Nachrichten vom Höllenhund


Der Prozess
30. November 2016, 19:12
Filed under: Theater

Der Prozess
nach dem Roman von Franz Kafka
Theaterfassung von Stephan Teuwissen
Inszenierung: Mélanie Huber

prozess16Kafka lacht. – – Nein! Da sei der Gottseibeiuns vor. Wer an den heiligen Franz Hand legt, dem soll sie verdorren. Kafka hat zu sein – kafkaesk. Und da kommt eine junge Frau aus der Schweiz und erdreistet sich: „Bildgewaltig, musikalisch und poetisch will ich es haben: Mein Theater soll nicht schlicht eine Geschichte nacherzählen, sondern Literatur soll szenisch Farbe bekommen.“ Kafka in Farbe? Josef K. im Dauerlauf? Hat Josef K. nicht so zu sein, wie ich ihn mir seit Menschengedenken prozess1vorzustellen habe? Allenfalls Orson Welles’ Verfilmung aus dem Jahr 1962 wird gelten gelassen, doch schon damals hieß es: „Nicht genug Achtung vor der Schrift oder Wie man eine Verstörung beseitigt“ (Rainer von Kügelgen) „Aus diesem Spiel soll nichts Schweres, Intellektuelles entstehen, sondern etwas, das „im besten Fall berührt“. Noch einmal Mélanie Huber.

„Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Benno Schulz denkt nicht daran, sich schuldig zu fühlen, er will diese völlig unbegründete Maßnahme nicht beachten und sein Leben weiter betreiben wie prozess4bisher. Dennoch setzt sich Schulz in Marsch, um die Folgen abzuwenden, zu mildern, die Ansprüche reduzieren sich immer mehr. Das ist der Grundfehler Josef K.s, bei Kafka wie bei Mélanie Huber. Die Ausgangslage ist absurd, das Urteil, dem man entkommen möchte, ist schon gesprochen. „Kafkaesk“, sagt der Duden, meine „auf unergründliche Weise bedrohlich“, Benno Schulz aber rennt an der Oberfläche, durch die schnelle Bewegung überläuft er die gründliche Sinnsuche.

Josef K. hetzt von Station zu Station, zum Advokaten Huld, zum Fabrikanten Block, zum Maler Tintorelli, zum Untersuchungsrichter, zum Kaplan, lauter subalterne Wichtigtuer, in Josef K.s Not für Helfer gehalten. Zum Schieflachen abstrus, lauter verfranste Gestalten, Josef K. sinkt auf deren schäbiges Niveau. Patrick O. Beck, Gunnar Blume und Jacob Keller wechseln routiniert die Rollen, spielen eher die Groteske aus als die morbide Gleichgültigkeit, sind prozess3Kariktauren diesseits der abgestorbenen Gerechtigkeit.

Mélanie Huber bringt diese skurrile Dachkammerwelt auf die Bühne. Doch die Kammern müssen beschaubar bleiben, die Behausungen sind offener, als man es sich in Kafkas Welt vorstellt, lassen sich verschieben, sind moderner, als Kafka es wahrnehmen konnte. Die Entstehungszeit tragen eingespielte Geräusche herein, Hunde bellen, Straßenlärm lokalisiert die Stadtatmosphäre, Grammophon-Musik kündet von der Zeit. Das Bühnenstück erweitert und zerpflückt die Parabel des Romans, lässt die Darsteller Kafka-Sätze singen und traut sich, das schön klingen zu lassen, oft a cappella, Franziska Sörensen unter ihrem Tiara-Turban kann auch stimmlich glänzen. Die Darsteller zitieren Reklameanzeigen und lesen Zeitungsberichte über Verbrechen vor. Josef K. prozess5ist ja kein Einzelfall, jeder Angeklagte ist ein Josef K., und jeder ist ein Angeklagter.

Gut, dass es die Frauen gibt. Bei Kafka sind es immer wieder die Frauen, bei denen die verlorenen Männer Zuspruch, Zuflucht, Beistand suchen. Vergeblich, was sonst, stehen doch die Frauen am unteren Ende der Pyramide. Frl. Bürstner / Frl. Montag / Erna ,alle Susanne Berckhemer, haben keinen Einfluss, allenfalls gehen sie mal in einen Schwank („Der müde Theodor“), Leni / Mädchen bei den Gerichtshöfen / Mädchen bei Titorelli, alle Christin Wehner, sind nur Mädchen „bei“, Gespielinnen- „bei“ Tintorelli tummeln sich sogar merere -, nur zum Gebrauch bestimmt, aber weiter nach oben kommt Josef K. nicht. Ihm, dem verlorenen modernen Mann, fehlt die Selbstsicherheit, es ist für die Mädchen ein Leichtes, ihn schnippisch zu umwedeln. Mélanie Huber findet Kafkas Frauen als zu schwach, sie will „starke Frauen“, die ihre erotischen Beine zeigen und nicht nur „Schühchen“.

prozess2Stephan Teuwissen und Mélanie Huber nehmen Kafka ernst, machen aber ihr eigenes Stück aus dem „Process“. Das ist meist plausibel und immer sehenswert. Wer noch einen „Original“-Kafka dazu braucht oder diesen vermisst, kann ja jederzeit den Roman lesen. Die Aufführung hat trotz kurzer Spielzeit ein paar Längen und wird von vielen, aber nicht von allen, angetan beklatscht. Man findet, wenn man will, viel Anregung zum Vergleichen. Bevor Josef K. in einem Küchenmesserballett abgestochen wird, darf der Kaplan von hoher Kanzel die Parabel „Vor dem Gesetz“ verkünden. „Da das Tor zum Gesetz offensteht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehn. Als der Türhüter das merkt, lacht er und sagt: ‚Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter.’“ Patrick O. Beck lacht bei jedem Satz sardonisch. Das passt. Aber es erklärt nicht, was „das Gesetz“ ist.

Theater Regensburg – Aufführung am 26. November 2016

Fotos: Joachim Quast


Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar



Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: