Robert Seethaler:
Die weiteren Aussichten
So erzählt man gern in Österreich. Man lässt sich Zeit, lenkt den Blick auch auf die kleinen Dinge und die kleinen Leute, weil die ja auch ihre Wichtigkeit haben. Das Fahrrad, das Deckerl, die Frisur, die Mama, den Goldfisch, auch die Traurigkeit und das Glück. Nicht alles ist nur gut, es gibt auch Raufereien und Eifersucht und Amtsschimmel und Verletzungen und den Tod. Robert Seethaler lässt auch seinen Personen Zeit, denn die brauchen sie. Er nimmt sie ernst, auch wenn sie nicht perfekt sind. Und er macht sie zu Trotteln.
Hinter dem Erzählen steht die Präpotenz des Autors. Er sieht nicht nur alles (er hat es ja erfunden), er weiß auch alles. Und er erklärt alles, wie es so ist, warum es so ist, was die Personen davon halten, wenn sie es mitbekommen. Und wenn die nichts sagen und bloß die Hände in die Taschen stecken, schreibt der Autor halt seine Meinung hin. Zu Dorffesten etwa und zur volkstümlichen Musik, zur aktuellen Kunst und zum TV-Programm, zum Leben überhaupt und zum Tod und zur „Infrastrukturoptimierung“. Man liest das gern, weil man ja eine ähnliche Meinung hat, der Schriftsteller kann das aber so originell sagen und so nett. Seethaler legt seinen Figuren einen wummernden Populismus in den Kopf und versieht ihn mit dem Autorenstempel. Und das nervt. Doch!
Karl Sprnadl hasst das Fernsehen. Das Fernsehen ist nach Karl Sprnadls Meinung der größte Dreck auf Gottes Erden. Noch nie ist irgendetwas Brauchbares oder Gescheites im Fernsehen gewesen. Und wahrscheinlich wird auch nie irgendetwas Brauchbares oder Gescheites kommen. Weil die Fernsehmacher allesamt verbrunzte Vollidioten sind. Die denken sich nämlich Sendungen aus, die nicht einmal einem hirngeschädigten Halbaffen einfallen würden. (…) Gerade und vor allem die Volksmusiksendungen! Da stellen sich fast jeden Abend ein paar bunt geschminkte Deppen in eine Reihe und versuchen mit einem einzementierten Grinsen im Gesicht dem Playback des immer gleichen Liedes hinterherzusingen. (…)Insgesamt sitzen nach Karl Sprnadls Meinung in den diversen Fernsehredaktionen sicher weit mehr Idioten als in allen Psychiatrien und geschlossenen Anstalten dieser Welt zusammen. Und da könnte er recht haben.
Herbert ist lang und beinig, er lebt mit seiner Mutter in einer eher wenig frequentierten Dorftankstelle. „Mütterlichkeit“ ist wichtig bei Seethaler, er ist beseelt von ihr. Herbert ist nicht der Schnelst, nicht der Hellste, „dieser blöde Bub“, und Herbert ist Epileptiker. Hilde ist Putzfrau im Hallenbad und „prall“ und „rund“ wie die Böhmin Anezka in „Der Trafikant“ und auch so weich und eines Tages radelt Hilde auf ihrem blauenFahrrad an der Tankstelle vorbei. In Herbert erwacht etwas, was, weiß er nicht so genau. Der Fisch im Aquarium heißt Georg.
Von da an läuft das Leben an und gleich auch aus dem Ruder. Herbert und Hilde legen eine Ausbruchsstory hin, klauen die Mutter aus dem Krankenhaus und den Krankenwagen gleich dazu, die planlos wilde Jagd geht weiter über die Felder und durch den Wald und den Hügel hinab, mit dem Boot über den Fluss ins Nirgendwo, man kommt nicht voran.Skurril, sich überschlagend, dann wieder im gedankenlosen Stillstand. Georg im Glas muss auch mit. Seethaler bebildert das minutiös und dadurch auch eintönig, dass man hofft, der die Flucht und mit ihr der Roman möge zu einem Ende kommen. Immer wieder steckt Herbert die Hände in die Taschen, immer wieder denkt er an sich als „der kleine Herbert“, immer wieder hört er zu denken auf, immer wieder schreibt Seethaler das gleiche.
Der Schmerz, denkt sich Herbert, ist die Luft. … So schnell kann das also gehen, denkt sich Herbert noch, und dann ist er weg. … Und dagegen muss etwas unternommen werden. Und zwar jetzt sofort und ohne großartig nachzudenken … Deswegen hat Herbert also aufgehört mit dem Denken. …An all das denkt Herbert jetzt nicht, während er mit weit ausholenden Armbewegungen das Wasser durchackert. … Herbert denkt an gar nichts. Oft ist nämlich das Denken dem Fühlen nur im Weg. … Und so hört er auf mit dem Denken.
Komisch muss das ausgesehen haben von weitem, wie da zwei Menschen, ein ziemlich runder und ein ziemlich langer, auf einem winzigen blauen Fahrrad den Horizont entlangwackeln, den abglühenden Sonnenrücken im Hintergrund. Aber das Leben ist eben manchmal komisch. Und das Glück sowieso. … Vom Ufer aus muss das seltsam aussehen, das schmale Holzboot mitsamt den drei Menschen und der Krankenliege inmitten des Flusses. Da könnte sich schon jemand so seine Gedanken machen.
Auch in seinen späteren Erfolgsromanen ”Der Trafikant” (2012) und “Ein ganzes Leben” (2014) erzählt Seethaler ähnlich. Aber er er lässt seine Protagonisten auf eine echte Welt stoßen. Andreas Egger ist ein Außenseiter, der seine kleine Bergwaldarbeitswelt vergeblich gegen die Gegenwart, den Tourismus, die Natur, den Krieg verteidigt. Seethaler konzentriert ein ganzes Leben auf 160 Seiten, dem Buch tut das gut. Der Der 17-jährige Franz Huchel wird 1938 aus seinem Heimatdorf nach Wien geschickt, um dort Trafikant zu werden, er trifft auf Sigmund Freud und muss sich mit den rabiaten Hitleristen auseinandersetzen. Gerade diese Verflechtungen des persönlichen Schicksals mit den historischen Wirren macht die Attraktivität des Romans aus. In „Die weiteren Aussichten“ fehlen solche Bezüge, fehlt auch die erzählerische Reduktion. Das Erzählen ist pure Empathie, der Zweck ist damit beschrieben.
Diese Hasen, hat sich Herbert gedacht, die schauen aus ihren braunen Augen in die Welt hinaus und wissen eigentlich recht wenig. Zum Beispiel wissen sie nichts über die eigene Schlachtung, die haben nicht einmal eine Ahnung davon, die kennen auch keine Spieße, und schon gar nicht kennen sie Nagelscheren, aber irgendetwas hinter diesen mit Samt ausgelegten großen, runden, dunklen Augen, irgendetwas da tief drinnen in so einem Hasen, kennt den Tod, hat Herbert sich weiter gedacht, und da war er sich ganz sicher. Den Tod kann man nämlich kennen, ohne viel zu wissen. Und wer den Tod kennt, der kennt auch das Leben, und wer das Leben kennt, der hat auch eine Seele, so ist das nämlich und nicht anders.
Gottlob nennt Seethaler Herbert nicht “der Herbert” und gleitet so nicht ganz ins kindgrecht Christinenöstlingerische, “die Mama” muss natürlich so heißen.
2008 315 Seiten
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