Michael Lüders: Dunkelmacht
Michael Lüders rührt ein Mashup deutscher Verschwörungen der letzten Jahre an. Er reklamiert für „alle Hauptfiguren (…) Fiktion, bittere Wirklichkeit sind die geschilderten NSU-Fahndungspannen, sowie die beschriebenen rechten Traditionslinien im Bundeskriminalamt.“ „NSU-Aufklärung“ und involvierter Verfassungsschutz, Flüchtlingsströme und –heime, mediale Quoten-Verflechtungen, reaktionäre Dunkelmänner, gewürzt mit ein bisschen Liebe, ein bisschen Exotik, ein bisschen Prügelei und Sprengstoff und Action.
Matthias „Mitch“ Berger arbeitet für Star-TV, eine Produktionsklitsche für TV-Dokus. Sein aktuelles Projekt ist ein Feature über eine syrische Flüchtlingsfamilie, ausgewählt sind die Marwans, nett, ängstlich und zahm, die nach der „Erstaufnahme“ in Bayern ins thüringsche Friedenau transportiert wird. Hier schließen sich kurz Kontakte zu Fred Wagner, einem lokalen Neonazi, der als V-Mann des Verfassungsschutzes auch in den Akten zur „NSU“ stand. Mitch Berger erhält eine DVD, die beweisen, dass die NSU-Mordbuben von rechten V-Männern erschossen werden. Fred Wagner war dabei, eine Telefonnummer führt zunächst ins Nichts, stellt sich aber als gesicherte Geheimnummer des hohenVerfassungsschützers Werner Dickmann heraus. Dickmann erweist sich als Spinne und Drahtzieher eines verschworenen Geheimbunds reaktionärer Nationalisten, der ein Attentat auf eine Flüchtlingsunterkunft plant, eine ehemalige US-Kaserne, in die auch die Marwans verlegt werden .
Taylor kratzt sich am Kinn, man sieht, der Mann fühlt sich unwohl, fühlt sich überrumpelt. Generalmajor Neubert mischt sich ein, legt dem Amerikaner vorsichtig eine Hand auf den Unterarm und deutet mit der anderen Hand auf Dickmann: »Marc, das ist nicht seine verrückte Privatidee, dahinter steht eine große Gruppe hoher deutscher Offiziere und Geheimdienstler. Wir haben lange über diese Aktion debattiert und sie einstimmig gebilligt. Dickmann hat recht, wir sind in einer Notwehrsituation. Wenn wir Angela Merkel gewähren lassen, dann wird in zehn Jahren in dem Odenwalddorf deiner Großmutter ein Taliban zum Bürgermeister gewählt. Dies ist kein Terror, das ist Abschreckung. Das ist ein Kollateralschaden, so heißt das doch bei euch in Afghanistan.«
Weshalb schreibt Harald Lüders kein Sachbuch? Weil da nicht mehr drinstehen könnte als man eh schon weiß oder vermutet? Was ist der Mehrwert eines „Thrillers“ – über die Spannung hinaus? Lässt die fiktionale Verdichtung mehr Betroffenheit entstehen? Und, wenn ja, was ist damit gewonnen? Agitation oder eher Wutabfuhr? Vielleicht sind all diese Fragen obsolet.
Indem er die Ungeheuerlichkeiten geschickt verschlingt, gelingt Lüders ein Krimi zur aktuellen politisch-sozialen Lage. Mit Mitch Berger hat der Leser eine Identifikationsfigur, man hofft gebannt mit dem Außenseiter, dass der perfide Anschlag misslingt. Es ist nicht zu viel verraten, dass die meisten der Guten überleben. Man sollte aber in der Fiktion bleiben und sich von Verbrecherliteratur keine segensreichen Wirkungen auf die Realität erwarten.
2016 350 Seiten
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