Nachrichten vom Höllenhund


Menasse
26. Mai 2017, 15:41
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter: ,

Eva Menasse:
Tiere für Fortgeschrittene

menassetiereDass Tiere zu den beliebtesten Arten von Menschen gehören, kann man milliardenfach auf youtube anschauen. Menschen sind schließlich auch – nur – Tiere – mit dem nicht belegten Unterschied, dass Tiere für ihre Versuche, das Leben zu überleben, nicht verantwortlich gemacht werden. Menschen dagegen sollen ihr Schicksal selbst gestalten.

Eva Menasses Geschichten haben nichts mit Tieren zu tun. Aber auch die Menschen als „fortgeschrittene“ Spezies tun sich schwer, wenn sie selbstbestimmt zu agieren gedenken. Sie stoßen sich an „Nächsten“, die dasselbe für sich beanspruchen, sie zappeln in ihrer Genealogie und in den aus- wie unausgesprochenen Erwartungen. Meist sind sie sich selbst im Wege.

Eva Menasses Geschichten sind dann gut, wenn sie diese Themen am Rande des Alltags ansiedeln. Krisen von Künstlern in der Kolonie in Italien interessieren mich eher weniger (Geschichte: „Schafe“). Auch der Regisseur Charlie Reincke ist mir wurscht, selbst wenn er in erwarteter Eigenüberhöhung vom Weg abkommt und ein Reh totfährt. („Opossum“) Der hohe Stil wirkt angesichts der blasierten Leere der Hauptperson wie eine (gewollte?) Karikatur. Kitsch?

Am Maul hatte es ein wenig weißen Schaum. Er fand das nicht abstoßend. Aufsteigende Todesnebel. Er klopfte dem Tier vorsichtig auf die Flanke. Es fletschte die Zähne, aber es versuchte nicht einmal, zu beißen. Dann wurde es ruhiger und hörte auf zu treten. Stattdessen riss es die Augen auf, als erblickte es schon die himmlischen Scha­ren. Er starrte auf das Leben in diesen Augen, denn die Seele war unverkennbar noch darin. Tränen wurden noch produziert, die Augen glitzerten und bewegten sich, sie waren zu diesem unerklärlichen Wunder, einen anderen Blick zu finden und zu halten, immer noch imstande.

In der abschließenden Geschichte („Enten“) versuchen Ben und Jenna ihre Ehe durch eine (letzte?) Familienfahrt in den Süden noch in den Griff zu kriegen. Genau bespiegelt Eva Menasse, wie Jenna sich das Leben ihrer – jüdischen – Vorfahren als Last auferlegt und sich Ansprüche daraus ableitet, die sie erdrücken.In ihrer Vorstellung, die vermutlich naiv war, hatten ihre Großeltern gar keinen Alltag gehabt, an dem sie sich hätten aufreiben können. Alltag? Das war ein Luxusproblem, das gab es damals nicht.“

Ich weiß wirklich nicht, was du schon wieder hast, sag­te Ben.
Mami hat Stress, sagte Sammy von hinten. Und da sah Ben sie zum ersten Mal richtig an. Warum schwitzt du so, fragte er, ist dir nicht gut?
Alles in Ordnung, sagte Jenna und wandte das Gesicht ab, draußen ist es überraschend schwül. Sie nahm den Handballen vorsichtig wieder zwischen die Zähne, ver­suchte, genau in die noch vorhandenen Zahnabdrücke zu beißen, und verzweifelte einen Moment an der Vorstel­lung, dass sie das den Rest ihres Lebens aushalten sollte, obwohl es gar nichts gab, was man als konkretes Problem hätte benennen können.
Jennas Eltern akzeptierten kein Unglück. Ein Unglück war ein plötzlicher Todesfall, aber nicht einmal eine Krebsdiagnose musste gleich ein Unglück bedeuten – solche Sätze zückten Vater und Mutter allzeit geschmeidig. Krebs kam in Jennas Verwandtschaft kaum vor, wir Juden sterben entweder jung oder so gut wie nie, sagte ihr Vater gern. (…)Wie sich schon an seinen Eltern gezeigt hatte, starben sie erst, wenn es gar nicht mehr anders ging. Sie wurden steinalt, dann stürzten sie und starben leicht und rasch an den Folgen. So war es auch mit dem älteren Bru­der des Vaters gewesen, Jennas Onkel.
Wenn er nur nicht gestürzt wäre, sinnierte ihr Vater von Zeit zu Zeit, so ein Pech, man muss wirklich höllisch aufpassen.
Aber wegen alldem war auch undenkbar, ihm zu sa­gen, dass sie in letzter Zeit mit dem Gedanken spielte, Ben zu verlassen. Vermutlich konnte man etwas, das man dem eigenen Vater nicht sagen konnte, auch nicht tun. Wa­rum, würde er fassungslos fragen, was hast du für einen Grund?

Den­noch waren sie selbst Teil dieser ängstlichen Gesellschaft, Jenna wusste das genau, und sich durch Ironisierungen abzuheben war zwar bequem, aber unlauter. Sie wäre ja gern kompromisslos anders gewesen, unerschrocken und wild, aber gerade sie konnte das nicht. Sie musste weit hinter den Linien bleiben und alle Gefahren berech­nen. (…) Womöglich machte das ihr selbst inzwischen am meisten Spaß. Der unbetei­ligte Blick von oben.

Wie existenziell waren die Bedrohungen der Eltern, wie banal sind die Problemchen von Jenna, als wie erbärmlich muss sie ihr Luxus-Scheitern erleben? Eine Geschichte, die länger sein könnte als die ihr zugedachten 45 Seiten.

In der Geschichte “Raupen” versucht Konrad so gut es geht, seine demente Frau Grete zu betreuen.

Jede Deckung vor ihm hatte sie aufgegeben, das, wusste er, war der größte Vertrauensbeweis. Wahrscheinlich so­gar: die Essenz von Liebe. Nichts funktioniert mehr, nur das Wissen um die Richtung, aus der die Hilfe kommt.
– Sag mir, Konrad, ich hab doch schon lange nicht mehr genäht?
Nur hier war sie sicher, auf diesen zwölf Quadratme­tern. Manchmal wusste sie nicht mehr, in welcher Rich­tung das Bad lag. In einer der schlimmen Nächte fand er sie, wie sie stattdessen an der Schranktür rüttelte, die Augen riesengroß und panisch. Jemand ist drin, wimmer­te sie, jemand hat sich eingesperrt und lässt mich einfach nicht rein.

Als Enkel Joshe zu Besuch kommt, stellt er die aufwändig austarierte Pflegebeziehung auf die Probe, indem er seine Oma wie einen “normalen” Menschen behandelt. “Sein Enkel Joshe lotste mit seinem Gesang Grete gerade von der Leiter herunter, einmal hin, einmal her, runtersteigen ist nicht schwer. Als sie den letzten Schritt hinunter auf festen Boden machte, begann Joshe zu klatschen, und Grete klatschte begeistert zurück.” Konrad hat die Folgen dieses kurzen Glücks zu tragen, der traurige Alltag bleibt an ihm und Grete hängen. Eva Menasse gelingt es auf den wenigen Seiten ein unauflösbares Dilemma ungleichzeitigen Alterns zwischen familiären Resten und den anonymen Zumutungen einer neoliberalen “Dienstleistungsgesellschaft” zu skizzieren.

Die erste Geschichte – “Schmetterling, Biene, Krokodil” schürft nicht so tief, beleuchtet aber auch ein Thema der modernen Patchwork-Familie. Alt- und Neu-Mama konkurrieren um die Kinder, wobei sie der jeweils anderen viel Übelwollendes unterstellen. Es ist amüsant zu lesen, wie die übernehmende Mama in der fordernden Urlaubssituation versucht ihre Contenance zu bewahren.

Obwohl die Scheidung Jahre zurückliegt, verkehrt sei­ne Exfrau mit Georg weiterhin im immer-und-nie-Modus, den jeder, der schon einmal eine Eheberatungskolumne gelesen hat, als Melodie des Finales erkennt. Der letzte hochinfektiöse Satz seiner Ex, den Georg in dem Moment vergisst, in dem er ihn bei Tom abgeladen hat, lautet: Nie haben die Kinder etwas Sauberes an, wenn sie zu mir zurück­kommen, immer sind die Sachen, die ich gekauft habe, zerris­sen und kaputt.

Eva Menasse hat richtige Themen, auch aus eigenem Erleben. Nach 40-50 Seiten findet man sich aber nicht so in die Personen hinein, wie es bei einem durchlaufenden Roman sein könnte. “Das We­sen kann man an der Sprache sehr genau erkennen. Österreichisch ist sehr sprach­kreativ. Immer wird herumgewitzelt, im­mer schaut man, was kann man mit dieser Redewendung noch anders machen, wie kann man dieses Wort verdrehen. Der Deutsche spricht dagegen sehr gern in Floskeln. Wenn ich in Wien bin, blühe ich sofort auf, da werde ich sprachkreativer. In Deutschland wird man leicht erschla­gen von Sprachmüll wie „über den Teller­rand schauen“, „Luft nach oben“, „das re­geln wir dann zeitnah im Vorfeld“, sagt Eva Menasse im Interview. Ihre Erzählsprache liegt dazwischen. Gewitzelt wird wenig, Floskeln findet man kaum, selten zeigt sich Schöpferisches, immer sucht sie nach Treffgenauigkeit. Wo sich die nicht einstellen will, fügt sie Kommentare ein.

Da gingen sie nun, unsere beiden, unpassend vergnügt angesichts einer Situation, die durch den braunen Papierbeutel voller Medikamente zwar hinlänglich beschrieben, von ihnen aber vorübergehend nicht zur Kenntnis genommen wurde. An der menschlichen Natur gibt es viel Erstaunliches, aber besonders bemerkenswert ist, wie schnell sie manchmal von einem Augenblick auf den nächsten genau das Unentbehrliche gefunden zu haben vermeint, das sie davor niemals vermisst hat.

2017           320 Seiten

Seite des Verlags Kiepenheur & Witsch mit Leseprobe und Lesevideo

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