Hiromi Kawakami:
Bis nächstes Jahr im Frühling
Hiromi Kawakami lässt das Personal ihrer Romane viel, besser: oft essen. Auch Frauen gehen, wenn sie nicht kochen, gern in Restaurants und lassen den Leser an der speziellen Vielfalt der japanischen Küche teilhaben.
»Was darf ich Ihnen bringen?«, fragte sie und verneigte sich im gleichen Winkel wie die erste.
»Haifischflossen, Morcheln und gemischte gedämpfte Pilze. Eine gebratene Languste. Und dann noch von der Pekingente und zum Schluss eine Portion kalte Soba mit Brühe. Und zum Nachtisch etwas mit Kokosmilch«, bestellte Satomi. Noyuri sah sprachlos zu. Sie hätte Satomi gern Einhalt geboten, war aber unfähig, ihren Redefluss zu unterbrechen.
Für Noyuri ist es nicht leicht, ihrem Mann ins Gesicht zu sehen, obwohl sie dringend mit ihm sprechen muss, denn sie hat erfahren, dass er eine Geliebte hat. Vielleicht auch zwei. Noyuri ist eine kleine, ganz wenig selbstsichere Frau, sie sucht die Fehler eher bei sich als bei anderen, “Ich bin noch immer wie ein Kind, dachte sie und umschloss ihren Körper mit beiden Armen”. »Was habe ich eigentlich vom Leben?«, fragte sich Noyuri immer wieder. Schon bevor Takuya ihr seine Trennungsabsicht eröffnete hatte, war die Zeit ebenso unaufhaltsam verstrichen. Auch wenn sie bewusst in ihrem Gedächtnis forschte, stieß sie auf keine richtigen Erinnerungen.
Abermals seufzte Noyuri.
Warum hatte Takuya sie geheiratet? Sie hatte es immer vermieden, darüber nachzudenken, aber nun stellte Noyuri sich diese Frage mit voller Absicht.
»Und vor allem, warum habe ich ihn geheiratet?« Das sollte ich mir vielleicht zuerst überlegen, dachte sie. Aber sie kam zu keinem Ergebnis.
Das gemeinsame Essen ist auch Ort und Anlass für Gespräche, wobei es nicht selbstverständlich ist, dass man sich beim Essen gegenüber sitzt.
“Es kam selten vor, dass sie nebeneinander an der Theke saßen. Die Restaurants, die Takuya in letzter Zeit ausgesucht hatte, servierten meist westliche Speisen, und sie saßen einander stets am Tisch gegenüber.
»Irgendwie gemütlicher, wenn man sich nicht ins Gesicht sieht«, murmelte Noyuri.” Sie muss ihren Man zur Rede stellen, vor allem, seit immer öfters die anonymen Anrufe kommen.
Als sie aus der kleinen Kanne einschenkte, vergoss sie etwas Tee.
»Entschuldige«, sagte sie. Takuya nickte nur stumm.
Kaum hatte er sich an den Esstisch gesetzt, als aus dem Fernseher lautes Gelächter ertönte. Er wandte seine Aufmerksamkeit kurz dem Fernseher zu, richtete den Blick aber dann sofort wieder auf seine Teeschale.
»Also«, sagte Noyuri.
Takuya schwieg und blickte auch nicht auf. Noyuri unterdrückte das Gefühl, abgewiesen zu werden, und fuhr fort.
»Also, es gibt etwas, das ich dich fragen möchte, Taku.«
Takuya blieb weiter stumm. Noyuri starrte auf seinen gesenkten Kopf. Er hatte zwei Wirbel. Menschen mit zwei Wirbeln seien stur, hatte Makoto einmal gesagt.
»Schon die ganze Zeit will ich dich das fragen.«
Takuya schaute immer noch nicht auf. Wenn er sich den Kopf gewaschen hatte, wirkten seine Haare weich und verstrubbelt, aber wenn er wie jetzt aus der Firma kam, waren sie hart und störrisch.
»Wann hättest du es mir gesagt?«
Takuya hob seinen Kopf wie etwas sehr Schweres. Er öffnete halb den Mund. Aber er sprach nicht. Dann blickte er kurz wieder nach unten.
Noyuri hat kaum Bekannte, sie fühlt sich Takuya zugehörig und da der nicht spricht, muss sie mit sich allein reden, ihre Gedanken sind so eindeutig, dass sie sie über sie erschrickt und sie ungedacht machen will. Eiji ist ein ebenso unsicherer Studienkollege, Tamoko, eine Bekannte aus der Studienzeit, ist älter und viel robuster, was sich auch im Essen zeigt, Noyuri isst wenig, trinkt fast nichts. Nur ihr Onkel Makoto wirkt abgeklärt, hört sich Noyuri an und spricht ihr gut zu; seine Frau hat ihn gerade rasugeschmissen.
Hiromi Kawakami unterteilt ihren Roman in Jahreszeiten- und Wetterkapitel. Es passiert nicht viel, Noyuri ist ausgefüllt mit ihren suchenden und ängstlichen Gedanken, sie weiß, dass sie selbständig werden muss, will das auch, aber das scheint auch in Japan nicht so einfach zu sein, auch und vor allem für Frauen nicht. Traditionelles Denken und Rituale engen ein, aber die Personen merken das und leiden darunter, auch wenn sie keine einfachen Lösungen kennen. Steffen Gnam nennt es “Schwellenängste der Modernisierung“ (FAZ). „Er hat nur geduscht. Er will nicht das gleiche Badewasser benutzen wie ich. Tränen stiegen ihr in die Augen.“
Hiromi Kawakami ist ganz nah bei Noyuri, erzählt aber nüchtern, unaufgeregt, ohne Einfühlung, sie lässt die junge Frau allein mit ihrer Verzweiflung. Das macht das Buch lesenswert. Dennis Scheck, der mir den Roman im Fernsehen als „eine der unvergesslichsten Liebesgeschichten der Gegenwartsliteratur“ empfohlen hat, übertreibt, ich vertrau ihm immer weniger.
2008 220 Seiten
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