Joost Zwagerman: Duell
„Kennst du das Zitat des rumänischen Philosophen über Bach? Ach, wie war noch sein Name? O ja, Cioran, genau! Nun, was ich sagen wollte, ist, daß Cioran einmal folgende Behauptung aufgestellt hat: >Gott hat Johann Sebastian Bach viel zu verdanken.< Phantastisch, oder? Es ist mehr als nur eine bloße Umkehrung, finde ich. Dieser Satz berührt den Kern alles Schönen, Wahren und Guten. Über Rothko können wir dasselbe sagen: >Gott hat Mark Rothko viel zu verdanken.< Zu einem anderen Schluß kann man nicht kommen, wenn sich einem Untitled No. 18 offenbart … Und wenn schon Gott Rothko viel zu verdanken hat, wieviel haben wir dann diesem wunderbaren Mann zu verdanken? Der Gedanke, das Bewußtsein, daß die Betrachtung eines Rothkos uns einen kurzen Blick auf eine Schönheit schenkt, die sogar Gott sprachlos macht, das müssen wir in unserer Ausstellung im MoMA zeigen, mit Untitled No. 18 als pochendes Herz unserer Schau, don’t you think so, Jelmer?«
Das sind die letzten Sätze des „echten“ Epilogs der Novelle. Jelmer Verhooff ist – noch – Direktor des Hollands Museum, des “wichtigsten Museums für moderne Kunst in den Niederlanden”, das vorübergehend geschlossen werden soll. “Für die sechs Monate, die das Hollands noch geöffnet sein würde, organisierte Verhooff im Eiltempo eine letzte Ausstellung, die zunächst Reactions heißen sollte. Zwanzig junge niederländische Künstler, die nicht älter als Dreißig sein durften, sollten in einen »Dialog« mit einem klassisch-modernen Meisterwerk aus der Sammlung des Museums treten.” Zu den Ausgewählten gehört auch Emma Duiker, die “Gemälde zeitgenössischer Meister bis ins kleinste Detail kopierte, immer mit Zustimmung der betreffenden Künstler, die ihr manchmal sogar mit Informationen zu praktischen Dingen wie Farbsorten, Farbschichten, Impasto, Pigmenten, Bespannung halfen. Mitunter arbeitete Emma Duiker überdies mit Röntgen- und Mikroskopieuntersuchungen, die Restauratoren durchgeführt hatten. Sie hatte sogenannte Doubles von Arbeiten von Sigmar Polke, Gerhard Richter, Jörg Immendorff, Cy Twombly und anderen weltberühmten Malern gemacht.” Sie “selbst empfand sich mehr als eine reproduzierende Künstlerin. Das sagte sie zumindest zu Verhooff, als er sie einmal besuchte. Der ‘Komponist’ Rothko könne auf unterschiedliche Weise gespielt werden, und sie versuche aus ihrer Darstellung von Untitled No.18 mehr als eine normale »Aufführung« zu machen; sie unternehme den Versuch, die Seele des Machers offenzulegen.” “Gerade durch diese Aufführung”, so ein Kritiker, “gelinge es Emma Duiker, einen Hauch der Sublimität eines der anmutigsten, fragilsten Werke Rothkos sichtbar zu machen. Und diese Leistung sei für sich ebenso sublim.”
Es begibt sich nun, dass Emma Duiker, das Werk, das sie “aufführt”, den echten Mark Rothko, entführt und an verschiedenen Orten in Europa hängen lässt, in Bibliotheken. Altenheimen, Klassenzimmern. Sie versteht das als “Kunstaktion” wider den elitären Kunstbetrieb, Untitled No. 18 soll allen gehören, seine Wirkung zeigen, sie will die „totale Demokratisierung“ der Kunst.. Emma Duiker ist Idealistin. Jelmer Verhooff ist entsetzt, das Werk ist 30 Millionen wert, er macht sich für den Diebstahl verantwortlich und entdeckt das Bild schließlich in einer Schule in Slowenien. Mit seinem schrulligen Restaurator reist er dorthin, bei der umständlichen, im Kleinkriminellen verborgenen Rettungsaktion wird das Bild aber zerstört, der Museumsdirektor selbst hat es mit der Faust durchschlagen.
Die Auseinandersetzung mit dem “Wert” von Gemälden und der Frage, inwiefern diese “echt” sein können, ist der eine Schwerpunkt von Zwagermans Novelle, eine “grandiose Meditation über Handwerk, Originalität und Genie“ (Denis Scheck). Deutlich mehr Raum nimmt die detektivische Aktion der Wiederbeschaffung ein, am Rande der Legalität, verborgen vor Medien und Kunstöffentlichkeit. Das ist stellenweise spannend, oft skurril, immer ironisch, das Hauptthema erschöpft sich aber doch recht schnell. Ich lese das Buch gern, Scheck verhebt sich aber wieder mal in seinen euphoristischen Empfehlungen.
2010 150 Seiten
![]() 2- |
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar