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William Shakespeare: Hamlet
Inszenierung: Christopher Rüping
Christopher Rüping hat Hamlet nicht neu gedeutet. Aber er hat die Deutungen in neue Formen gebracht. Er entfernt, was heute abgespielt ist und was man heute nur noch als Selbstzitat sehen kann. Er spielt mit diesen Zitaten und vernetzt sie neu. “Sein oder Nichtsein” ist hier keine Frage, sondern blinkender Text auf der elektronischen Anzeigetafel, es klickt, auch ohne toten Schädel. Es schadet dem Stück nicht, wenn man es anders zusammensetzt, wenn man mit dem Erzählen von hinten beginnt, wenn man weiß, dass am Schluss alle tot sein werden – außer dem Erzähler. “Nichts weiter!“
Verständlich dürfte Rüpings Hamlet-Vorstellung auch für Shakespeare-Neulinge sein. Rüping lässt erzählen und fast unmerklich lösen sich aus dem Bericht Ich-Stimmen, Figuren, entsteht Handlung. Vieles wird an-, nicht alles wird ausgespielt, oft genügt das Zitat, manches scheint bei den Proben so viel Spaß gemacht zu haben, dass Rüping nicht rechtzeit “Halt!” gebot.
Hamlet der Jüngere ist der unsichere Junge, der sich plötzlich, zu früh, in die Staatsaktion gestellt sieht und sich zur rächenden Handlung aufregen muss. (Heute heißt das: Selbstradikalisierung.) Er übertreibt, spielt exaltiert, lässt den Königsmord nachspielen, um seinen Onkel Claudius als Königsmörder zu überführen. (Heute würde Hamlet Hoodies tragen, der Dresscode stimmt bei Rüping, die Kapuze verleiht dem Träger credibility, Der Pullover bringt dich zum Wüten.) Seine Mutter stellt er bloß, indem er ihr befiehlt: “Zieh dich aus!” Als sie sich ziert, höhnt er: “Ich hab dich schon von innen gesehen.” (H) Nils Kahnwald ist der eifernde Hamlet, Kaja Bürkle die sich schließlich beugende Mutter. Hamlet liebt Ophelia, aber er erkennt, dass die Privatsache bei den zu erledigenden Geschäften ein Klotz am Bein wäre. In einer (fast) überlangen Suada disst er sie, steigert sich in immer wüster werdende Beleidigung. Er überschreit seine Gefühle. Ophelia steht wortlos, reglos, fassungslos. Jetzt ist Katja
Bürkle Hamlet und sie belfert speichelsprotzend, dass es dem Publikum eine Lust wird. Nils Kahnwald steht im Negligé wie das Mädlein im Walde und erträgt als Ophelia die Tiraden. (Effektsteigerung: Die Frau darf hier sagen, was doch nur dem Mann zustünde. – H) Den Kampf der Geschlechter gab’s zu Shakespeares Zeiten ebenso rollenverkehrt. Später hört man, dass Ophelia sich in den Fluss hat fallen lassen.
Auch Walter Hess, der Senior, spielt im Cross-Dressing mit als Königin im Tudor-Ornat samt Perücke und Mühlsteinkragen, allerliebst (H). Er bleibt dabei ernst und fügt dem Spiel eine weitere Doppelbödigkeit zu. (Es ist überhaupt schön zu sehen, wie sich der 1939 geborene Hess mit sonorer Seriosität der Lilienthal’schen Leicht(fert)igkeit hingibt und mehr und mehr glänzt. Der Fall Meursault – Die Selbstmord-Schwestern). Und was hat der hingeworfene Stofffetzen zu sagen? Ach ja, “das ist der Vorhang”, hinter dem Shakespeare Polonius ermorden lässt. (H)
Apropos Mord: Mein Shakespeare-Vademecum zählt 9 Tote, Dolche und Gift, oft beides zusammen. Vergiftete Degenspitzen und toxische Ohrentropfen waren zu Shakespeares Zeiten uptodate, das wurde gern goutiert, wenn zwischendurch auch Feuerschlucker auftraten. Heute würde das wirken wie Kindergeburtstag. Rüping entkernt die verschwenderischen Greuel. Er stellt nur 3 Akteure auf die Bühne, die sich wechselseitig umbringen. Auf der elektrischen Anzeige werden die Ermordeten aufgelistet und ihr Name durchgestrichen. Damit ist viel erklärt.
Apropos Mord update: Das Extrakt des Mordes ist: das Blut. Also viel davon. Sehr viel. 240 Liter, “nur natürliche Inhaltsstoffe aus dem Supermarkt: Dieses Blut ist hautverträglich. Das Kunstblut von Dagmar Dudzinski schmeckt beerig, süß.“ (SZ). In Eimer gezapft, aus Eimern geschüttet, über einander, über sich selbst, auch ins Leere. Das Blut rinnt durch den löchrigen Bühnenboden und ist so recycelbar. (In Regensburg hatte man die gleiche Idee, doch beschränkte sie auf provinzielle Eimerchen.) Versudelte Darsteller, letztendlich wieder wie beim Kinderspiel, aber schön anzuschauen. Das (junge) Publikum schüttet im Geiste mit.
Auf der Bühne stehen nur ein paar Stühle, ein Tisch und ein Mann, der sich bei Beginn als Musiker und Geräuschemacher erweist. Christoph Hart eröffnet, begleitet und beschließt die Darbietung. Gleich zu Beginn stößt er so heftig in die übers Mikro gestülpte Vuvuzela, dass man merkt: Da kommt was! Es wird rhythmisch laut und das Blutgesudel beginnt. Auch die Anzeigetafel ist ein wichtiger Faktor, denn die Darsteller lesen davon ab, bestaunen die Sätze, reagieren auf Aufforderungen. “Halt”!” – und die Mordtat wird gestoppt. Die Tafel kann auch blinken und die Farbe wechseln. Smart Home.
H = Humor. “Die Vorstellung ist brachial humorlos.” (Egbert Tholl, SZ) “Rüpings Regiearbeit … ist … auch ein bisschen humorlos.” (Wolfgang Höbel, SPON) Widerspruch! Dieses Spiel ist durchgehend unterminiert, mal subtil, mal laut, immer intelligent und überlegt. Die Effekte sind ironisierende Parodie. “Die drei Schauspieler spielen nicht „Hamlet“, sondern sie spielen „Hamlet spielen“. Und siehe da, durch diese Generalverfremdung, diese Über-, Unter- und Hintertreibung mit Versatzstücken aus dem Zitatbaukasten gewinnt das Stück eine „sekundäre“ Ursprünglichkeit zurück.“ (Alexander Altmann, Merkur) Altmann ist der einzige der Kritiker, der zugeschaut hat und zu verstehen versucht hat, der sich nicht durch den Chor der Lilienthal-Basher wirr machen lässt. Billig Mathias Hejny (Abendzeitung): „Wichtigtuer-Theater aus dem Geiste von Opas Provokationen“. Egbert Tholl will nur „erfühlen“. Drei begeisterte Schauspieler, ein begeistertes Publikum. (Auch viele junge Leute.) „Der Rest ist – Jubel“ (Alexander Altmann).
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 3. November 2017
Nachtrag Februar 2018:
Die Münchner Kammerspiele waren mit „Hamlet“ zu Gast beim Theaterfestival Fadjr“ in Teheran gewesen, und Katja Bürkle wurde dort als beste Darstellerin ausgezeichnet.
„Hess erzählt, es gebe halt gewisse Auflagen, die Frauen müssten Kopftuch (keinen Schleier!) tragen – wie immer stets und überall, auch Anne Pöhlmann – und auf der Bühne gebe es keine Berührung von Haut auf Haut. Ja, die Auflagen: Pöhlmann berichtet, dass Nils Kahnwald ein zweites Unterhemd tragen musste, wenn er Ophelia spielte. Hess indes brauchte als Königin kein Kopftuch, er trug ja Perücke. Dann lacht er, weil er daran denken muss: „Eine so rabiate Frau wie Katja Bürkle werden die so schnell nicht mehr erleben.“ Bürkle spielt in „Hamlet“ meist den Hamlet und hat als solcher nicht die beste Laune.
Drei Aufführungen in einem überfüllten Theater mit 700 Plätzen vor jeweils 900 klugen und begeisterten Zuschauern, die im Publikumsgespräch schon mal nach dem Einfluss der „Hamletmaschine“ auf die Inszenierung fragten. (…)Und doch habe es mit dem Text keinerlei Probleme gegeben, auch nicht bei der Probe, in der drei Zensoren saßen, bei der man das viele Blut wegließ, um es in den Aufführungen dann doch einzusetzen. In der U-Bahn, was Hess begeistert, gibt es neben den gemischten reine Frauenabteile, im Publikum sitzen Frauen und Männer in etwa gleicher Anzahl lustig gemischt.” (Egbert Tholl, SZ)
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