Nachrichten vom Höllenhund


Lehman Brothers
6. April 2017, 16:48
Filed under: Theater

Stefano Massini: Lehman Brothers
Inszenierung: Josua Rösing

Früher nannte man so etwas Radio-Feature. Belehrung mit Musik und Soundeffekten. Bilder, wenn man sie braucht, entstehen vor dem „inneren Auge“. Jetzt gibt es die Radio-Show. Radio zum Sehen. Auch im Theater. 2 Stunden Belehrung mit Menschen auf der Bühne, etwas Musik (Thies Mynther) , Effektvideos – und einem Brunnen.

Da sich im Theater die Formen amalgamiert haben, darf man auch das Feature auf die lehman1Bühne platzieren. Das Publikum kann zusehen, wie gesprochen wird. Der Text ist auf Personen verteilt, mal sprechen sie selbst, mal wird über sie erzählt. Dazu etwas Information, etwas Kommentar, ein Song: Another Day Another $. Es geht um Geld und wie man viel davon erntet.

Exemplarisch: die Brüder Lehmann, Hayum, Mendel und Maier, Mitte des 19. Jahrhunderts aus Rimpar bei Würzburg nach Montgomery/Alabama ausgesiedelt, die Namen amerikanisiert, von Beruf Händler, Mittelmänner. Zuerst verkaufen sie alles, dann traden sie Baumwolle und Kaffee. Waren, die man begreifen kann. Der Gewinn ist gering, das Ansehen reicht für die Heirat von höheren Töchtern. Das nächste große Ding ist die Eisenbahn, die Profite wachsen, Alabama wird zu eng, New York wird zum neuen Familiensitz der Söhne und Enkel, gehandelt wird abstrakter, Anteile jetzt, egal wovon. Die begrifflichen Waren sind in weite kapitalistische Vorzeit gerückt. Und schließlich: der Crash. Die Produkte sind bloß noch aufgeblasen. Doch davon nach der Pause.

Da der Fall bekannt ist, zumindest der Name als Synonym für Finanzblase, erzählen sie im Theater ausführlicher vom Aufstieg der jüdischen Sippe. Die Brothers Lehman, sie sind ja Menschen, sind beim Fall nicht mehr dabei. Man muss den Titel auf die Personen beziehen, nicht auf die Bank. (Was man aber vor der Aufführung nicht weiß.) Nur eine lehman8halbe Stunde dauert der Absturz, doch er erhellt auch die Blütezeit der Wirtschaftsgeschichten. Nach der Pause wird der anheimelnde Brunnen zur Seite geschoben (ein kleiner David kommt noch drauf), das Parkett wird glatt und anonym, das Dekor besteht aus bunten Leuchtstoffröhren. Im Video (Christin Wilke) werden die Algorithmen visualisiert, sich selbst generierende Muster.

Den Aufstieg begleiten noch persönliche Schicksale und Erzählungen. Das Ladenschild ist handgemalt, man gruppiert sich für Familienfotos, Entscheidungen sind mit Namen verknüpft. Das Leben beschleunigt sich, die Schritte der Choreografien greifen schneller aus in Zeit und Raum. Eisenbahn, Datenströme. Die Wege werden unübersichtlicher, kreuzen sich, der Vorhang öffnet sich, der Handlungsraum verliert seine Grenzen. (Bühne: Philip Rubner)  Wo früher der Disput der Brüder den Weg suchte, machen sich jetzt die Algorithmen selbstständig Die Personen können abtreten. Es wird dunkel. Aus.

Wie gesagt: Es bräuchte die Bilder nicht. Aber ohne ein bisschen Gelaufe gäbe es gar lehman4nichts Bewegendes auf der Bühne. Die Schauspieler verkörpern keine Individualrollen, sie changieren, werfen sich Stichworte zu, fallen sich ins Wort, reden alle zugleich. Ein inzwischen erprobtes Mittel von Vorstellungen. Auch die Kostüme (Monika Frenz)  sind cross-dressing, gender-neutral. Jeder ist auch die/der andere. Der Mann mit Highheels, die Frau mit Bart. Das Kapital hat das eingeebnet (und produziert die Geschlechtsrollen in Hyperindividualismus neu: LBGTQ, welches Töpfchen hätten’S denn gerne?) Die Schauspieler, alle gut – in alphabetischer Reihe: Patrick O. Beck, Susanne Berckhemer, Frerk Brockmeyer, Michael Haake, Silke Heise, Gerhard Hermann, Robert Herrmanns, Andine Pfrepper. Sie sprechen klar ins Publikum (wir belehren ja), gehen hin und her, manchmal auch in squarer Choreographie.

lehman6Wenn man von den Lehman-Brothers und der Pleite gleichen Namens gelesen hat und ein wenig über den Kapitalismus und seine frühen Blütezeiten weiß, ist das eigentlich ein überflüssiger Theaterabend. Interessant ist dennoch, was Regisseur Josua Rösing in Regensburg aus der Vorlage gemacht hat. Und da scheint vieles plausibel, von der Familienerzählung am Brunnen in sich steigerndem Tempo bis zur zwingend platzenden Blase gibt es viele originell bebilderte Gedanken. Vielleicht, denke ich, ist es ja auch so, dass die Amerikaner genug hatten von der glatten Algorithmenhaftigkeit einer Hillary Clinton und sich nach etwas Ungehobeltem sehnten – und sei es noch so banal wie DT.

Theater Regensburg – Aufführung am 3. April 2017


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