Kate Tempest:
Worauf du dich verlassen kannst
South-East-London – „Tempest nimmt uns mit in die Häuser und Herzen der kleinen Leute.“ (Klappentext) Nein, falsch. Becky, Pete, Leon und Harry, das sind nicht die „kleinen“ Leute. Es sind (noch) junge Leute am prekären Rand des Künstler-Seins. Schon das Leben ist eine Kunst. Sie schlagen sich ins Leben, von ihren Eltern ist keine Stütze zu erwarten, der Vater wegen Radikalisierung aus dem Dienst entlassen, die Mutter ins Esoterische entglitten, Patchwork. Irgendwelche Ambitionen verblassen angesichts der Lage ins Nebulöse. Kann man da träumen? Becky und Harry machen ihren Trip durch den Kontinent, England verlassen, „sie gerieten in einen traumverlorenen Zustand. In künftigem Kummer würden sie sich an diese Zeit einmal als die glücklichste ihres Lebens erinnern.” Ansonsten viel Leerlauf, im Leben wie im Roman.
Becky gerät an Pete. Sie ist „Tänzerin“ in der 4. Reihe, massiert Männer für ein paar Pfund, er kriegt sich nicht auf die Reihe, der Staat hat in GB nicht viel übrig für Loser wie ihn. Seine Schwester Harry dealt mit Leon und verliebt sich in Becky. Ein recht kurzgeschlossener Kreis, Heimat ist die Bar, der Club, wo man am Rand der Tanzfläche andere beobachtet, die man selbst sein könnte, die Straße. Was soll aus ihnen werden, wenn sie erwachsen sind? Ist das überhaupt eine Möglichkeit?
Becky tanzt mit Charlotte und Gloria. Pete ist im Keller des Clubs und begutachtet das gelbe Pulver, das Neville gerade einem Teenager abgenommen hat. Leon ist mit einem Mädchen namens Delilah im Bett. Harry sitzt auf ihrer Mauer und trinkt Bier. Alle sind auf der Suche nach ihrem persönlichen Quäntchen Sinn. Nach irgendeiner flüchtigen Vollkommenheit, die ihnen das Gefühl geben könnte, lebendig zu sein. (…) Ihr wurde bewusst, dass das Leben nicht das war, was man daraus machte, sondern das, was man aushielt.
Das könnte eine soziale Frage sein, doch die Verhältnisse blendet Kate Tempest aus, weil sie auch ihre Figuren nicht sehen wollen. Selbstbespiegelungen. Sie interessiert sich für Belastungen und Störungen ihrer schlapp kämpfenden Protagonisten, sie beschreibt, wie Geist und Körper sich deformieren. Oft blicken sie zu Boden, Hände und Füße machen sich selbstständig, Gesten entgleisen. Kate Tempest beobachtet genau, die Schreibe gerät aber in Schleifen. Die Zitate finde ich auf zwei Seiten:
Harry starrt verlegen auf ihre Füße. … Sie wirft einen Blick in Beckys Augen. Fällt hinein, zappelt darin herum, klettert wieder raus…. Harry macht einen krummen Rücken, dann wird es ihr bewusst, und sie richtet sich langsam auf. … Becky lehnt an der Wand und betrachtet ihre neue Freundin eindringlich. Ihre Finger kratzen an dem Mörtel zwischen den Ziegelsteinen hinter ihr, zerreiben die roten Krümel und drücken sie in die Fugen. … Becky beugt sich zu ihr rüber, die Augen groß und rund wie die eines Windhundes. Harry verzieht leicht das Gesicht, ein kleines Zucken der Wange. Ein leichter nervöser Tick, den sie nicht unterdrücken kann und der ihren inneren Aufruhr verrät. …Becky mustert Harrys Profil; ihre Wangenknochen fangen die Wintersonne ein. Harry errötet und blickt weg, die leeren Gleise entlang, sucht in ihren Taschen nach Tabak. Vertieft sich darin, eine Zigarette zu drehen. Spricht in die Ferne. … Sie spricht leise, klangvoll wie Musik, eine rasselnde Sonate. … Becky stellt sich so hin, dass sie Harry direkt anblickt. Das letzte Licht des Abends rinnt aus dem Himmel. Ihre Haut verdunkelt sich mit dem abnehmenden Licht… Becky wendet den Blick nicht von Harrys Gesicht. Ihr Körper ist Asche, Schlamm und Lehm. Alles zittert vor Bedeutsamkeit. Sie will die Hand ausstrecken und Harrys Wange berühren, doch da fährt der Zug ein. … Harry stößt sich von der Wand ab und starrt auf die Schienen hinab. Der Wind schlägt ihr ins Gesicht, sie schließt die Augen, blinzelt in ihn hinein, wiegt den Kopf vor Vergnügen hin und her…. Becky streckt eine Hand nach Harrys Selbstgedrehter aus; Harry gibt sie ihr. Becky zündet sie an. Schaut auf die Gleise, die sich in der Ferne außer Sicht krümmen…. Ihre Wörter klingen wie Streichhölzer, wenn man sie anzündet. Sie schweben brennend und anmutig zu Boden. … Becky lächelt Harry an, sie fühlt sich bloßgestellt.
Was und wie Kate Tempest erzählt, ist abgedroschen, formelhaft. Keine „Feuerwerke“ (Julia Encke), kein „ständig über die Ufer tretender Text“ (Peter Praschl), wie es das Cover hinten insinuiert, eher mäandrierendes Rinnsal, das die 400 (deutschen) Seiten nicht ausfüllt. Kreiselnde Leere, auch Tempests Sprache hält nicht, was mit Verweis auf ihr Erstleben als „Lyrikerin, Spoken Word Artist“ versprochen ist, was der Guardian als „brightest talent around“ annonciert. Der englische Titel heißt „The Bricks that Built the Houses“ und Bricks, Bauklötze sind es auch, mit denen Tempest ihren Roman zusammensetzt. Mag sein, dass sich das gelenkig anhört, wenn man laut liest, so aber wirkt es repetitiv, einfallslos. Die Metaphern fast immer billig und öde, „Beckys Magen presste sich durch ihren Bauchnabel und raste zur Tür.“ Traurige Romantik der zu kurz gekommenen Schickeria. „Es bricht ihr das Herz.“
Früher waren die ärmeren Viertel in Londons Südosten der Humus für Aufruhr und Anarchie; mittlerweile aber ist die Gentrifizierung in vollem Gange, die Stadt verändert sich in dramatischem Tempo. Wer hier lebt und nicht untergehen will, braucht einen Plan. Den hat Harry nicht, aber einen Traum hat sie: Mit dem Drecksgeld aus dem Drogengeschäft will sie einen Ort der Begegnung schaffen, eine Oase für alle, die Ruhe, Halt und «ein bisschen Sinn» suchen.
Pete betrachtet den Himmel; der Mond ist fett und hungrig und gelb glühend an den Rändern. Er ist am Ende und fühlt nichts mehr. Er würde sich gern mit Freunden treffen, aber er hat vergessen, wie das geht.
Er ist aufgeschmissen. All die bitteren Nachmittage, die vergeudeten Gelegenheiten, die ungesagten Dinge. Sie sucht verzweifelt nach so vielem. Unabhängigkeit, Anerkennung, und sie braucht niemanden, der ihr beisteht, und zur Not kommt sie auch ohne Liebe aus. Ständig ist sie in Alarmbereitschaft – Reduzier mich nicht auf das, was du gern hättest. Und wag es ja nicht zu denken, dass ich meine Träume beschneide, nur um dich glücklich zu machen.
So „ist Tempest vor allem die Stimme derer, die schon ganz viele Stimmen haben: aller, die ökonomische Analyse schon längst durch Gastritis ersetzt haben. Denen jedes politische Problem ein „Ich könnte Kotzen“ bei Facebook wert ist, aber keinen Gedanken. Und die noch so frech sind, das für eine politische Äußerung, fürs Gegenteil von Narzissmus und Innerlichkeit zu halten.“ (Lars Weisbrod, Die ZEIT)
2016 400 Seiten
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