Nachrichten vom Höllenhund


Die Selbstmord-Schwestern
8. Juli 2017, 18:39
Filed under: Theater

Die Selbstmord-Schwestern
Nach dem Roman von Jeffrey Eugenides
Inszenierung: Susanne Kennedy

Als es ans Klatschen geht, weiß man, falls man überhaupt klatschen will, gar nicht, wem der Applaus eigentlich gelten soll. Denn die Bühne hat Lena Newton vollgestellt mit Monitoren, Schreinen, überall blinkt es, im Hintergrund liegt auf einer Art Katafalk eine nackte Frauenfigur. Erste Assoziationen: Spielhalle, Videoüberwachung, Altar. Doch. Nach einiger Zeit hat sich einer auf die Bühne geschlichen, der ein Mensch sein könnte. Ein Silberlanghaariger setzt sich auf eine Stufe, sagt nichts, schaut friedvoll in sich hinein. Applaus für ihn?

virgsui2Auf der Bühne stehen noch vier andere Figuren, die leise vor sich hin agieren, großäugig, also kindlich. Mangas sollen’s sein, in solche Kostüme, sagt die Dramaturgin, stecken sich in Japan Männer, die Frauen sein wollen. Cross-Dressing, Genderisierung, Infantilität. Am Ende nehmen sie sie Kopfmasken ab – und es sind Männer, echte, unterschiedlichen Alters, die sich verkleidet haben. Lieb anzusehen, so menscht man heute. Die Stimmen kommen verzerrt vom Chip.

Ja, das sind – kann sein – die Jungs, die die fünf Schwestern vor und bei ihrem Suizid beobachtet haben. Sie scheinen einiges, weniges zu wissen, sie erinnern sich an Gerüche, virgsui3Gewänder, Accessoirs, Sehnsucht. Sie spekulieren über Motive. Dass die Lisbon-Virgins gut umzäunt waren in ihrem Suburbhaus, dass sie nicht nach draußen durften, sich dennoch duschten und sonnten und Düfte aussandten, dass sie nicht erwachsen werden durften. Objekte der Begierde. Objekte der elterlichen, vor allem, wie sonst, der mütterlichen Kontrolle. (Die Mutter nennt es “beschützen”.) Frauen, denen keine Entwicklung, keine Sexualität, keine Identität zugestanden ist. Das ICH ist nur im Sterben erlebbar. Als aggressiv libidinöser Akt, wie es im Stück heißt.

Hinter dem Altar ist die Fläche für Projektionen. Wald Tunnel, Vorstadt-Häuser (umwölkt), das Bild der Himmelfahrt des Herrn, Maria im Flackerspot. Pathetisch-pathologischer Glaubenskitsch. “Cecilia, die Jüngste, erst dreizehn, war als Erste gegangen. … als sie ihr die Hände auseinanderzogen, fanden sie das Lackbildchen der Jungfrau Maria, das sie an ihren knospenden Busen gedrückt hielt.” Die Symbole stehen im Roman, der nicht ohne Absicht “The Virgin Suicides” heißt. Das Geschlechtliche muss ausgetrieben werden!

Susanne Kennedy neutralisiert das Geschlecht. Die Manga-Figuren sind präpubertär, Kindchen. Der Avatar, der Timothy Learys ver-rauchte Todesmythen verkündet, ist attributlos, bereinigt von menschlichen Makeln, steril in androgyner Perfektion. virgsui1Grauslig. Die (nahe) Zukunft.

Noch eine Projektion: Youtube-Gören (Gören ist falsch, das klingt nach Leben), die sich in harmlos-perversen Rollenspielen promoten, ihre Identität in der anonymen digitalen Globalöffentlichkeit suchen. So verliert man sein ICH heute in den Banalitäten des rosa Konsums, kann den Suizid hinauszögern in der viralen Ablage der Jungfräulichkeit. Wo es sich mit dem virtuellen Glanz kreuzt, hat das Leben keine Chance.

Susanne Kennedy kreuzt in die maskierte Suche nach dem Leben das Tibetische Totenbuch ein. Wie vollende ich mein Leben im Sterben als Vorbereitung für die Wiedergeburt. Dafür muss man in neunundvierizg Tagen Zwischenzustände durchlaufen, die vier Manga-“Männchen” strukturieren so die Vorführung. Kennedy glaubt “ja ganz stark an das Theater als Ritual”, sie will “Theater als Art Bewusstsein erweiterndes Medium oder vielleicht sogar ‘ne Droge”. Man muss sich darauf einlassen, um die penetranten Assoziationen nicht beliebig, kitschig zu finden. Tibet und Leary predigen das Loslassen als Himmelfahrt der Selbst-Losen: „Accept. Enjoy. Merge. Glorify. Glorify. Glorify“ – sein Appell gegen den poesielosen Überlebens-Willen. Die Mensch-Maschine ist schon Gegenwart, Person, Geschlecht, Liebe sind schon eingefangen in der Feier der Glätte, der kalten Abstraktion.

Was Susanne Kennedy auf der Bühne anrichtet, ist überwältigend, erdrückend in den Stroboskop-Projektionen, in den nervtötenden Ton- und Bildschleifen. Die Maschine, die (gefaketen) Bilder und die Avatare haben die Kontrolle. Dagegen hilft nur der Griff zur virgsui4Coca-Cola, die die Mangas aus dem Kühlschrein holen und sich gegenseitig einflößen. Susanne Kennedy holt den (un)schönen Schein in die Gegenwart und erklärt damit – nichts. Im Zuschauer wird das angeregt, was sich in seinem Kopf angesammelt hat. (Bernd Noack vom SPIEGEL sieht nur Bilder der unzusammenhängenden Art“. Christine Dössel (SZ) meint, man dürfe die “Bilder nicht deuten wollen”. Das geht natürlich nicht, auch wenn die Sinne so befeuert werden.) Auch in den  Bombast verlieren sich Gedanken. Susanne Kennedys Theater hat keinen ironischen Überschuss, das Ganze muss als Ironie gesehen werden, weil es sich nur so aushalten lässt. (Und auch so nicht.) Kennedy wird weiter von ihrer Idee verfolgt, dem Menschen das Persönliche auszutreiben. Das Gesicht wird maskiert, die Stimme verfremdet, die Bewegungen zu (lächerlichen) Stereotypen verkürzt. Bis zur Digitalisierung des Menschlichsten: des Todes. Ja, es ist Schwulst. So, wie auch Religion und Drogen und Tod nichts anderes sind.

Man applaudiert, weil es halt so üblich ist.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 3. Juli 2017


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