katastrophe. Yates verhindert das, indem er die Personen als Figuren vorführt, wie im Theater. Das Spiel geht weiter mit neuen Spielern. Der Roman zeichnet ein bedrängendes Porträt der Isolation innerhalb der überquellenden „Freundlichkeit“ der Suburbans. USA, 60er Jahre, auf dem Seziertisch.

„Cold Spring Harbor“ erschien 1986, 25 Jahre später, der Roman spielt in den 40er Jahren . Zeit: World War, weit weg, aber als Handlungsoption stets präsent, Ort: Vorstadt. Yates verzettelt sich aber mit seinem Personal. Zum Paar Evan und Rachel gesellen sich die jeweiligen Eltern, Geschwister, Freunde, manche Randfiguren. Jeder trägt sein eigenes Schicksal, die Katastrophen werden zahlreicher und dadurch im Überblick klein, austauschbar, Klischee. “Die Frau ist seelisch labil. (…) Oh. Vielleicht bleibt sie jetzt tagelang in ihrem Zimmer und versucht uns ein schlechtes Gewissen zu machen, weil sie sich schlecht fühlt. Daddy hat gesagt, sie braucht ihre Scham genauso wie die Wutausbrüche, bloß hat er sie >Auftritte< genannt.“ Der Mann findet nicht zu einem Job, den er für angemessen hält, der Krieg käme in Frage, es sei denn, man ist zu alt und schon überflüssig geworden. „Bei Yates rattern die Figuren in ein vorgespurtes Unglück, doch dass Millionen andere ihr Schicksal teilen, mindert nicht die Wucht des Aufpralls.“ (Christopher Schmidt, SZ) „Man darf den Mut nicht verlieren, auch wenn man vielleicht bloß abwarten kann, was als Nächstes passiert.“ Yates konzentriert sich in „Cold Spring Harbor“ nicht auf ein gepaartes Schicksal,, er schreibt ein Panorama, beleuchtet die Figur und stellt sie wieder ins Dunkel. Der „American Dream“ wie bei Edward Hopper. Die Sprache hält die sarkastische Empathie nicht durch.

Zumindest der Schluss ist zweideutig: Als sie den Kleinen sauber gemacht und gepudert und seine Windel gewechselt hatte, nahm sie ihn mit ins Bett, um ihn zu stillen. Während sein kleiner Mund an ihrer Brust nuckelte und noch bevor es ihr richtig klar wurde, sprach sie plötzlich mit ihm, als sei er schon alt genug, sie zu verstehen. »Ach, du kleines Wunderwerk«, sagte sie. »Oh, du bist ein Wunderwerk, das kannst du mir glauben. Du bist ein Wunder. Denn weißt du, was aus dir wird? Aus dir wird ein Mann.«

Richard Yates wird wiederentdeckt, nachdem er über Jahrzehnte vergessen schien. Allerdings werden zur Zeit gerne „Vergessene“ Autoren aufgefunden und gehypt. Ein Zeichen, dass es an zeitgenössischen wichtigen Autoren fehlt, Autoren, die mehr als ihre subjektiven Befindlichkeiten ins Buch bringen. Yates setzt einen Stein im Mosaik der weißen Mittel-/Unterschicht des US-Vorstädte des mittleren 20. Jahrhunderts. 1986 war er bereits schwer krank. Meine Freude an der „Revolutionary Road“ kann „Cold Spring Harbor“ nicht wiederholen. Schlusswort:

Doch als Phil Evans Lächeln beim Anblick seiner Schwiegermutter sah, hatte er das Gefühl, dass es den schlichten jungen Arbeiter erkennen ließ, der stets auf seinen Vorteil bedacht war.
»Es ging ja ziemlich auf und ab bei uns in diesem Sommer«, sagte Gloria, als die Drinks gebracht wurden, »aber ich denke, dass wir hier alle glücklich sein können, oder?«

 1986        235 Seiten

Infos, Links und Leseprobe beim Randomhouse-Verlag

Ausführliche Inhaltsangabe bei Dieter Wunderlich


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