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Emma Braslavsky:
Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen
Der Sturm Tony enthüllt eine neue Insel. Das Paradies? N-Global berichtet, Paul Weissmann bloggt dazu. Das Paradies war die Insel schon bei Shakespeare nicht, bei Emma Braslavsky entbrennt sofort ein verbitterter Streit zwischen Staaten, Organsisationen und UN um die Nutzungs- und Vermarktungsrechte. Die Insel wird zur No-Go-Area erklärt, was aber die „Ocean Queen“ nicht daran hindert, ihre 3000 paradiesgeile Passagiere in 3 Seemeilen Distanz an der Insel vorbeizuschippern.
Seit dem Quasi-Armageddon der Organisation Le Paradis mitsamt gesunkenem U-Boot, abgeschossenem Hubschrauber und ermordeter erster Ureinwohnerin ist das Interesse der betuchten Kreuzfahrt-Passagiere an der Insel ins Unermessliche gestiegen. Fünftausend Dollar sind sie bereit für einen Liegestuhl zu bezahlen. Es gilt, live dabei zu sein, wenn der Schauplatz des Scheiterns der großen Träume der Menschheit an ihnen vorbeizieht, und sich das Desaster aus der Nähe anzuschauen. »Die Insel ist fast so geil wie eine Apokalypse«.
Das Schiff kentert. Nur No und Jule leben „im Paradies“, die Erfüllung stellt sich aber auch auf „ihrer“ Insel nicht ein.
Emma Braslavsky erzählt von einer Welt, in der alle die Welt retten wollen. Das kann nicht gutgehen, das ist noch nie gutgegangen. Der Wege zu diesem Ziel sind zu viele, ja, zwei wären schon zuviel, also fällt wieder alles auf den einzelnen als Weltenverbesserer zurück. Die Geschichte der Rettung der Welt kann nur noch als Farce erzählt werden, Weltenretter können nur noch vorgeführt werden, als naive Trottel oder als bigotte Arschlöcher. Die Welt stünde ohne ihre Retter wohl besser da – untergehen wird sie sowieso.
Emma Braslavskys Thema ist das verzweifelte Scheitern der Paradiessucher, die die Übersicht über Wege und Mittel verlieren und darüber auch sich selbst. Am Ende siegt der Eigennutz, was sonst, aber der Sieg ist teuer erkauft. Der Roman spielt jetzt (oder irgendwann), er ist keine Dystopie, die Insel ist der Katalysator für gegenwärtige Utopisten. „Ich habe das Ganze wie einen Gegenwartsroman angelegt“, sagt die Autorin. „Der Leser soll in eine bekannte Welt einsteigen, die Zukunft soll ihm gar nicht als ‚Zukunft‘ vorkommen.“
„Hauptfiguren“ sind Jivan Haffner-Hernández, Bunkerarchitekt, als solcher mit der Zukunft befasst, ein „latent chauvinistischer Mittvierziger und selbstzufriedener Sexist“, und seine Frau Jo Lewandowski Fridmann, Möchtegern-„Bessere-Welt-Aktivistin“ und von ihrem Mann auch finanziell abhängig. Das Erbe soll allerdings erst fließen, wenn ein Erbenkel produziert ist, Stoff für Verwicklungen.
»Oohhh! Ich lasse ihn allein in der schrecklichen Welt zurück. Ich mach’s mir ohne dich im Paradies gemütlich!« »Man verlässt nicht den Mann, den man liebt.« »Hier geht’s aber nicht um dich!«
»Aber um DICH geht’s hier!«
»Jetzt spinn doch nicht rum, auch um mich geht’s nicht! Wir kämpfen um die Zukunft der Menschheit!«
Er prustet los. »So ein Quark! So eine gequirlte Scheiße! DIE MENSCHHEIT! Es geht um die gesamte Menschheit. Ach so. Na dann! Dann kann ich ja das blöde Schaf sein und mich opfern. Dann lass ich mich einfach von Björsson ans Kreuz nageln. Du weißt schon, dass der stockschwul ist!«
»Was hat das damit zu tun! Hier will dich doch niemand ans Kreuz nageln! Ich will mich einfach verwirklichen.«
»Verwirklichen willst du dich! Die Position in Berlin war wohl nicht gut genug für dich! Meine Frau verwirklicht sich lieber als Affe im Baströckchen auf Bäumen irgendwo im fernen Ozean. Und dabei denkst du keine Sekunde daran, wie ICH mich dabei fühle.«
»Du solltest mir Mut machen!«
»Na klar! Schon mit EINEM Kind könntest du die Zukunft der Menschheit sichern. Heute! Hier und jetzt!«
»Natürlich! Dass es auf ewig so weitergeht! Das ist doch sinnlos! Ich gebe mich nicht einfach meinen biologischen Trieben hin. Du solltest stolz auf mich sein!«
»Nicht mal wenn du meine Tochter wärst, würde ich stolz auf dich sein, weil das Schwachsinn ist!«
»Um die Zukunft der Menschheit zu kämpfen findest du also schwachsinnig!«
»Ja! Genau! Totaler Schwachsinn! Die Zukunft interessiert mich einen Scheiß!«
Eine „zweite Hauptfigur“ ist Roana Debenham, „eine blutjunge Frau“, die zwischen einsamem Vulkan Ojos del Salado und der Metropole Buenos Aires nach sich selbst und dem „Sinn des Lebens“ sucht und dabei in ihrer gefühlten Not vor wenig zurückschreckt, nicht einmal vor einem Lebensretter-Gorilla-Kostüm. Roana ist ernsthaft naiv, zieht aber das Lotterleben vor und redet zu viel. Erst auf den letzten Seiten begegnet sie Jivan, beide Überlebende der Schiffskatastrophe. Das (billige) Spiel um Welt und Sex könnte neu beginnen, die Insel ist nicht fern.
Ich wollte diesen Moment auf keinen Fall verlieren. »Ich hab was«, sagte ich. »Unser Stern zieht Fäden aus dem engmaschigen Schwarz.«
Werther schaute mich an, so schön war sie. Sie sagte: »Geil … hm, wirklich geil, Roana, du hast so was echt drauf.« Da wusste ich, dass ich tatsächlich schon einige Levels geschafft hatte. Werther lehnte den Kopf an meine Schulter. Wir sagten dann auch eine Weile nichts. Auch weil so ein Satz wie ein warmes rohes Eigelb im Kopf erst mal eine Zeit Achterbahn fährt. Da fällt dir fürs Erste nichts mehr ein.
Keine Ahnung, wie lange wir da stumm herumsaßen, aber irgendwann fragte ich Werther: »Woran denkst du?«
Und sie sagte: »An uns.« Weißt du, ich fühlte mich so wohl dabei, neben jemandem zu sitzen, der »an uns« denkt, das ist halt mit das Geilste, was es auf diesem Planeten gibt. Obwohl sie ja angeblich nicht malen kann, malte sie sich aus, wie wir zusammen auf einer Insel leben und eine Hütte aus Bambus bauen. Wie wir nach Nahrung suchen und mit den Tieren sprechen. Wir wurden richtig high von den Ideen. Ich habe schnell verstanden, dass Werther eine Scheißangst hatte, dieselbe langweilige Geschichte durchzumachen wie ihre Mutter. Sie träumte von ihrem eigenen Leben, von ihrer eigenen Geschichte. Borges sagt ja, die Bibliothek ist unbegrenzt, weil sie zyklisch ist. Er glaubt, dass dieselben Geschichten wiederkehren müssen, weil die Zahl der Bücher in der Bibliothek namens Universum begrenzt ist, was echt blöd wäre. Das heißt dann nämlich, dass ich bloß eine Rolle in einem ständig wiederkehrenden Stück zu spielen habe. Dass es keinen Weg gibt, diese anscheinend einzig mögliche Geschichte zu verlassen, außer ich krepiere oder löse mich in meine Bestandteile auf. Vielleicht ist meine Suche ja überhaupt sinnlos, weil es eigentlich nichts zu suchen gibt.
Jivan und Jo beginnen als Tier-Rechtler. „Schon den Geruch nach Fleischspießchen hält er nicht mehr aus.“ – aus Liebe zu Jo, nun ja, eher aus Geilheit. Emma Braslavsky beginnt mit einer Satire auf die selbstverliebten Fleischvermeider.
Achim wirkt nicht ganz so überzeugt. »Also, ich finde, Tiere sollten Tiere bleiben.« Kim lässt ihn reden. Sie denkt, er redet.
Er hebt noch mal das Glas und sagt: »Auf das Tier im Tier und den Mensch im Menschen!« Der Wein lockert die Zunge.
Mit der Gabel spießt Jivan eine kugelförmige Karotte und einen Steinpilz auf und schwenkt beide durch das muskatschwangere Lauch-Apfelmus. »Ich würde mir auch gerne mal wieder die Eier lecken können«, denkt er laut.
Sie lachen, und er spürt, wie sie denken, dass das Selbstmitleid von Menschen witzig ist.
»Darum geht’s aber nicht bei unserer Sache, Ivan«, sagt Jo.
»Aber wir wissen doch gar nicht, ob wir wirklich Menschen sind. Wir sind die Einzigen im Weltall, die das behaupten. Und wenn einer von uns gern ein Tier bleiben will?«
»Dem Kampf für die Rechte der Tiere wird es wenig nützen, wenn wir jetzt anfangen, an unserem Menschsein herumzuzweifeln«, beginnt Achim. »Wir haben die Verantwortung für sie und müssen alle unsere Kräfte dafür einsetzen, ihr Leben auf der Erde besser zu gestalten. Solange Tiere keine Rechtsträger sind, haben sie auch keine Rechte. Und wenn wir als Rechtsträger jetzt anfangen, unsere Rechte als Menschen in Frage zu stellen, wie sollen wir ihnen dann helfen?« Achim redet und redet, immer dasselbe.Jivan fragt sich, ob der enttierte Mensch dann so was wie ein guter Computer ohne Hormone ist, aber mit haufenweise Selbstmitleid, und unterbricht ihn. »Sag mal, ist der selbstbestimmte Hund dann also schon fast ein Mensch? Und sollten vielleicht die guten Computer mit den lieben Tieren zusammenleben?«
Darauf will keiner so richtig eingehen. Der Kellner bringt eine zweite Karaffe Wein. Kirn ist aufgetaut und redet. Jo und sie entwickeln Spots. Achim ist verstummt, er nickt vor sich hin und lächelt. Dazu hat Jivan keine Lust, aber er streichelt Jo ab und zu über den Rücken, von ganz oben bis zum Steiß.
Achim gießt in großem Maßstab Wein in die Gläser. Wieder lässt er einen Toast ab: »Auf dass die Welt sich zum Besseren wende.«
(…) Aufgetürmt in einer Oregano-Pitateig-Schüssel bringt der Kellner zwölf erdnussgroße Eier aus Hafermilchkäse, die mit Granatapfel-Samen, Johannis- oder Heidelbeeren gefüllt sind. Jivan wirft sich eine Kugel wie eine Tablette ein und spült mit Brandy nach.
So lustig wird’s nicht wieder, auch wenn alle späteren Aktionen als hirnrissig gelesen werden können. Jivan und Jo verzetteln sich, Roana streift ziellos durch die Stadt und trifft wie zufällig auf hochkreative Aktivisten. Bei den Dialogen zwischen Jivan und Jo kontrastiert Emma Braslavsky Gesagtes mit Gedachtem, was eine Zeitlang amüsant ist, sie häuft Schauplätze und Textsorten an, Er- und Ich-Erzählung, Medientexte, bebilderte Inseldialoge, simuliert französische Aussprache, was, weil zu oft, nervt: »No, Cherie, denkst du, isch werd‘ gleisch ein Webseit longsieren ww.befrei-dich.mensch, isch bin nischt blöd. Aber niemand kann uns verbieten, ‚aare zu sammeln, Daten zu anonymisieren und mal reinzuschauen … Unser ge’eim Proschekt. Unser neue Welt.« Sie beherrscht Wissenschaftssprache und scheut nicht vor schnoddrig Vulgärem, am Stil gibt es nichts auszusetzen. Aber Emma Braslavsky verliert sich in Gleichartiges, verzettelt sich in Nebenaktionen, will zuviel in ihre Romanidee packen. Und so entsteht ein ambitioniertes Werk, das trotz des nicht neuen, aber noch wichtigen Themas eigentlich ermüdet.
2016 460 Seiten
Jede Menge Material zum Roman beim Suhrkamp-Verlag
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