Callan Wink: Der letzte beste Ort
Die Menschen sind Steppenläufer. Entwurzelte Wesen, die der Wind dahin und dorthin weht, die sich verhaken und weitergetrieben werden, in der vagen Erwartung, eine neue Pflanzheimat zu finden. Der „letzte beste Ort“ ist die Station vor dem Nichts, so gut und schlecht wie jeder andere Ort, von hinten bläst ein Wind, vorne könnte man die Freiheit vermuten, würde einem die Lebenserfahrung nichts anderes sagen. Das Schicksal serviert nicht im „Crow Country“ zwischen Prärie und Bergen. Indianerland.
„Im Nachhinein“ ist die längste der Strories von Callan Wink. Laurens Leben, die Skizze eines Romans auf 50 Seiten. Was Lauren von den Perrys, James’, Rands unterscheidet: „Lauren hatte vier Hektar Land“, auf denen aber „nicht ein Baum wuchs“. Fast ein Zuhause. “Wenn der Wind blies, wurden große Staubwolken aufgewirbelt, die ihr ins Haus krochen.”
„Sie wollte vielleicht Krankenschwester werden. Großartig Gedanken machte sie sich nicht darüber, aber sie hatte die vage Vorstellung, dass Krankenschwestern im Allgemeinen optimistisch und kompetent waren und auch nie lange nach einem Arbeitsplatz suchen mussten.” An Berufe festgebundene Existenzen gibt es hier nicht, ein Job ist mehr, als man erwarten kann. Eine Beziehung ist mehr, als man erwarten kann. “Er fand nicht, dass seinem Leben irgendetwas fehlte, auf jeden Fall gab es keine Löcher, die ein Hund nicht füllen könnte. Ihre Hunde (…) waren ein paar Jahre vorher zusammen aufgekreuzt und hatten beschlossen zu bleiben. Beide kastrierte Rüden, anscheinend gute Freunde und alte Weggefährten. Lauren hatte ihnen einen Gemeinschaftsnamen gegeben, weil sie sich sowieso nie von der Seite wichen. Sie hießen Elton John.” Gekommen, gegangen. “Lauren legte sich wieder ins Bett. Als sie mehrere Stunden später aufwachte und ihre Morgenarbeit anstand, war Elton John nicht vor der Tür. Auf dem Hof waren die beiden auch nicht. Sie sah sie nie wieder.” Unspektakulär auch das Ende. “Hätte sie ein Gewehr, wäre sie runtergefahren und hätte Jason und seinen schwarzen Hund erschossen. Hätte sie ein Gewehr, hätte sie sich vielleicht aufs Sofa gesetzt und wäre nie wieder aufgestanden.” “Sie wollte, dass alle ihre Sachen vor ihr starben. Sie wollte mit nichts aus dieser Welt scheiden außer einem Paar bequemer Wollsocken, gut eingetragenen Jeans und einem dicken Flanellhemd.”
In den anderen Stories werden Mäner verblasen. Sie hängen nicht fest an einem “Zuhause”, sie verhaken sich nicht für lange, wo auch, an wem auch. Steppenläufer kennen keine “Heimat”. Callan Wink skizziert kurze Zwischenstationen, die für das stehen, was man Leben nennt. Rand findet Arbeit bei der Baustelle von Chalets für reiche Schifahrer (“Sonnentanz”), James ist eigentlich Lehrer, er verlässt Beruf und Frau für einen Ferien-Job auf einer Ranch für exotische Tiere, die von geldigen Kunden “gejagt” werden (“Exoten”), Perry jobbt saisonal als Reenactment-Darsteller (“Noch eine letzte Schlacht”), er telefoniert mit seiner Partnerin Andy, während er mit seiner Kollegin Kat im Motelbett liegt. Abends TV: Wetter oder Sport. Leben. „Du musst nicht nach Hause gehen, aber hier kannst Du nicht bleiben.“
Callan Winks Stories sind klassische Kurzgeschichten. Nüchtern und geradlinig erzählt, ohne Emotionen, die doch nichts helfen, aber mit viel Verständnis und Lebensklugheit. (Wink ist 1984 geboren.) Viel hilflose Gewalt, viel leerlaufendes Sinnieren. Oft taucht das Titelthema nur als Episode auf, meist gibt es kein besseres Vorn. Amerikanische Zustände, 2016.
Rand saß ganze Nachmittage mit dem Kopf in den Händen in seinem Container, die aufgerollten Pläne auf den Tischen um ihn herum, während der Wasserkühler gelegentlich gurgelte. Manchmal zog ein Schatten vor der Sonne vorbei, ein Schwarm Stare, die sich in den Bäumen niederließen und zwitscherten.
Es war Frühlingsanfang. Seit das Eis sich weit genug zurückgezogen hatte, fuhr er mit dem Boot hoch auf das Bighorn Reservoir. Er hatte immer gerne geangelt, konnte sich aber nicht mehr so recht darauf konzentrieren. Irgendwann nahm er nicht mal mehr eine Rute mit. Er packte sich ein Sandwich ein, eine Thermoskanne Kaffee und ein Sixpack Bier. Er füllte einen Ersatzkanister Benzin auf und fuhr gegen die beschauliche Strömung flussaufwärts nah an den steilen Canyonwänden und hörte nichts als das Dröhnen des Außenborders.
Wenn es Zeit zum Mittagessen war, stieß er mit dem Boot in einen Seitencanyon und machte im Windschatten eines Felsens fest. Nach dem Dauerlärm des Motors genossen seine Ohren die seltsame Stille des Canyons, und Rand hatte einen Augenblick lang das Gefühl, er hätte eine Gnadenfrist bekommen. Dann saß er absolut still da, bis etwas die Stille brach – bis das Boot am Felsen kratzte, ein Rabe im Vorbeifliegen krächzte, ein Fisch draußen auf dem See sprang -, dann war der Bann gebrochen, und er packte sein Sandwich aus und trank sein Bier. Danach starrte er die wilden Streifenstrukturen der Sandsteinwände des Canyons an und dachte sich Leben für die vier Männer aus, die er getötet hatte.
2016 280 Seiten
Leseprobe beim Suhrkamp-Verlag
Matt Rives reads Callan Wink’s story „Crow Country Moses“ at Stories on Stage Davis
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