Nachrichten vom Höllenhund


Haruf
27. Juli 2017, 19:07
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Kent Haruf: Unsere Seelen bei Nacht

harufDer Klappentext sagt schon alles: „Holt, eine Kleinstadt in Colorado. Eines Tages klingelt Addie, eine Witwe von 70 Jahren, bei ihrem Nachbarn Louis, der seit dem Tod seiner Frau ebenfalls allein lebt. Sie macht ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag: Ob er nicht ab und zu bei ihr übernachten möchte? Louis lässt sich darauf ein. Und so liegen sie Nacht für Nacht nebeneinander und erzählen sich ihre Leben. Doch ihre Beziehung weckt in dem Städtchen Argwohn und Missgunst.“

Kent Haruf erzählt in leisen Worten, einfachen Sätzen, mit Gefühl für seine Personen. Behutsam tasten sich Addie und Louis aneinander heran, hören zu und lassen den anderen reden, können kaum glauben, was ihnen geschieht, versuchen ihr eigensinniges Vorhaben für sich zu rechtfertigen.

Ja. Also, ich sag es jetzt einfach.
Ich höre, antwortete Louis.
Ich wollte fragen, ob du dir vorstellen könntest, hin und wieder zu mir zu kommen und bei mir zu schlafen.
Was? Wie meinst du das?
Ich meine, dass wir beide allein sind. Wir sind schon viel zu lange uns selbst überlassen. Seit Jah­ren. Ich bin einsam. Ich dachte, du vielleicht auch. Deshalb wollte ich fragen, ob du zu mir kommen und bei mir übernachten würdest. Und mit mir reden.
Er starrte sie an, betrachtete sie. Neugierig. Vor­sichtig.
Du sagst ja gar nichts. Hat es dir die Sprache ver­schlagen?, fragte sie.
Ich glaube, ja.
Ich spreche davon, die Nacht zu überstehen. Es gemütlich und warm zu haben. Zusammen im Bett zu liegen, die ganze Nacht. Die Nächte sind am schlimmsten. Findest du nicht?
Doch. Das finde ich auch.

Dann war es dunkel, nur das Licht von der Straße fiel schwach in den Raum. Sie sprachen über banale Dinge, wurden ein bisschen vertrauter miteinan­der, unterhielten sich über die üblichen alltäglichen Geschehnisse in der Stadt, die Gesundheit einer alten Dame namens Ruth, die zwischen ihren bei­den Häusern wohnte, und das Pflaster in der Birch Street. Dann verstummten sie.

Der Text beginnt wie eine Novelle mit einem “unerhörten” Ereignis, es gibt aber keine spektakuläre Entwicklung, wenn nicht der Wunsch nach menschlicher Nähe selbst schon spektakulär ist. Addie und Louis finden ihr leises Glück in der Wärme der Zweisamkeit. “Help me make it through the night” sang Kris Kristofferson schon 1970.

„Friedlich und heiter ist dann das Alter“, phantasierte Hölderlin. In kleinen Ausflügen zum Picknick oder ins Theater, im gemeinsamen Essen, im Gefühl, dem anderen vertrauen zu können, erleben sie im Alter, was sie noch nicht aufgeben wollen, was sie so noch nicht kannten, in ihren (früheren) Ehen gab es große Probleme. Kent Haruf kann im Rückblick des nächtlichen Erzählens davon berichten.

Ein Roman fürs wohlige Gefühl, fürs warme Herz. Mit dem Blick aufs Erscheinungsjahr 2015 erwarte ich auf jeder Seite das Aufschrecken, den Wendepunkt, das Ende der Idylle. Darf es das geben? Zwei so verständnisvolle, herzensgute Menschen? Aber es kommt noch härter: Addies Sohn Gene, der sich nie um die Mutter gekümmert hat, hat Ehekrise und bringt seinen Sohn Jamie zu Großmutter Addie. Auch Lois gewinnt den Kleinen lieb, spielt mit ihm, nimmt ihn als Person ernst, holt ihm sogar einen Hund aus dem Tierheim, damit Jamie seine sozialen Kompetenzen erweitern kann – und auch der Hund ist ein lieber, schläft bald in Jamies Bett, lässt sich von ihm an der Leine führen. Die Harmonie ist kaum auszuhalten.

Die Geschichte ist in einer Kleinstadt in der Prärie Colorados im Mittleren Westen der USA angesiedelt. Die Einwohner in diesem „ehrenwerten“ Land tuscheln anfangs schon über das „seltsame“ Gebaren der beiden Alten, die ihr „Treiben“ so gar nicht verheimlichen wollen. “I don’t care what’s right or wrong” (Kristofferson). Der aufgeklärte deutsche Leser kann aber partout keinen Tabubruch erkennen und freut sich mit Addie und Louis über ihr Glück im Kleinen. „Könnten Sie sich persönlich ein ‚Arrangement‘ vorstellen, wie es Addie und Louis praktiziert hatten?“ fragt der Lesekreis und man nickt selig.

Als Sohn Gene seinen Jamie wieder abholt, ist der Sohn verstört und der Vater aufgebracht:

Sie zelten mit meinem Sohn in den Bergen. Und dann schlaft ihr auch noch mit ihm im selben Bett, Herrgott!
Woher weißt du das?, fragte Addie.
Ach, vergiss es. Ich weiß es. Was zum Teufel habt ihr euch dabei gedacht?

Auch eine Frage für den Lesekreis. Herrgott! Teufel! Es geht aber nur ums Geld und das duldet kein Glück! Ein kleines Buch aus den Zeiten, bevor wir Patchwork erkämpft haben. Daran sollte man aber beim Lesen nicht denken.

2015         200 Seiten

2-3

Lese- und Hörprobe beim Diogenes-Verlag


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