Nachrichten vom Höllenhund


Der Kaufmann von Venedig
14. Mai 2017, 15:33
Filed under: Theater

William Shakespeare:
Der Kaufmann von Venedig

Inszenierung: Nicolas Stemann

Wenn man anfängt, sich bei einer Sache etwas zu denken, hört das Denken nicht mehr auf. Bis es sich verrennt. Vielleicht sollte man also gar nicht anfangen.

“Der Kaufmann von Venedig” ist als Tragikomödien-Hybrid ein typisches Shakespeare-Stück. Eine kleine Idee, ein kleiner Fehler, oft bloß ein Gedanke, wird ausgespielt, bis sich die Handlung verfängt, zur Katastrophe oder zumindest zu nicht mehr einfangbaren Verwicklungen. Hätte König Lear nicht seine jüngste Tochter Cordelia aus vernarrter Eitelkeit so unübersehbar falsch verstanden, wäre Vater Lear nicht bei den Schweinen gelandet, hätten Kriege vermieden werden können, wäre es nicht zum Drama gekommen. Vielleicht sollte man diese auslösenden Momente beizeiten erkennen, vielleicht hätte Shakespeare seine Werke plausibler und klarer konstruieren sollen, damit man sie auch heute noch ohne Verrenkungen spielen kann. (Dem “König Lear” hat man jahrhundertelang ein Happy-End verpasst, zu Shakespeare’s Zeiten war eh alles Theater/ Der Kaufmann von Venedigerlaubt bzw erwünscht, Transgender Pflicht: Alle Frauen sind Männer und bloß Spieler.)

Beim “Kaufmann” ist die Sache ambivalent. Die Kaltherzigkeit des Juden Shylock kann man verstehen. Sie hängt an der Sturheit des verletzten Geschäftsmanns: Er wurde – als Jude – bespuckt und beschimpft. Dass er sich nicht kaufen lässt und einer nachträglich angebotenen Erhöhung der Rückzahlung nicht zustimmt, adelt ihn und seine Prinzipientreue, zugleich macht sie ihn zum Klischeebild des unmenschlichen “Juden”. Shakespeare hat sich mit seinem Helden verrannt. Mit einem spitzfindigen Gerichtsverfahren windet er sich um die Katastrophe und biegt das Stück zur Komödie um und alle können heiraten. Wenn „GNADE“ auf den Monitoren aufleuchtet, ist das nur vorgeschobene Ersatzlösung, schon bei Shakespeare. Stemann liefert den Monitor dazu. Das lassen wir heute nicht so ohne weiteres gelten. Der komödiantische Strang ist mit der Shylock-Geschichte nur über den Kredit verbunden, kaufmann1also äußerlich. Portias Hochzeiter-Wahl mit abschließender Mehrfach-Erkennung ist bester Shakespaere, aber eben deshalb auch Klamotte.

Nicolas Stemann hat viel Elfriede Jelinek inszeniert, unter anderem auch “Wut” an den Kammerspielen. Das lässt ihm alle Freiheiten zu was auch immer. “Der Kaufmann von Venedig” aber ist ein Stück mit festgeschriebenen Rollen. Es ist, wenn auch prekär, durchkomponiert und hat einen berühmten Autor. Die komödiantische Schiene meistert Stemann. Er fügt ein bisschen Breakdance ein (Man findet auch Leute, denen sowas gefällt, wenn auch weniger bei Klassiker-Aufführungen in den Kammerspielen – in meiner Reihe waren nur 5 Plätze besetzt.), bietet Hassan Akkouch im ESC-Crossdress auf, den Gimmick mit den drei Kästchen lässt er breit ausspielen, wobei des Zuschauers Vergnügen weniger am Sujet liegt als an der Darstellerin: Julia Riedler versteckt hinter ihrer liebreizenden Portia-Erscheinung einen geerdeten, durchaus maliziösen Charme, mit dem sie ihre Werber der Reihe nach abtropfen lässt.

Was das Problem ist, an dem Stemann scheitern muss: Shylock ist der rigorose Geldverleiher, was ihn unsympathisch sein lässt, und er ist, als solcher, Jude. (Die Wechselseitigkeit bedingt sich aus historischen Gründen.) Dass er, anstatt den obligaten Zins zu fordern, ein Pfund Fleisch (das Herz?) aus dem Schuldner Antonio schneiden will, falls dieser die Schulden nicht bedient, lässt sich nicht rechtfertigen, auch nicht damit, dassShylock verpottet und angespuckt wurde. Stemann gerät in die Aporie: Er vermindert die zynische Sturheit des Juden, indem er die Rolle auf die aderen Personen ausweitet. Shylocks Drohklage: „Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?“ – sprechen auch alle anderen Figuren und relativieren damit Klage und Anklage. Auch die Muslime kaufmann3(Hassan Akkouch), auch die Roma (Jelena Kuljić), auch die Schwulen (Niels Bormann) sind Juden. Je suis Shylock. Als Julia Riedler für die Frauen-Opferrolle ansetzt, fällt man ihr ins Wort. „So offenbart sich die banale Wahrheit, und das Pathos wird weggeschmunzelt.“ (Tim Slagman, nachtkritik.de) Doch da hilft auch nicht der wiederholt ins Publikum gebrüllte Appell: „Das ist eine Komödie! Da lacht man!“ Dieser Teil des Stückes ist keine Komödie und wird auch keine werden. Der logische Ausweg, Shylock nicht als Juden, sondern als (Früh-)Kapitalist zu brandmarken, wird nicht verfolgt. Stemanns Anliegen ist nicht die Aktualisierung, das würde auch zu viel Gedankenarbeit voraussetzen.

Fürs Publikum, scheinbar auch für die Darsteller, wird der Stücktext häufig auf Monitoren eingeblendet, mit Rollenangabe, die aber nicht eingehalten wird. Eine weitere Distanzierung, nachdem schon zu Beginn die Regieanweisungen verkündet wurden: „Antonio, Salarino und Solanio treten auf“. Trotz solcher Einebnungen muss Stemann die harmoniesüchtige Gerichtsverhandlung inszenieren, die den gesetzten Antisemitismus aber noch verstärkt. Auch hier stößt sich das Regiekonzept an tradierten Shakespeare-Mustern. Mahrenholz/Parisi registrieren in ihrem Shakespeare-Kompendium fünf „ID-Changes“, Identitätswechsel, Verkleidungsspielchen. Aber wie will man Identitäten wechseln oder den Wechsel begreifbar machen, wenn sich die Darsteller schon vorher transidentisch bewegen? Noch nicht alle Probleme sind gelöst, kaufmann4lassen sich so lösen.

„Shakespeare goes Textfläche”, erkennt Tobias Becker (SPIEGEL). Shakespeare setzt der Methode aber Widerstand entgegen und der Widerspruch löst sich nicht auf. Stemanns Inszenierung hat ein stimmiges Bühnenbild, das die Geschäfte illustriert,der „Kaufmann“ rangiert vor dem Techtelmechtel, vor der Standeskonvention. Das Großraumbüro schillert mal silbern, mal golden, Schreibtische stehen im Weg rum. Es wird viel geblödelt, Blondinenwitze verlängern die Spielzeit, musikalisches Geplänkel. Wenn man will, kann man über die Aufführung sinnieren, sein spärliches Shakespeare-Wissen hervorkramen, sich als Mensch der Gegenwart positionieren. Ich denke, Stemanns Ansatz führt hier nicht weiter. Stemann verfängt sich in Oberflächen. Nur „wenn der ebenso würdevolle wie ein­dringliche Walter Hess in der Gerichtssze­ne den Shylock spricht, ist das schon des­halb gut, weil es um etwas geht“. (Christine Dössel, SZ)

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 4. Mai 2017


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