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Toshiki Okada: Hot Pepper, Air Conditioner and The Farewell Speech
Inszenierung: Toshiki Okada
“Hot Pepper” war ein Restaurantführer, den man aus ganz praktischen Gründen vermisst: Hier hätte man ein Lokal finden können für die Abschiedsfeier einer gekündigten Kollegin, wo es mehrheitskompatible Gerichte zu erschwinglichen Preisen gibt. (Ins Japanische übertragen: Innereieneintopf zu höchstens 70000 Yen) Erika ist (war) Zeitarbeiterin wie ihre drei Kollegen, die sich im Großraumbüro über die Solidarität im Betrieb unterhalten, aber man weiß nichts über die Kollegin, außer dass sie sich sogar mit „Word“ und „Excel“ auskannte. Wenn schon so eine entlassen wird, dann werden die anderen auch bald an der Reihe sein. Seltsam auch, dass man die in Frage kommenden Lokale, die nur 10 Minuten entfernt sein sollen, nicht aus Augenschein kennt. Man redet aneinander vorbei, man kommt zu keinem Ergebnis. Die Bühne dreht sich.
Die entlassenne Kollegin heißt Erika und sie hält ihre „Farewell Speech“ nicht im Lokal, das war nicht zu organisieren, sondern im Büro. Sie bedankt sich für das Jahr und die 10 Monate, die sie im Betrieb sein durfte, doch schweift sie schnell ab zu ihrem „Privatleben“, das darin besteht, sich für den Job bereit zu machen: waschen, schminken, Schuhe putzen – bis vor ihrer Tür eine Zikade liegt. Sie tritt sie tot, beschreibt die Larve wie den Käfer von Kafkas „Verwandlung“. Die Katze frisst sie. Die Arbeit frisst den Menschen. Die Rede verläuft sich.
Gearbeitet wird nicht in den drei Szenen von Toshiki Okadas „psaychosomatischem“ Theater. Allenfalls darüber geklagt, dass, dass man eigentlich willig, fähig, konzentriert sei, doch die Bedingungen, die sind nicht so, dass man sich auf die Arbeit einlassen könnte, weil die Firmenleitung den „Air Conditioner“ so eingestellt hat, dass er eine Temperatur von 23 Grad hält bei gleichzeitiger Höchststufe des Ventilators, der dem Fräulein so sehr ins Gesicht, speziell in die Stirn bläst, dass sich ihr Körper völlig verspannt, „vom normalen Menschenverstand aus kann das gar nicht sein“. Man könnte sich darüber beklagen, allein bei wem? Ihr gesetzter Kollege, der nur seine Skills ausbauen will, rät zur Polizei, doch eigentlich möchte er ihr menschlich näher kommen, sie mit seinem Körper wärmen. Man kommt zu keinen Ergebnis. Die Bühne dreht sich weiter.
Toshiko Okadas Befunde sind banal, das macht sie so abgründig. Alle Reaktionen der Betroffenen führen in die Irre, ins Irresein. Die Worte reichen – wie die Gedanken – nicht für eine Analyse, nur für persönliche Befindlichkeiten, für die kleine Welt, die private Nische in der übermächtigen Welt der Arbeit. Was die Sprache nicht ausdrücken kann, muss der Körper abreagieren, damit man nicht „in die Luft geht“. Sätze und Gestik verfangen sich in kurzgeschlossenen Schleifen, laufen ins Leere, werden zum Selbstzweck. Ticks, Tourette, Veitstanz (ohne Anfassen, wir sind in Japan!), Stereotypie. Die Gesten verstärken nicht den Ausdruck, sie sind gegenläufig, erzeugen eine parallele Ausdruckswelt, wirken wie geloopte Übersprungshandlungen. Der dramaturgische Reiz liegt in der Beschleunigung, der Eskalation, die Kontrollmechanismen sind gekappt, die Personen „implodieren vor lauter Druck“ (Okada).
Das Büro ist unpersönlich, steril, nur Tische, kein Leben. Grundiert ist die absurde Choreographie von Wort und Geste in „Hot Pepper“ mit der pathetischen Musik von Rachmaninov, die aber die gestischen Ausbrüche nicht zu bändigen vermag.In „Air Conditioner“ treiben minimalistische Klänge von Steve Reich Anna Drexler zu exaltierten Verrenkungen, befreiter Jazz liegt in der „Farewell Speech“ in scharfem Kontrast zu Julia Riedlers „latent flackerndem Wahn“ (Alexander Altmann, Oberbayerisches Volksblatt) ihrer verqueren Alltagsbiederkeit.
Erst der dissonante Dreiklang von befangener Sprache, ausufernden Gesten und kontrastierend begleitender Musik macht das Spektakel zu einem Erlebnis. Das Bühnengeschehen lässt sich schlecht nacherzählen oder beschreiben, das Trailer-Video in der Mediathek der Kammerspiele ist (absichtlich?) missraten.
Die Vorführung funktioniert nur, weil sie der Spiegel von Bekanntem ist, erlebt in allen Büros, Behörden, Lehrerzimmern: das monadische Sprechen, das seit der Erfindung des Individuums zur Konstante geworden ist, der gestische Hospitalismus, in den der zu enge Käfig schon den Elefanten treibt, die Unmöglichkeit, seine Arbeit als Teil eines Projekts zu erkennen, die Gemeinschaft geschrumpft zur corporate identity. (Bei Google malen sie die Arbeitsbereiche bunt an.Kraft durch Farbe.) Das Japanische daran ist nur die im Zwischenmneschlichen zu wahrende körperliche Distanz und die normative Scheinhöflichkeit.
Kein großes Theater, aber erheiternde Miniaturen zum Mitlachen und Mitdenken. Viel Beifall.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 11. November 2016
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