Nachrichten vom Höllenhund


Bilder von uns
9. Juni 2017, 17:50
Filed under: Theater

Thomas Melle: Bilder von uns
Inszenierung Charlotte Koppenhöfer

Das Verlangen, sich mit den Missbräuchen in katholisch geführten Heimen und Internaten auseinanderzusetzen, scheint – auch in Regensburg – nicht vorrangig zu sein. Das kleine Theater am Haidplatz war zur letzten Vorstellung (dieser Spielzeit) von Thomas Melles „Bilder von uns“ allenfalls halb besetzt. Vielleicht war der Abend zu lau,vielleicht lenkte die Aufstiegsfeier des lokalen Sport- und Schwimmvereins Besucher ab, vielleicht ist das Theater auch gar nicht der richtige Ort, die Übergriffe aufzuarbeiten.

bvu2Das Theater Regensburg jedenfalls hat sich nach allerlei Ziererei der Aufgabe gestellt und ein gar nicht so schlechtes Stück ins Programm genommen. Natürlich werden Methoden der Misshandlungen genannt, wird die Hinterfotzigkeit des (nicht nur fotografierenden) Pater Stein angeprangert, doch Thomas Melle setzt vor allem in Worte, was der Missbrauch in den betroffenen Kindern und Jugendlichen anstellt und wie sich die psychischen Verwerfungen bis ins Erwachsensein durchfressen.

Unfälle zu Beginn und Ende des Stücks markieren die fortdauernden Belastungsstörungen. Jesko, Journalist im Medienbetrieb, sieht auf dem Smartphone plötzlich ein Foto aufploppen, das ihn nackt zeigt, als 12-jährigen Jungen. Vor Schreck fährt er beinahe die Lehrerin Katja an, am Ende landet er mit seinem Auto am Baum, als er von der Beerdigung seines Opfergenossen Konstantin heimfährt. Das mag symbolisch überfrachtet wirken, taugt aber als Rahmen für die durch die „Bilder von uns“ wieder aufgeworfene Vergangenheit.

Jesko will die Bilder nicht wahrhaben, Zwar interesiert ihn, wer ihm die Fotos aufs Smartphone geschickt hat, doch ist ihm die Reminiszenz lästig. Er will seine öffentliche Position nicht gefährden, will seine brüchige Ehe nicht weiter belastet sehen. Augen zu und es wird weitergehen. Franz Josef Strohmeier spielt diesen Jesko als glatten Karrieristen; obwohl Opfer, zieht er keine Sympathien an. Seine Rolle entwickelt sich auch nicht, er weigert sich, Verhalten zu überdenken, und da er das immer wieder bvu3betont, führt das zu manchen Längen. Kein Verständnis hat er auch für seine ehemaligen Mitschüler, die jeweils für ein prototypische Art stehen, mit den Folgen des Missbrauchs umzugehen.

Malte (Michael Haake) sieht in der Aufarbeitung schließlich auch einen Werbeeffekt, Johannes (Gunnar Blume) drängt nach anfänglichem Zögern auf ein juristisches Vorgehen, Konstantin (Jacob Keller)ist zu schwach und hält sein Leben nicht mehr aus. Im Zentrum des Stückes stehen die Gespräche der vier Männer, in wechselnden Gruppierungen. Sie zeigen unterschiedliche Ansätze, sie führen die Thematik aber zu keiner Lösung, sie solidarisieren die Opfer nicht. Auch das wird Thomas Melle haben vorführen wollen.

Das Sprechstück bannt die Aufmerksamkeit. (Auch weil man sich dazu verpflichtet fühlt?) Charlotte Koppenhöfer hat das Hör-Spiel durch einige symbolisch aufgeladene Intarsien aufgehöht. So darf Jesko beim (angedeuteten) Verkehr mit seiner Frau versagen, rollen Plastikkinderköpfe über die Matratze,, fallen Lilien vom Himmel und auf Maltes Körper, wird Justitia von der Muttergottes gefickt. All das bleibt Gimmick, ein bisschen was auch zum Schauen, nur zum Teil verständlich, oft plakativ. Weiterer optischer Reiz ist die weiße Luftmatratze, welche den ganzen Bühneboden bedeckt und bvu1den unsicheren Untergrund des Auftretens bildet. An die transparenten Vorhänge sprühen die Spieler die Worte: RUHE STÖRUNG. Da sich die Bühne sonst kaum ändert, grenzen Beleuchtungs- und Videoeffekte die Szenen voneinander ab.

Der After-Play-Talk nickt Thematik und Darstellung als wichtig ab, führt auch weiter zu psycho-religiösen Zumutungen. Das Infame ist ja, dass das Opfer durch den Übergriff zugleich zum Sünder gemacht wird, dem sich der Täter als Beistand andient. Nicht der Missbrauch allein ver- und zerstört das Leben, das Dilemma, sich nicht wehren wollen zu dürfen, verhindert den Ausbruch, verhindert den Gang an die Öffentlichkeit – der im übrigen ja eh nicht zu trauen ist. Das Kind wird alleingelassen, der Mann kann nicht erwachsen werden. Eine Methode, die die Kirche nicht nur in den Missbrauchsfällen anwendet; auch die der Religion, speziell dem Katholizismus, inhärente Erzeugung von angstbeladener Sündhaftigkeit verbiegt den Menschen, hindert sein Mensch-Werden. Das gilt auch für Frauen. Das ist ebenfalls noch aktuell und wäre einer Bearbeitung auf dem Theater wert.

Thomas Melles Stück ist wichtig, die behandelten Themen sind noch nicht abgelaufen, doch die dinglichen Probleme nehmen in ihrer Dringlichkeit überhand. Jeden Tag viele neue Säue, die durch die Welt getrieben werden und übereinander herfallen. Alte „Säue“ wie der übergriffige Pater Stein fallen da leider hinten runter. Ein bisschen Beifall.

Theater Regensburg – Aufführung am 31. Mai 2017

Fotos: Martin Kaufhold


1 Kommentar so far
Hinterlasse einen Kommentar

Zu den, wie ich finde, arg fragwürdigen Verallgemeinerungen am Schluss der Kritik: Mir sind in den letzten Jahrzehnten kaum Fälle von ekklesiogenem Schuldwahn begegnet, eher trifft man, bei Gläubigen und Ungläubigen, das, was man als Unschuldswahn bezeichnen könnte. Zum „Mensch-Werden“: „Mea culpa, mea maxima culpa, ist nicht eine Formel falscher Zerknirschung, sondern eine Erkenntnis, die sich genau dort meldet, wo ich mündig, wo ich zur Selbstverantwortung fähig werde.“ (C.Fr.von Weizsäcker, bekanntlich kein Katholik!) Zum Ausgleich einen Katholiken: G.K.Chesterton antwortete auf eine Zeitungsumfrage, wer denn schuld an der Misere der Welt sei, lapidar: „Ich“. Trotzdem war er ein sehr sinnenfroher Mensch mit viel Humor. Also Vorsicht vor Verallgemeinerungen auf Gebieten, wo einem möglicherweise doch die Sachkompetenz etwas fehlt!

Kommentar von Anonymous




Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: