Nachrichten vom Höllenhund


Morrison
11. August 2017, 12:51
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind

morrisonkindDie Idee hat Charme. Eine Frau, die sich fast für eine Weiße hält, sich zu den „Gelben“ zählt, zieht ein Kind „zwischen ihren Schenkeln“ heraus, mit dem etwas „ganz und gar nicht stimmte:

Sie war so schwarz, daß sie mir Agst machte“. Der Vater „rührte sie nicht an“ und macht sich davon, die Mutter spricht sich frei: „Ihre Farbe ist ein Kreuz, das sie immer zu tragen haben wird. Aber es ist nicht meine Schuld. Ich kann nichts dafür. Ich kann nichts dafür. Ich nicht.” – sie lässt sich von der Tochter nicht Mutter oder Mama rufen, sondern ‘Sweetness”. “Das war sicherer.”

Auch die “mitternachtsschwarze, sudanesisch schwarze“ Tochter ändert ihren Namen: Aus dem ländlichen Lula Ann wird das stolze ‚Bride’. Sie trägt nur noch weiße Kleider, sie wird trotz oder gerade wegen ihrer Farbe sehr schön und erfolgreich, gründet ein Kosmetik-Start-Up (YOU GIRL!) und damit verflüchtigt sich die Grundlage von Toni Morrisons Roman. Bride bleibt verletzlich, wird auch immer wieder verletzt. Mit Bride aber braucht keiner Mitleid zu haben, sie braucht keine Gotteshilfe. Was sie braucht, ist bloß Vertrauen, einMann, und als sie den hat, verstößt sie ihn. „Ich kann es nicht erklären, aber ich weiß genau, wann es anfing. Es begann, nachdem er gesagt hatte: «Du bist nicht die Frau, die ich will.» «Bin ich auch nicht.»” Bride ist selbst konsterniert über ihre schnippische Replik, die sie selbst in ihrer Existenz trifft: “Etwas Schlimmes passiert mit mir. Es kommt mir vor, als würde ich wegschmelzen.

Das ist ein schönes Bild. Aber der Verlust hat wenig bis nichts mit Brides Hautfarbe zu tun. Auch Booker ist schwarz, was sich im deutschen Text nicht zwingend erschließt. Bride, die sich aus ihrer Erfolgsbahn geworfen sieht, verliert den Boden und der Roman seine Struktur. Brides oberflächlich-blonde Freundin Brooklyn taugt für ein paar Gespräche, dann verschwindet sie aus dem Roman. Bride wird von ihrer ehemaligen Lehrerin Sofia zusammengeschlagen, die aufgrund von Brides Aussage wegen Kindesmissbrauch im Gefängnis saß. Sofia hatte ihren Auftritt, sie kann zurückbleiben. Figuren mit Zeigefunktion. Bride macht die Adresse ihres geschassten Lovers Booker ausfindig und fährt ihm nach. Ihr Trip durch fremdes Leiden beginnt.

Als sie ihren Jaguar an einen Baum setzt, hilft ihr ein älteres Hippie-Paar, in dessen kargem Haus sie ein paar Wochen lang ihre Blessuren auskuriert. Dann lässt Toni Morrison das Paar liegen, mitsamt dem traumatisierten Findelkind ‘Rain‘, das zu Bride eine scheue Beziehung aufgebaut hatte. Kurz vor Booker trifft Bride auf ‘Queen’, seine Tante, die in einem Trailerpark lebt, wo sie ums Leben kommt. All diese Personen hinterlassen Spuren im Roman, all diese Personen bringen Bride nicht weiter, all diese Personen erscheinen sehr gesetzt. Bride vergisst auch ihre Hautfarbe, ihre Bewegungen wirken planlos, ungeplant; ich vermisse im Roman ein Ziel, ein Anliegen, eine Struktur. Ein Episodenroman, man könnte auch sagen: zusammengeflickt. Der Missbrauch ist immer und überall. “Das Übermaß des Schreckens und die Ein­dimen­siona­lität des Gesell­schafts­bildes führen beim Leser leicht zu Über­druss, womit die Autorin die Kraft ihrer Anklage schmälert.“ (Petra Schwarz, buecherrezensionen.org)

Das Buch startet mit wechselnden Erzählerinnen, geht jedoch ab etwa der Hälfte in neutrales Erzählen über und greift nur noch sporadisch und unregelmäßig auf subjektive Perspektiven zurück. Zufall – oder Absicht? Aber welche?

Was mich zudem verwirrt, ist Toni Morrisons in den Roman eingefädelte Metapher der Rückentwicklung Brides. Anfangs fühlte sie sich, als würde sie “wegschmelzen” und auf der Suche nach dem Mann vermisst sie zunächst ihr Schamhaar, dann ihre Ohrlöcher und schließlich sieht sie sich auch ohne Brüste. Die Regression zum vorpubertären Mädchen, ausgelöst durch den Verlust eines/des Mannes!? Toni Morrison als naive Märchenerzählerin.

Und als Märchen endet auch dieser Roman im Dénouement:

Ein Kind. Neues Leben. Immun gegen alles Böse, jede Krankheit, behütet vor Entführung, Schlägen, sexueller Gewalt, Rassismus, Demütigung, Verletzung, Selbstzwei­fel, Verwahrlosung. Niemals irrend, voller Güte. Ohne Zorn.
So stellen sie es sich vor.

Möge Gott. Kein Buch für mich.

2015        205 Seiten

4

Leseprobe beim Rowohlt-Verlag


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