Nachrichten vom Höllenhund


Hamlet
3. Oktober 2016, 12:22
Filed under: Theater

William Shakespeare: Hamlet
Inszenierung: Katrin Plötner

Wenn das nicht zum Aus-der-Haut-Fahren ist. Du studierst im Ausland, um einmal den väterlichen Betrieb zu übernehmen, und als der Vater zu Tode kommt, schnappt sich ein anderer den Chefposten und du guckst in die Röhre. Schlimmer ist nur, wenn es der Bruder deines Vaters ist, der den Vorsitz geentert hat und du deine Mutter in Onkels Bett findest.

Es sind verschiedene Reaktionen denkbar, eine ist die Rache. Allein an wem? Die Mutter ist immerhin die Mutter, also tabu, so sehr Hamlet auch die Schlampe in ihr sehen muss. Onkel Claudius gibt sich jovial, nennt Hamlet „Sohn“, auch das missfällt Hamlet, ist aber noch kein Motiv zum Onkelmord. Das alles wurde vielgedeutet, Hamlet hat aber insofern Glück, als er ein Geschöpf Shakespeares ist, und der schickt ihm den verstorbenen Vater als Geist. Der fordert Rache ein, er sei ermordet worden. Heute wissen wir, dass der Geist ein Wesen aus dem Reich der Psychologie ist, aber Shakespeare lebte vor langerlanger Zeit.

Hamlet sinnt auf Nemesis, doch der Gedanke, dafür selbst aktiv werden zu sollen, fordert und überfordert ihn. Nein, er wird nicht verrückt, er hat die schlauen Sätze, alle anderen gieren nur nach Macht und Sex. Er spielt allen was vor. (Natürlich auch sich selbst.) Im Regensburger Theater streift Jacob Keller nackt durch sein Schloss Kronborg, er hat nichts zu verbergen und ham4er hat – zunächst – auch nichts zu befürchten, denn er ist beliebt im Volk. Hamlet kann man sich als Jacob Keller vorstellen. Ein unfertiger Schlaks, bedacht zynisch in seinen Sottisen der Mutter gegenüber, zur Jugendfreundin Ophelia zeigt er sich unnahbar, um ihre Emotionen abzukühlen, Liebe kann er jetzt nicht mehr aushalten. Alles Ersatzhandlungen. Statt den Oheim gleich um die Ecke zu bringen, inszeniert er ein Puppenspiel (süß – mit Maulwurf) -, das ihm letzte Gewissheit über die Schandtat von Onkel und Mutter verschaffen soll. In der zweiten Spielhälfte verliert Hamlet/Keller die Contenance, brüllt, bis man ihn – wie schon als Caligula – kaum noch versteht. Aber daruf kommt’s nicht an.

Schwiegerkönig Claudius verleiht Stefan Schießleder ganz die labile Überlegenheit, er ist ja jetzt der Chef, aber das heißt heute wie vor 500 Jahren, ständig auf der Abschussliste zu stehen. Er schickt Hamlet nach England, mit der schriftlichen Aufforderung, sich ermorden zu lassen und steht und irrt sonst über die Bühne. Franziska Sörensen sollte, auch hier ähnlich wie bei „Caligula“, die mütterliche, aber frisch gebliebene Geliebte sein. Sie macht nichts falsch, doch ham1alle Verführung ist immer gespielt. Als Ophelia hat man Verena Maria Bauer engagiert, direkt von der Schauspielschule, und sie dankt es als selbstbewusst-verzweifeltes Mädchen. Die Mädchenrolle sieht an sich wenig Handlungsraum vor, sie stürzt sich abseits der Bühne ins Wasser, doch noch als Tote zeigt sie, endlos reglos auf der Rampe sitzend und noch ganz nass, ihre bezwingende Dominanz. Ein guter Kauf.

Dänemark hat drei Ecken. In der vorderen, spitz auf das Publikum zugeneigt, steht die Urne des alten Königs. Asche darf gestreut werden, auch auf Hamlets Haupt, später vereinigt sich die Asche mit dem Dreck unter dem Aufbau. Es läuft etwas schief im Staate, die Moral ist ins ham2Rutschen geraten, die Personen geraten leicht ins Schlingern. Unter dem trigonalen (Hof-)Staat lauern die Hohlräume, lichtert allerlei Intrige, man kann sich verstecken, plötzlich hervorkriechen, man hört alles. Ein inspiriertes Werk von Maria Moser.

Shakespeares Stück ist ein wenig verworren, obwohl Katrin Plötner schon mancherlei Personal und etlichen Handlungsfirlefanz gestrichen hat. Am Schluss müssen alle Dänen tot sein und die Regisseurin stellt sich der Qual, keine rechten Motivationen zu finden. Das Spiel eiert, bemüht Füllstoff, mit allerlei Gewerk schaffen es aber Plötner und Shakespeare die fälligen Katastrophen zu zelebrieren. Wo Shakespeare toxische Degen und vergiftete Säfte einsetzt, begnügt sich Plötner mit Blut, das sich die Akteure eimerweise über die Schädel gießen. Das ist ham3nicht Klamauk – ja, das auch -, sondern fügt sich überzeugend in Shakespeares Marotte des Spiels im Spiel, des Aufbrechens der Realitäten, derb und lustig. Man spielt ja auch fürs Publikum. „Shakespeare hatte ein äußerst amorphes Volk zu unterhalten. Sein Publikum bestand aus den’“Gründlingen’ (Handwerkern, Lehrlingen) auf den billigen Plätzen und den Bürgern und Edelleuten auf den Galerien und Rängen.“ (Peter Kümmel, ZEIT)

Heute ist die Saalbesetzung uniform, brave Bildungsbürger vom Studienrat aufwärts, es gibt keine billigen Plätze mehr. Katrin Plötner gelingt eine Inszenierung, die Stärken des Stücks herausarbeitet, aber auch dessen Amorphismen nicht überspielt. Dass sie „den Fokus auf eine politische Lesart des Stücks“ (Programmheft) lege, habe ich übersehen. Die Zerwürfnisse am Hof, der auch der Staat ist, sind Machtspiele, wenig politisch in einem heutigen Sinn; dass Norwegens Prinz Fortinbras das letzte Wort hat und Dänemark freund-feindlich übernimmt, gibt dem Gemetzel nur ein wenig äußerlichen Nachdruck. Die Fähnchen sind in ihrem Rot nur hübsch anzusehen. „The Tragicall Historie of Hamlet, Prince of Denmarke“ (Original). Wo aber am Schluss alle tot gemacht sind, ist kein Platz für die Tragik. „Überhaupt scheint die Tragö­die nicht Plötners Genre zu sein, tragisch ist hier nichts. (Petra Hallmayer, SZ) Das wiederum ist auch nicht tragisch. Man schaut das gerne an. Ordentlicher Beifall des nicht vollzählig erschienenen Publikums. (Gründlinge mit Präferenz für CL!?)

In der ZEIT nennt Martin Eich Katrin Plötner ein „Kraftpaket voll Melancholie“. Nicht wenige sagen“, sie sei das „Regietalent des deutschen Theaters“. In den Video-Statements wirkt sie eher schwammig unbedarft.

Theater Regensburg – Aufführung am 28. September 2016

 Fotos: Jochen Quast


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