Filed under: Theater
Samuel Beckett: Glückliche Tage
Inszenierung: Jona Manow
Wieviel Weisheit seckt doch in Winnies Litaneien. (Das ist als Frage gemeint.) Und wieviel Liebe. Wieviel Weisheit steckt dann erst in Willies Schweigen? Wer ist hier der/die Intellektuelle? Oder entsteht die Weisheit erst im Zuschauer, der, von der Bewegungslosigkeit auf der Bühne überfordert, sich seine eigenen Gedanken machen könnte. Könnte, wäre er denn anders als die dramatischen Figuren.
In der Kurt Wilhelmschen Fassung des Stückes vom „Brandner Kaspar“, das auch vom Tod handelt, heißt es einmal: „Der Preuß spricht den Denkvorgang immer mit, der Bayer gibt das Ergebnis nur bekannt.“ Was vorzuziehen ist, ist damit angedeutet: Willie, der Bayer, der Preuße als die Frau. Jona Manow inszeniert werkgetreu. Die Klischees sind bedient, die „Glücklichen Tage“ haben die Jahre seit 1960 überstanden. (Womit auch die Basisfrage: Muss man das Stück heute noch spielen? angedacht ist.)
Loriot hat die Verhältnislosigkeit zwischen Mann und Frau in das „Frühstücksei“ reduziert. (Morgen bringe ich sie um.) Beckett zeigt, wie sich das Glück reduzieren lässt auf ein Wort, einen Blick, auf den Augenblick, der dem Tod noch vorausgeht. „Dies wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein.“ Hoffnung bis zuletzt, dem hat Willie nichts entgegenzusetzen.
Endlose Liebe, erdverhaftet. „Glückliche Tage“ ist ein Stück von den letzten Tagen, ein Endzeitstück. In den Endzeitromanen und –filmen verfallen die Überlebenden in Hektik, flüchten in die Sonne, ans Meer, ins Vergebliche. Beckett bannt die Flucht in Winnies Erdloch, in Willies ewigen Schlaf. Der Ausweg ist blockiert, Winnie steht die Erde bis zum Hals, das Glück liegt darin, dass man die Arme noch bewegen kann, es gibt sich aber auch mit weniger zufrieden. Alltag bis zuletzt.
Am Haidplatz in Regensburg verliert sich das Leben in den Dolomiten, es ist erstaunlich heiß für die Gegend, nur der Himmel scheint offen. Winnie lebt eher halbherzig, mehr in der Erinnerung der – noch – glücklicheren Tage.Willie ist einfach nur da. Noch. Die Regieanweisungen Becketts verdoppeln in ihrer Penibilität die Banalität des Monologs. In Regensburg erscheinen die kleinen Abwandlungen die Werktreue nicht zu berühren. Einen Einkaufswagen hatte der Autor nicht vorgesehen, er fügt sich aber ins Konzept und bringt ein bisschen Spaß in die Tristesse. Vieles andere ist einszueins umgesetzt, bis zu den Barchborsten.
Winnie Doris Dubiel entspricht in ihrer Erscheinung nur bedingt der Phantasie Becketts. Sie hat die Last der Worte zu tragen, im ersten Akt noch begleitet vom Festhalten an den Utensilien aus ihrem Kulturbeutel, im zweiten leiser, eindringlicher, flehender. „Lippen schweigen, s’flüstern Geigen, hab mich lieb“. Hütchen! Ob Willie Gerhard Hermann dies mit seinen ziellos beschränkten Verschnarchungen und Verrenkungen aufwiegen kann, soll nicht geklärt werden. Einzigartig aber, wie er, gegen die Vorgaben, quer über die Bühne kriechend einen blauen Staubsauger hinter sich herzieht. (Ist die Farbe von symbolischer Bedeutung?)
Alles ist ja Symbol in „Glückliche Tage“. Alles symbolisiert die Banalität der Weisheit oder die Weisheit des Banalen. Das Stück erwartet keine Deutung, die Personen verdienen kein Mitleid. Von wem auch: Sind wir doch alle ein wenig Williewinnie. Mit Moral ist Beckett nicht beizukommen. Tragisch wird hier nichts.
Der Schluss: „Sie richtet ihre Augen lächelnd auf Willie, der immer noch, auf Hände und Knie gestützt, zu ihr hinaufblickt. Lächeln verschwindet. Sie sehen sich an.“ In Regensburg lässt Jona Manow Willie Winnie würgen. (Zumindest ich hab’s von meinem Platz aus so gesehen.) Einen Sinn machte das auch, der nächste Akt hätte sie eh versenkt. Die Abweichung ist gravierend und verunsichert das Publikum. Hat sich Willie doch noch zur Tat aufgerafft, ist er Winnie noch einmal nahe gekommen? Hat Loriots Ansage realisert? Sollte, durfte man applaudieren? Hier stellt sich wieder Einklang her mit Becketts letzter Regieanweisung: „Lange Pause“ Dann verdienter Beifall, verstärkt für Doris Dubiel.
Die Situation hat sich nicht geändert. Endzeit ist immer und überall, heute wieder ein wenig mehr. Trumps unaufhörlichesTwittter-Gebrabbel ähnelt Winnies Suaden nur oberflächlich. Er hält sich nur an sich selbst fest, hält sich für das Leben, Gedanken erübrigen sich. Doch die Trumpartigen werden mehr, nicht nur bei den Gewählten. Beckett kann uns nicht mehr damit überraschen, dass er den Sinn in den Wortschwall kleidet und in Echtzeit spielen lässt. Das ist Alltag in allen Medien. Man müsste also die „Glücklichen Tage“ nicht mehr im Theater sehen, doch allein der Titel des Stücks stößt das Denken an.
Theater Regensburg – Aufführung am 20. Oktober 2017
Fotos: Jochen Quast
Video Trailer des Theaters
„Warten auf Willie“ – Artikel im SPIEGEL vom Oktober 1961
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar