Nachrichten vom Höllenhund


Steinbeck
25. August 2016, 18:41
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter: ,

Michelle Steinbeck:
Mein Vater war ein Mann an Land
und im Wasser ein Walfisch

steinbeckwalfischDem Roman ist nicht zu trauen. Was sich in einem Satz so realistisch liest, kann im nächsten ganz anders sein, sich wahnwitzig umkehren. Die Erzählerin lügt aber nicht, sie fantasiert. Ob im Traum, im Fieber, im Rausch, bloß zur spielerischen Täuschung oder als ästhetische Kunstform, ist schwer auszumachen. Michelle Steinbeck, geboren 1990, entfaltet eine Phantasmagorie, originell verwobene surrealistische Bilder und Eindrücke, die Leute eine Schar von Spielern, magische Wesen und echte Menschen. Die magische Welt des jungen Mädchens, das die Welt vor dem unabdinglichen Erwachsenwerden auskosten will. Nichts für mich.

Doch dann finde ich das Buch auf der Longlist für den deutschen Buchpreis 2016. Dort gehören eigentlich ernsthafte Auseinandersetzungen hin, keine Kleinmädchenspinnereien. (Oder hab’ ich wieder einen Trend verpasst?) Steckt in Michelle Steinbecks erstem Roman doch mehr?

Loribeth begibt sich auf große Wanderschaft. Sie muss ihren Vater finden – auf einer „Insel der geflohenen Väter“ – und ihm einen Koffer bringen, darin ist ein totes Kind. Nicht immer ist es tot und vielleicht ist Loribeth dieses Kleinkind im Koffer, das sie dem Vater zurücklassen muss, um sich zu emanzipieren. Der Vater ist ein Mann, der so gut schwimmen konnte, dass er “sogar ein Walfisch“ war. Metamorphosen zuhauf. Loribeth ist noch das hilflose, unerlöste Kind.

“Ich bin wie eine Flunder auf dem Fischmarkt. Ich weiss, dass ich am falschen Ort bin; mein Leben, mein Meer ist nur wenige Meter entfernt, aber ich hab weder die Energie noch die Beine, dorthin zurückzukommen. Da ist es doch angenehmer, einfach liegen zu bleiben, flach zu atmen und auf die Erlösung zu warten.” Loribeth muss sich weitertreiben lassen. Doch merh und mehr wird sie ein selbstbewusst fragendes und wünschendes Mädchen. “Können wir nie an­ders sein als unsere Eltern?”
Du hast recht, sage ich, ich bin wie du. Ich habe auch diese Krankheit: alles zu wollen. Alles wissen, al­les fühlen, alles erleben! So viel wie von der Welt in ein Leben hineinpasst, will ich haben. Und noch mehr. Und fühle mich dabei wie ein Räuber.

Es ist so langweilig! Ich will immer woanders sein, nie da, wo ich gerade bin. Aber nützt das, woanders hinzu­gehen? Ich nehme mich ja immer mit. (…) Ja, ich kann es so machen wie du, ich kann bleiben und warten, bis ich explodiere oder eingehe. Oder ich mache es anders und werde mehr so, wie ich will. (…) Die Alte hört mir überhaupt nicht zu, sie fusselt an der Wolldecke herum, und ich rüttle an ihren Schul­tern: Mein Ohr saust! Ich bin ganz verloren. Ich er­kenne mich nicht im Spiegel; es ist gegen mein Bild von mir, so zu sein, so faul, gemein und schlecht. Ich will dieser Mensch nicht sein.
Weisst du, was ich letzthin gedacht habe? Wenn ich mal gross bin, hab ich gedacht – und dann ist es mir eingefallen: Ich bin gross. Das ist jetzt. Ich kann mir die Zähne putzen, wann ich will, und wenn ich nicht will, tu ich’s gar nicht. Ich kann einem kommu­nistischen Fussballklub beitreten, auf dem Dorfplatz Lieder grölen, mich endlich einmal zugehörig fühlen. Oder auch nicht. Aber ich kann und muss jetzt ma­chen, was ich immer wollte, was ich jetzt will. Sonst passiert es nämlich nicht.

Loribeth trifft auf viele Wesen, bei denen sie Antwort sucht. Die Wahrsagerin, den „hellen Mann“, Fridolin Seifert, auch die drei Doggen, die sprechen können, Hexen, Amputierte, Kinderbanden, aber alle sind unzuverlässig, alle verschwimmen, als Loribeth sich festhalten will. Immer braucht sie etwas Essbares, doch es sind nur Brösel, Tabletten, Zigaretten, Surrogate, allenfalls ein Getreideriegel. Die Gefahren sind vielfach, omnipräsent, vor allem das Wasser droht einen zu verschlingen. Sie schaut „hinunter ins tosende Wasser”, Alexander wird “von schwarzöligen Wellen verschluckt”, eine “Welle wächst und schlägt hoch bis an den Turm, zerplatzt krachend an der Scheibe. Ich ziehe den Kopf ein und schlüpfe unter die grösste Glocke.” “Im Meer taucht ein grosser Schatten auf und be­wegt sich auf uns zu. Das Wasser kräuselt wie hun­derttausend Pockennarben, und da erhebt er sich aus dem Wasser, schwarzglänzend, mächtig prustend und gurgelnd. Wir waten auf ihn zu, der Wal öffnet sein Maul, und behutsam balanciere ich den Koffer und steige in die Dunkelheit hinab.

Die Bilder sind bekannt, Michelle Steinbeck setzt sie in die phantastische Weltenfahrt ein und schafft dem Leser Anhaltspunkte. Ein Märchen mit Burgen und gläsernen Kirchen und Inseln. Kindlicher Sadismus, Heirat und Kinder und Erziehung als Albträume, die Logik des Widersinns wird nicht hinterfragt, erzählt wird in der nüchternen Sprache des Selbstverständlichen. “Luzide Absurdheitsprosa zwischen Panik und Komik, vom Feinsten.“ (Sabine Vogel, FR) Nichts für mich. Ob’s die Mädchen lesen und lieben werden?

„Wenn das die Zukunft ist, will ich hier auch nicht leben.“

 

2016              150 Seiten


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