Nachrichten vom Höllenhund


Atmen
25. Dezember 2016, 17:12
Filed under: Theater

Duncan Macmillan: Atmen
Inszenierung: Jona Manow

Ulrich Kelber fragt in seiner – inhaltlich und sprachlich gänzlich uninspirierten – Kritik in der MZ, ob die Regensburger Inszenierung von Duncan Macmillans Stück „Atmen“ (Lungs) nicht zu spät gekommen sei. Die Frage ist berechtigt, Kelbers Antwort daneben. Die „hässliche Fratze“ der ‚Generation Facebook’ ist keine neue Referenz, ganz andere gesellschaftliche Fragen sind auch 2016, fünf Jahre nach der Uraufführung von „Atmen“, nicht beim Paaren angekommen.

2011 ging’s – vielleicht noch – um grünschillernde Lebensentwürfe einer ungeborgenen Generation, 2016 hat man eher den Eindruck, die neuen Paare haben sich in ein Traum-Gespinst von Geborgenheitsgefühlen verkrochen – mit Jahre im voraus verplanten rosaroten Traumhochzeiten und Kindern in gleicher Farbe. Heileheile Welt im Kokon, egal wie hoch der CO2-Fußabdruck der Zeremonien ist.

atm1Die Suche nach Wärme baut auf der Unsicherheit im Realen. Suche heißt im unsicheren Gelände immer: Ausprobieren, Revidieren, Schreien und Sprachlosigkeit, Versuch der Realitätsbestätigung durch mediale Verdoppelung, auch gut- und ernstgemeinte Bemühungen, in die Welt hinauszublicken. (Wenn es dort bloß nicht so kalt wäre und die Tiere nicht leiden müssten!)

Verena Maria Bauer ist die „Frau“, Robert Herrmanns der „Mann“, beide um die dreißig. Sie promoviert, er hat ab und zu Gigs mit seiner Band. Perspektive für beide: eher prekär. Beide sind besonnenen Willens und können damit nur scheitern. Das Ereignis, das für alle jungen Paare „unerhört“ auf sie niederkommt, ist der „Nachwuchs“ mit der Aufgabe: Familienplanung. Aufgabe meint auch, dass man etwas aufgibt. Bisher: „Sie kaufen Kaffee nur fairtrade und grundsätzlich nichts in großen Ladenketten, sie schauen Arthouse-Filme nur im Original und lesen Bücher über aktuelle politische und global humane Themen, sie trennnen den Müll und spenden für die Armen.“ (Programm) Jetzt und von heute auf morgen: Ein Kind kommt, auf zu IKEA, die/der Kleine soll doch sein Plätzchen haben auf Erden. Schon im Laden beginnen die Zerwürfnisse, die Anwürfe, die Bezichtigungen, das Erschrecken über den anderen und sich selbst. Nichts Neues, „doch wem es just passieret, dem bricht das Herz entzwei“ (Heinrich Heine)

Wir im Publikum können uns erinnern: Sei’s an die eigene Jugend, sei’s an die Sorgen der Kinder (oder Enkel). Uns gefällt’s. Duncan Macmillan hat diesen Erinnerungen wenig atm2hinzuzufügen. Für die Betroffenen mag’s jeweils „unerhört“ sein, für die Welt sind’s mehrheitlich Floskeln, mit denen er „Mann“ und „Frau“ aufeinanderprallen lässt. Aber gut, wenn man die Floskeln hat; man reagiert leichter und kann zugleich noch herumschmusen, auf die Möbel klettern, Federball spielen. Bauer und Herrmanns haben das gut trainiert, sind nett anzusehen, man mag sie beide, sie toben ihre bewegenden Emotionen im Ringelspiel mit der Einrichtung aus und machen noch Videos, aus denen sie jedem Zuschauer individuell ins Auge schauen – wie im TV oder bei youtube. Die Frau ist zickig, aber nicht zu, der Mann nicht zu schluffig, Macmillan und Manow sind nicht böse, nicht entlarvend, es bleibt beim sympathischen Spiel, auch wenn man mal maliziös wird.

atm0Das Kindermachen, -kriegen und –verlieren geht im Schnelldurchlauf, viel Zeit für Panik oder Mitgefühl bleibt nicht. Keine großen Pausen zum Überdenken: „Können wir nicht für einen Augenblick nichts sagen?“ Nein. So ist das heute eben und im Theater muss man nicht auf Tiefgang hoffen oder warten. Das traurige Ende hat man in Regensburg weggelassen und lässt damit den Zuschauern Raum für Spekulationen über ein mögliches Happy-End. (Wobei offen bleibt, wann das Ende glücklich geworden wäre.)

Schöne Momente: Die Instrumentalisierung von Billy als Tag-Nacht-Karussell und als Federballnetz: Pingpongdialog im Multitasking – MannundFrau im Tigerpartnerlook in der Badewanne: Nein, erwachsen wollen wir nicht werden! – Der Wunsch, in ein Häuschen mit Garten in – ausgerechnet – Stadtamhof zu ziehen. – Das Lächeln, das sich Verena und Robert 9mal beim Applaus zuzwinkern.

Theater Regensburg – Aufführung am 21. Dezember 2016

 Fotos: Christina Iberl


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