Saša Stanišić: Fallensteller
(Erzählungen)
Saša Stanišić’ Geschichten werden gerühmt für ihre Sprache und ihre Dichte. Stanišić ist einer, dem die Sprache viel bedeutet. Er setzt sie präzise ein, spielt mit ihr, fragt nach ihrer Zuverlässigkeit und macht sie dadurch fremd, ehe man sie neu entdeckt. Stanišić erfindet auch neue Sprache. Seine Geschichten sind dicht, weil sie in „Echtzeit“ spielen, sie bilden das Geschehen ab und offenbaren dabei die Skurrilitäten von Gedanken und Handlungen. Man ist dabei und wundert sich.
Stanišić’ Geschichten sind nur oberflächlich dicht, weil sie zu wenig verdichten. Natürlich ist Fiktion immer Eigenwerk des Autors, aber Stanišić reflektiert wenig, komprimiert wenig, lässt die Geschichten laufen und verliert die Hoheit, die Personen machen sich selbstständig, finden sich, selbst überrascht, in der schwedischen Taiga oder im brasilianischen Dschungel wieder. Was sie dort wollen/sollen, ist nicht von Belang, wird nicht infragegestellt. Die Windungen der Handlung sind sich selbst genug, das Anliegen erschöpft sich in der Darstellung, ein erkenntnisartiger Mehrwert ist kaum auszumachen. Spannung und Interesse lassen nach.
In einer mehrteiligen Story bewegen sich der Erzähler und sein Kumpel Mo durch das Flachgelände des Kulturbetriebs, beginnend auf dem Rhein, endend in Skandinavien. Die entlarvenden Formulierungen zünden nicht, das eingestreute Flüchtlingsthema wirkt beliebig, bloß modisch. „So, wie Mo und ich gestern Abend in einer kleinen Galerie in Södermalm auf das Wohl der ausstellenden syrischen Surrealistin gern angestoßen hätten, wären wir nicht vor ihrem zentralen Werk, das zwischen Ruinen spielende Flugmarschkörper in Kinderkleidung zeigte, von einer diskutablen Verzagtheit ergriffen gewesen, die solcherlei Gesten verbot.”
Um wahrgenommen zu werden, stelle ich mich zu dem Fliegenträger und gehe ein wenig in die Knie, sodass ich mit den Augen auf Höhe seiner Fliege bin. Alles, was mir in der sofort unbequemen und unnötigen Körperhaltung einfällt – da mir eine laue Brise über die Frisur streichelt -, ist dies: “Das Wetter heute auf dem Rhein würde man gemeinhin als mildes Wetter beschreiben.”
Vorhin kein Smalltalk wollen, nun dieses meteorologische Bonmot. Meine Einsamkeit wird sofort größer, mein Mut zur Gruppe kleiner. Zudem bin ich mir auf einmal auch unsicher, welche Grußformel die Etikette vorschreibt bei älteren Menschen in Cordhosen.
Jetzt stehe ich aber schon blöd da, die gucken auch alle drei, es gibt kein Zurück: Ich lasse das Sprechen spontan von der Leine des Denkens, worauf ein dreistimmiges »Hallo Guten Tag Grüß Gott« aus mir in die Runde spritzt. Was für ein Schock, aber auch Erfolg: Gebildete Menschen lassen alles stehen und liegen, wenn sie jemandem mit einem Haltungsschaden und einem Sprachfehler begegnen.
Georg Horvath reist in Geschäften nach Brasilien, weitere Gründe und Zwecke sind nicht erkennbar. Ein Wortspiel verwechselt die Brauerei Vogel mit autochthonen Vögeln und ersetzt weitere Absichten. Die Welt bloß als Kulisse.
Die Titel- und längste Erzählung „Fallensteller“ spielt wie Stanišić’ Roman „Vor dem Fest“ in der Uckermark. Der Fallensteller, ein in den märkischen Sand transkribierter Rattenfänger, soll die verbliebenen Bewohner vom Wolf befreien. Doch der Wolf und die Angst vor ihm sitzen in den Köpfen der Menschen, das führt zu Missverständnissen und Konflikten. Auch hier tauchen Flüchtlinge als arg bemühte Metapher auf, ansonsten beschreibt Stanišić sehr ernüchternd und lakonisch – wie im Roman – die Implosion des Lebenssinns in der Post-DDR.
Gölow trank erst in Ruhe sein Bier aus und bezahlte es auch noch. Inhaltlich fackelte er nicht lang. Diejenigen, denen die Wölfe zusetzten, sagte er, trügen selbst Schuld daran, sofern sie die erforderlichen Schutzmaßnahmen nicht getroffen hätten. Er nehme sich selbst da nicht aus. Der Wolf sei ein Raubtier, sein Überleben verdankt sich der Jagd. Also müsse man ihm die Jagd so schwer wie möglich machen.
Das war schon mal ein Einstieg, mein lieber Herr Jagdverein! Die Versammlung hat an ihren Getränken ganz schön kräftig nippen müssen, um all das Unverständnis runterzuspülen, das in ihr aufstieg. Dass ein dramaturgisch wohlgesetztes >aber< kommen könnte, hing noch als Hoffnung in der schweren Luft, gleich neben der Hoffnung, es möge einer mal kurz ein Fenster aufmachen.
Der Wolf an sich, rief Gölow und zerstörte die Hoffnung, sei gar nicht das Problem. Menschen gebe es, die seien schlimmer als Wölfe. »Die hetzen erst und schießen dann und denken nicht erst danach, sondern gar nicht.« Gölow klopfte mit dem Zeigefinger gegen den Tresen, als wollte er andeuten, wo sich solche gerade aufhielten, das aber nur als Vermutung unsererseits.
Das war es auch schon gewesen. Bisschen abruptes Ende, aber gut, ein Rhetoriker vor dem Herrn ist hier niemand, auch Gölow nicht. Er verließ den Jägerstand, nicht ohne sich öffentlichkeitswirksam in der Tür umzudrehen und in die Runde zuwerfen: »Schönen Abend noch.«
Das war natürlich der entscheidende Tropfen: Ironie. Dem Letzten wurde nun klar, dass hier einer Kritik geäußert hatte. Man hätte wetten können, Gölow wäre als Schweinezüchter automatisch auf der Seite der Schweine, ist ja irgendwo logisch. Umso schwerer wog, dass er jetzt anderen Züchtern die Schuld gab. Brudermord, sozusagen. Und Schuld kannst du uns Deutschen eigentlich in keinem Zusammenhang zumuten, ohne dass es Gegenwind gibt, aber gehörigen.
Normal also, dass die Nutztierhalter gefühlsmäßig ordentlich ramponiert waren und keinen großen gruppendynamischen Umweg nehmen mussten, um zu einer negativen Einstellung gegen den Abtrünnigen zu gelangen, das kennt man ja machtstrukturell aus der DDR oder dem Radsport. Herr Kessel erklärte Gölow zu einer »Persona non Krater«.
Gölow war zu streng gewesen, finden auch wir. Unfair obendrein, dem Menschen wegen der Natur des Wolfes einen Vorwurf zu machen. Klar, es gibt unter den Wölfen auch welche, die wahrscheinlich nie auffällig werden. Aber wer will das garantieren? Ein Wolf ist ein Wolf, der kann sich doch schon rein von seiner Kultur her nicht an unsere Sitten halten, da kann der Naturschutz noch so viele Broschüren drucken, die liest der Wolf nicht. Der Wolf ist eine Gefahr, und eine Gefahr darfst du nicht schönreden.
Die vielleicht überzeugendste Geschichte umfasst gerade sechs Seiten. „Die Fabrik“. Hirten in der Romanija, einer Gebirgsregion im Osten von Bosnien und Herzegowina (nahe Višegrad, der Geburtstadt von Stanišić) ergeben sich in ihre Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung über die leuchtenden Zentren der Welt. Hier ist Stanišić poetisch, nicht so vordergründig prätentiös.
Die sagen das nicht ganz so, die Hirten.
Im Wald ist es leichter, die Bäume kämmen den Wind gegen den Strich, Tannen, schwarz und unverwundbar wie das Kinderlied. Ich frage die Hirten, ob es hier Minen gibt, und einer wirft mir einen Schneeball gegen die Brust, dass ich mein Herz spüre.
Der Hirten Bärte aus Tannennadeln.
Auf der Romanija hat sich ein Gebäude geräuspert und zögert seitdem, groß und rechteckig ist es, und steht am Waldrand, nackte Betonmauern hinter Drahtzaun, lose Bretter, zwei, drei aufgeplatzte Säcke mit Splitt, eine verrostete Säge, ein löchriger Eimer. Im Schutt schweigt ein Radio.
Der kleinste Hirte rennt über Schnee, als läge keiner, jauchzt, vielleicht vor Freude, vielleicht vor Angst, verschwindet im Gemäuer.
Der Hirten Augenbrauen aus Eiskristallen.
Einer kümmert sich um die Hunde, befreit ihre Pfoten mit Melkfett vom Eis.
Die Hirten erzählen: Wasser sollte hier abgefüllt und verladen werden. Der Sheriff habe in der Nähe zwei Quellen gefunden, habe daraufhin EU-Gelder beantragt und bekommen, für die Grundstücke, für die Brunnen, für die Abfüllanlage, und, und, und. Sheriff, weil er immer den Hut und die Jeans trug, Ami war der, sagen sie, Kroate, sagen sie.
Mit Lady, sagt einer, Busen.
Der Hirten Grinsen aus Karies.
Kurz nach dem Krieg war das. Bauauftrag ging an eine Firma aus der Region, der Sheriff stellte persönlich Handwerker aus den umliegenden Dörfern ein. Arbeitsplätze, Kapital, Wiederbelebung der Wirtschaft, zählen die Hirten im Chor auf, und während sie zählen und erzählen, schmilzt um uns der Schnee. Satzzeichen schneit es ins unwahrscheinliche Grün.
Auf dem Cover reden sie von einer „fast unverschämten Meisterschaft“ (Le Monde). Ich finde dafür zu wenig Erhellendes, Unerhörtes, Aufklärendes. Die Geschichten sind Skizzen aus irgendwelchen Alltagseinöden, sie bleiben oft in Sprachmühe stecken. Das ist nicht wenig, aber auch nicht viel. Man versäumt nicht viel, wenn man Stanišić nicht liest.
2016 280 Seiten
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