Nachrichten vom Höllenhund


McEwan
8. März 2017, 14:16
Filed under: - Belletristik

Ian McEwan: Nussschale

nussschaleDie Frau ist verheiratet mit einem Verleger, der auch Sonette dichtet; sie kriegen ein Kind. Die Frau verfällt dem Bruder ihres Mannes, einem eher illiteraten Bauunternehmer, der sich im Bett überzeugender anfühlt als der Dichter. Dieser will seine Frau nicht loslassen, also: muss er beseitigt werden. Glykol ist leicht zu beschaffen und versüßt den herben Geschmack des Smoothies. Ein Fall für den Kommissar.

Als Ich-Erzähler hat sich McEwan das noch ungeborene Kind ausersehen – in der Literatur kommt das schon mal vor. Der Fötus hat jedoch wenig Interesse an der Aufklärung des Mordes oder der Überführung der Mörder, einer der Täter ist ja seine Mutter, und die braucht er noch, in ihr wartet er „kopfüber“.

Nun – längst gedreht und ohne einen Zentimeter freien Raum, Knie eng an den Bauch gezogen, Kopf ins Becken gesenkt – laufen meine Gedanken auf Hochtouren. Das Ohr Tag und Nacht an die blutdurchströmten Wände gepresst, bleibt mir auch keine andere Wahl. Ich lausche, merke mir alles und mache mir Sorgen, denn ich höre Bettgeflüster, das von einer tödlichen Intrige kündet, und zittere bei dem Gedanken an das, was mich erwartet. Wo werde ich da hineingezogen?
Ich schwimme in Abstraktionen, und allein die sich ständig mehrenden Beziehungen zwischen ihnen schaffen die Illusion einer bekannten Welt. Wenn ich >blau< höre, eine Farbe, die ich nie gese­hen habe, stelle ich mir ein mentales Ereignis vor, das jenem von >grün< ähnlich ist, einer Farbe, die ich gleichfalls noch nie sah. Ich zähle mich zu den Unschuldigen, bin von Bündnissen und Verpflich­tungen unbeschwert, ein freier Geist trotz meines beschränkten Lebensraumes. (…) Ich zähle mich zu den Unschuldigen, und doch spiele ich offenbar eine Rolle in einem Komplott. Meine Mutter, gesegnet sei ihr unablässig laut mahlendes Herz, scheint darin verwickelt zu sein.

Natürlich muss der ungeborene Erzähler erklären, weshalb er so schlau ist und alles weiß. Erzählerisch ein Dilemma, das kaum aufzulösen ist, auch wenn er sich bemüht. Eine wichtige Rolle spielen „all die herrlichen Radiobeiträge und -berichte, die ausgezeichneten, bewegenden Podcasts“, die seiner Mutter und ihm die Welt nahebringen. Was McEwan wiederum dazu nutzt, seinen Roman mit den Problemen der Gegenwart aufzupimpen.

„Die Nachrichten sind brutal, irreal, ein Alptraum, aus dem wir nicht erwachen können. Mit meiner Mutter höre ich zu, fasziniert und deprimiert. Versklavte Mädchen, für die man betet, bevor man sie vergewaltigt. Fassbomben, die über Städte abgeworfen, Kinder, die auf Marktplätzen als lebende Bomben missbraucht werden. Wir haben von einem LKW am Straßenrand in Österreich gehört, in dem einundsiebzig Flüchtlinge eingesperrt der Panik, dem Erstickungstod und der Verwesung überlassen wurden. Nur die Tapfersten wagen sich in Gedanken zu deren letzten Momenten vor. Dies sind neue Zeiten.”

Der Fötus als Gescheidhaferl. Erheiternd ist die Anordnung nur dann, wenn die Mutter Wein in sich schüttet, der nur wenig später auch im System des Kleinen ankommt und ihn zum Connaisseur werden lässt.

Der Pouilly Fume schmeckt zu dünn, zu kantig. Vielleicht ist er zu jung, jeden­falls passt er nicht zu diesem Anlass. Bei so star­ken Emotionen würde ein robuster Pomerol trotz des warmen Sommerabends besser passen. Wenn es doch nur einen Keller gäbe, wenn ich jetzt ins staubige Dämmerlicht hinabgehen könnte, um eine Flasche aus dem Regal zu ziehen, einen Moment reglos stehen zu bleiben, mit zusammengeknif­fenen Augen das Etikett zu lesen und weise zu nicken, ehe ich sie nach oben brächte. Das Leben eines Erwachsenen, eine weit entfernte Oase. Noch nicht einmal eine Fata Morgana.

Weil es um seine eigenen Perspektiven geht, interessiert sich der Fötus vordringlich für die familiären Intrigen. Auch hier agiert er als eingelagerter Zeremonienmeister, der notwendig passiv bleiben muss und lediglich durch Tritte auf sich aufmrksam machen kann, der sich später aber seiner ungeschnittenen Fingernägel besinnt. Das Ende kommt unerwartet erwartbar.

Was ärgerlich macht: Ian McEwan traut seinem Konstrukt nicht. Oder eher: Er sucht einen Weg, seinen unausgeborenen Roman markttauglich zu machen. 2016 war das Jahr von Shakespeares 400. Todestag. Und so nennt er die Frau Trudy (Gertraud), den banalen Bruder/Onkel Claude (Claudius) und den ganzen Text “Nussschale” und fertig ist der Hamlet-Verschnitt. “I could be bounded in a nutshell, and count my selfe a King of infinite space were it not that I have bad dreames.” Die Fruchtblase als Mogelpackung. Es fehlt jede macht-poilitische Dimension, jegliche Fallhöhe, jegliche Handlungsmöglichkeit des verhinderten Hamletchens. Aufgrund der ambitioniert geschniegelten Sprache liest man den trivialen Text dennoch gerne. “Der Rest ist Chaos.”

2016            280 Seiten

3-4


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