Patrick McGinley: Bogmail
Blackmail ist die Erpressung. Das Moor nennt man in Irland bog. Da die Erpressung ihren Ursprung im Moor hat, heißt sie bogmail. Der Erpresser unterschreibt seine Briefe mit Bogmailer. Erpresst wird Roarty, der Wirt des Pubs in Glennkeel im äußersten Nordwesten Irlands. Der hat Probleme mit Frau und Tochter. Die Frau Florence ist ihm entwichen, die Tochter bandelt mit seinem Barkeeper Eamonn Eales an, und da Roarty diesen für einen Nichtsnutz hält, muss er eingreifen. Als Tatwaffe ergreift er Band 25 der Encylopädica Britannia, seinem einzigen und Lieblingsbuch, als Entsorgungsort bietet sich das Moor an.
„Bogmail“ firmiert bei der Büchergilde als„Kriminalroman“, beim Steidle-Verlag präziser als „Roman mit Mörder“. Aber das ist ablenkende Täuschung. Sicher, es gab den Mord und da Roarty im Moor wohl beobachtet worden war, folgt auch der Brief aus dem Moor. Aber McGinley denkt nicht so oft an das Verbrechen, denn er hat Wichtigeres zu erzählen. Wichtiger ist in Irland der Ire, seine Dorf- und Pubgemeinschaft und das Irische als solches, wobei das Katholische mit demAlkoholischen eine fruchtbare Symbiose eingeht. Und da müssen und dürfen wir als Leser dabeisein.
Die Darsteller: Tim Roarty, abgebrochener Seminarist, liebt die Musik von Schumann und besitzt ein Exemplar der Encyclopedia Britannica, aus der er Artikel auswendig lernet und deren Gewicht er schlagkräftig einsetzt. Er fängt ein schüchternes Verhältnis an mit Susan, der Nachfolgerin von Eales. Gimp Gillespie, Lokalredakteur mit Hang zur Wiedraufbereitung nichtssagender Vorjahresmeldungen, das ,was die Leser lesen wollen. Kanonikus Loftus, als Reverend ausreichend charaktersiert. Seine Haushälterin Nora liebt ihn, aber sie grast auch über die Grenze ins Englische hinaus zu Kenneth Potter, der in geschäftlichen Dingen ins Land kam, als Fremder die Verhältnisse zum Schwingen bringt und deshalb beäugt und bewundert wird. Zur Abrundung noch einige Maulhelden, die sich im Pub zum Irischsein einfinden: der Fischer Roary Rua, der raffgierige Bauer Crubog, der Kommunist Cor Mogaill, der Dorfpolizist McGing.
Manchmal fährt man zum Angeln, zur Vogelbeobachtung, ins Moor, doch meist kreuzen sich die Wege im Pub, dort fließen neben Stout und Whiskey auch die Emotionen, allein oder im alkoholbeflügelten philosophierenden Palaver.
Nach allem, was Potter seit seiner Ankunft gesehen hatte, mochte er die Iren. Bei sich zu Hause waren sie deutlich attraktiver als im Ausland – Reisen tat ihnen nicht gut, genau wie ihrem Nationalgetränk. Was er nicht verstehen konnte, war ihre Bereitschaft, auf bloßes Gerede hereinzufallen. Sie schienen zu glauben, dass etwas, wenn man nur lange genug darüber sprach, eintreten würde, ohne dass man einen Finger oder Zeh rühren musste. Eine entschuldbare Einstellung, solange das Gespräch selbst geistreich war. Im Gegensatz dazu war er zu dem Schluss gelangt, dass es sich bei dem sogenannten Erfindungsreichtum irischer Gesprächskunst um einen Mythos handelte, den wortkarge Engländer in Umlauf gebracht hatten.
Seiner Ansicht nach waren die Iren keine großen Unterhaltungskünstler im Stile Dr. Johnsons; sie waren große Redner, zufrieden damit, über einem Pint Stout nach dem anderen draufloszuplaudern, sprachliche Luftschlösser zu bauen, ohne einen Gedanken auf die Sache oder den Sinn zu verwenden. Wenn das Wesen eines Gesprächs Kommunikation war, dann bestanden die Iren den Test nicht, da sie sich auf die Ausschmückung des Nebulösen kaprizierten.
Als unerwartet neben der nächsten Bogmail ein Fuß des Mordopfers auftaucht, bringt das zur vorübergehenden Beruhigung Roartys weniger die Lösung des Falles in größere Nähe, sondern bietet Anlass für ein Schwätzchen, das den Mord mehr ins Allgemein-Kriminalistische zieht. Ein Roman mit Mörder, unter anderem.
»Ich meine, dass ein Fall, der gelöst werden kann, schnell gelöst werden wird.«
»Mit anderen Worten, nur leichte Fälle werden gelöst?« »Aber was ist schon ein leichter Fall?«, fragte McGing, dem das Interesse seines Gesprächspartners Vergnügen zu
bereiten begann.
»Ein leichter Fall dürfte einer sein, bei dem die Identität des Täters auf der Hand liegt.«
»Was für den einen Polizisten ein leichter Fall ist, bringt einen anderen sehr wohl durcheinander. Für jeden Topf den richtigen Deckel, für jeden Kriminellen den richtigen Polizisten – darin liegt das Geheimnis. Ein Krimineller mag jahrelang straffrei ausgehen, bis er zufällig an den richtigen – aus seiner Sicht: den falschen – Polizisten gerät.« McGing sah Roarty an, als hätte er mehr gesagt, als er sollte.
»Verstehe ich nicht.«
„Bogmail“ ist kein Krimi für Krimileser. Es ist ein Roman für Leser, die über gescheiten und ausschweifenden Diskursen das Böse vergesen, denn das Böse steckt schon im Alltagsleben selbst. Und man sollte sich die Zeit nehmen für „hochliterarische Exkurse“ (Christopher Schmidt, SZ) „Einzig der Hang, die Mystik der Moorlandschaft allzu metaphernreich und wabernd zu beschwören, hängt dem Buch bisweilen so schwer von den Schultern wie ein regennasser Wollpullover.“ (Christopher Schmidt) Und ein bisschen bernsteinfarbenen whiskeymythischen Sex gibt obendrein.
Als er diese stumme Gestalt, einen Angler, der nicht länger fischte, zum ersten Mal erblickt hatte, war er ergriffen gewesen wie sonst nie auf dem Land. Und er hatte dieses Bild mit sich herumgetragen, bis er zufällig auf ein wirkmächtigeres gestoßen war: einen grauen Reiher, der knietief in einem steinigen Moorsee fischte, wie eine Statue, ganz für sich und zeitlos – ein Zeichen dafür, dass eine Landschaft ein eigenes Leben führte, tiefgründiger, mysteriöser noch als das Leben ihrer Bewohner. In dem Gefühl, eine weitere Haut von der Zwiebel gepellt zu haben, sagte er sich, dass er nicht so sehr ein Paradigma für Irland als vielmehr ein Paradigma für das Leben schlechthin enthüllt hatte, für das Grauen und die verzweifelte Einsamkeit, die ihm innewohnte. In einem Anfall von Erkenntnis bemerkte er die zarten Falten, die sich von Noras Mundwinkeln verzweigten, und er fragte sich, ob sie sich vor der Nacht fürchtete.
Sie fuhren zwischen zwei Zeilen traurig aussehender doppelstöckiger Häuser dahin, die er zu ignorieren versuchte.
»Gillespie, du bist unmöglich«, sagte Potter und stand auf, um zu gehen.
»Wozu die Eile? Bleib, bis wir die Flasche geleert und uns im philosophischen Gespräch verwirklicht haben.«
»Ich fürchte, ich muss gehen. Ich führe Nora ins Hotel aus, für ihre Art des philosophischen Gesprächs.«
»Was kann ich als Junggeselle dazu sagen? Des Adlers Weg am Himmel, der Schlange Weg auf einem Felsen, des Schiffes Weg mitten im Meer und eines Mannes Weg an einer Jungfrau. Drei sind mir zu wunderbar, und das vierte verstehe ich nicht.« Gillespie schenkte ihm ein schiefes Lächeln.
»Komm morgen Abend auf einen Drink zu mir. Ich habe eine volle Flasche Glenmorangie, und ich besorge ein paar Flaschen Guinness, um uns auf die Sprünge zu helfen.«
»Potter, du bist ein Gentleman. Und unsere Diskussion über die Blume und den Wurzelstock werden wir fortführen.«
Potter legte bei Roarty’s einen Zwischenstopp ein, weil er hoffte, nach dem Feuer des irischen Whiskeys werde ein großer Glenmorangie seine Kehle kühlen. Roarty zeigte sich von seiner liebenswürdigsten Seite. »Ich habe Neuigkeiten für dich«, sagte er lächelnd. »Der Kanonikus hat sämtliche Vorstandsmitglieder für Freitag um acht zu einer Besprechung ins Pfarrhaus eingeladen. Endlich hat er angebissen, der Teufel.«»Ich frage mich, was er vorhat«, sagte Potter.
»Teufeleien! Was sonst?«, sagte Roarty.
1978 340 Seiten
“Unter Torfnasen” – Rezension von Christopher Schmidt (SZ)
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