Nachrichten vom Höllenhund


Lüscher
22. März 2017, 17:58
Filed under: - Belletristik

Jonas Lüscher: Kraft

luescherkraftKraft, Richard Kraft, hat einen Lehrstuhl für Rhetorik in Tübingen, ja, den Lerhstuhl von Walter Jens. Der Erzähler präsentiert sich als „wir“, das „unseren“ Kraft durch den Roman (ge)leitet und rhetorisch dem Ordinarius in nichts nachsteht. Jonas Lüscher promovierte „über die Bedeutung von Narrationen für die Beschreibung sozialer Komplexität vor dem Hintergrund von Richard Rortys Neo-Pragmatismus“, hat jedoch seine „Dissertation an den Nagel gehängt“ , um sich „ganz der Schriftstellerei zu widmen“. Man merkt es dem Roman an, dass hier ein Gelehrter schreibt. Erzählt wird nicht nur rhetorisch brillierend, die „Beschäftigung mit der Theodizee“ sützt sich auf Odo Marquard, „die klassischen Texte“, Hans Poser bis hin zu Joseph Vogls „Das Gespenst des Kapitals“.

„Kraft“ ist eine Geschichte des coming of age, des Älterwerdens, wobei die Reife Mühe hat, mit den Jahren mitzuhalten. Krafts Privatleben ist eine Folge von Episoden des Scheiterns von Frau zu Frau, von Ruth Lambsdorff (!) über Johanna zu Heike, der noch aktuellen Partnerin. Kraft hat Kinder, aber kein Interesse an ihnen, von manchen erfährt er eher zufällig, die Zwillinge leben nicht nur räumlich außerhalb seines Horizonts. Kraft steckt in der Sackgasse. „Der Schuldendienst und der großzügige Unterhalt für Ruth und die Söhne zehrte Monat für Monat sein Professorengehalt auf; gespart hatte er mit Mitte vierzig nichts und abgestottert schon gar nichts. (…) Eine Scheidung mit all den erwartbaren Kosten, die mit der Gründung eines zweiten Hausstandes einhergehen, ist in der gegenwärtigen Lage nicht zu stemmen, vor allem nicht ohne Einbußen beim Lebensstil, und zu solchen ist sie durchaus nicht bereit. Heike hat also recht, Erkners Million ist die Lösung, das weiß Kraft, aber damit hat die Freiheit widerwärtigerweise plötz­lich einen Preis.” Und so kommt es ihm sehr entgegen, dass in Kalifornien Tobias Erkner, „Entrepreneur, Investor and Founder of The Amazing Future Fund”, einen Wettbewerb ausgeschrieben hat, ganz in aufklärerischer Tradition. „Zum Anlass des dreihundert­siebten Jahrestages des Leibniz’schen Essays zur Theodizee überdie Güte Gottes, die Freiheit der Menschen und den Ursprung des Übels (…) und in Anlehnung an die Preisfrage der Berliner Akademie von 1753.Gefordert wird die Untersuchung des Pope’schen Systems, wie es in dem Lehrsatz «Alles ist gut» ent­halten ist, allerdings um einiges schlanker, aber auch optimis­tischer, folgendermaßen formuliert:
Theodicy and Technodicy: Optimism for a Young Millenium
   Why whatever is, is right and why we still can improve it?

Das ist das Thema des Romans: die Technodizee, der unreflektierte Technikoptimismus amerikanischer Prägung, der sich konsistent mit der gedanklichen Reifung Krafts verknüpfen lässt. Kraft war nicht nur beziehungstechnisch, sondern auch weltanschaulich unbedarft und dem wirtschafts-liberalen Gedanken verfallen. Fand er in der Uni noch Gefallen daran, mit seinem Kumpel István als politische „Salon-Reaktionäre“ (Christopher Schmidt, SZ) aufzufallen, wurde er doch nach und nach nachdenklicher.

Der rasende Fall der Freien Demokratischen Partei bereitete Kraft zusätzliche Pein, da sich an der Parteispitze eine lächerliche Figur nach der anderen ablöste, bis irgendwann ein paar Bürschchen das Ruder übernahmen, die Kraft unan­genehm an István und ihn selbst in jungen Jahren erinnerten und die einstmals stolze Partei in die Bedeutungslosigkeit versenkten. Sogar Frau Doktor Hamm-Brücher hatte nach vierundfünfzig Jahren Parteizugehörigkeit die Nase voll und trat aus. Das war ausgerechnet am Tag der Geburt der Zwil­linge und ein Ereignis, das Kraft seltsam berührte.
Nein, so richtig Freude bereitete es Kraft schon lange nicht mehr, das Banner der Freiheit zu schwenken und das Lied von der Privatisierung durch Deregulierung oder den Psalm der Regenmacher anzustimmen.

Jetzt ist er in der Heimat der grenzenlosen Freiheit angekommen und gerade hier überwältigen ihn seine Zweifel, als ihn Erkner in einen Laden mit dem Namen THE MAC&CHEESE einlädt zu einem “mit goldbraunem Paniermehl überbackene Nudel­gratin, an dessen Rändern eine Käsesauce brodelt” – mit exquisiten Käsen allerdings: “einem Blue Fog Mountain aus dem Humboldt County, einem über Apfelholz geräucherten Cheddar aus dem Sonoma Valley, und schließlich einem Mozzarella von der Simmentaler Kuh, die tagein, tagaus den Ausblick von Point Reyes auf den Pazi­fik genießen dürfe und deren Milch darüber sowohl ausge­sprochen würzig wie auch außergewöhnlich bekömmlich werde”. Erkners läppisch gekleidete Leute – “Außer Bart und Tuch trägt Ragnar Danneskjöld nicht mehr viel, ein schwarzes Ringertrikot vom MIT, Römersandalen und eine Rolex Deepsea. “ – berichten euphorisch von ihrem “disruptiven” Projekt der “Entwicklung so­genannter Sea Steadies, künstlicher Inseln, die, außerhalb von Hoheitsgewässern, befreit von Regularien, ineffektiven Regierungen und messy politics, als Laboratorien und Nähr­boden für neue Formen des freien Zusammenlebens fungier­ten”.

Wie ein angeschnittenes Souffle sackt Krafts mühsam zu­sammengekratzter Optimismus angesichts dieser Luftnum­mer in sich zusammen, und er holt, Erkners Wohlwollen und damit das Preisgeld aufs Spiel setzend, Atem für eine Erwi­derung; barsch wird sie sein, mit der Härte eines gesun­den, europäischen Geschichtsbewusstseins und einem da­raus erwachsenen Gespür für Realismus formuliert. Sein ganzes scharf geschliffenes Instrumentarium wird er einset­zen, beißenden Spott, Sarkasmus, Ironie. Hämisch, höh­nisch, schneidend wird sie sein. Beschämen, vernichten, ent­larven will er die beiden; diesen albernen Möchtegernpiraten in seinem müffelnden Ringertrikot und diesen fischigen Mil­liardär mit seinen unausgegorenen Bubenträumen, nur lei­der hat Letzterer, von Kraft unbemerkt, mittlerweile die Rechnung bestellt und gerade, als Kraft loslegen will, vor lau­ter Vorfreude bereits ein überlegenes Grinsen im Gesicht, mit dem er ein Bonmot zur Eigengesetzlichkeit der Technik zu untermalen gedenkt, das er sich als Einstieg zu seiner Suada ad hoc und von Heidegger inspiriert ausgedacht hat, tritt der Koch des Nudelgratins höchstpersönlich, in fettbe­fleckter Lederschürze an den Tisch und verkündet, nachdem er sich ein vielstimmiges Lob auf seine ultimativen Makka­roni mit Käse abgeholt hat.

Das ist das amüsanteste Kapitel des Romans, hier blüht Lüschers Ironie auf, hier implodiert Krafts Lebensblase. “Kraft” ist nur am Rande ein Roman zum (Ende des) Neoliberalismus, weil die Abkehr des “Helden” von der Freiheitsillusion nicht stringent entwickelt ist. Richard Kraft ist dem Geistreichtum des Autors Lüscher nicht gewachsen, weshalb gerade der verschnörkelte deutsche Professor das Preisgeld abräumen könnte, bleibt rästselhaft. “Kraft” ist ein Roman über Geister der Zeit, der in jedem Moment die politisch-philosophische Ebene der Biografie mitspinnt. “Kraft” ist vor allem ein mit Lust an der altmodisch-elaborierten Formulierung erzählter Roman. Wenn man das mag, wird man ihn gern lesen.

Marie Schmidt (ZEIT) liest Jonas Lüschers „Kraft“ zwar nicht unbedingt als Roman, als „Essay im Gewand belletristischer Fiktion“ findet sie das Buch allerdings grandios. „Die kühle Intellektualität dieses Autors ist ein schöner Fremdkörper in einer Zeit, in der Reflexionsprosa nicht allzu hoch im Kurs steht.“ (Christopher Schmidt, SZ)

2017         235 Seiten

Leseprobe beim Verlag C.H.Beck

Jonas Lüscher liest aus „Kraft“ (5 Minuten, zehnseiten.de)

„Das ist kein Buch für Rotwein.“ – A.Isenschmid über Jonas Lüschers Buch „Kraft“ – Ideenroman über Geist, Geld und Maschinenträume? (3SAT-Kulturzeit)

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